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Alt 18.07.2019, 23:03   #47
Sir Alottafind
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Best Burgruine ever!

Der misslungene Marmelsbesuch hat die Beine gut fit gemacht fürs Projekt OberTagstein.

Dass es die bei der Stadt Thusis zu finden gibt, ist mir eher zufällig aufgefallen. Sie liegt in direkter nachbarschaftlicher Sichtweite zur Ruine Oberrätien, welche auf einem markanten Felsklotz am Ausgang der Via Mala Schlucht liegt. Bis vor nicht allzu langer Zeit war kein Zugang zu den Baulichkeiten möglich, da die Brücke übel marod war. Dem Umstand ist wohl zu verdanken, dass die Ruine nicht so im allgemeinen Besucherfokus steht.

Am frühen Nachmittag such ich mir ein schattiges Parkierplätzchen am Fusse den Berghanges. Denn es ist recht warm, ungemein sonnig und windstill. Man erkennt weit oben im bewaldeten Hang schon ansatzweise den Bau und lässt gute Erreichungsanstrengungen erahnen. Wahrscheinlich könnte man etwas komfortabler auch von oben her ran. Schönes Sujet: fleissige stramme Landbesteller machen Heu und stauben rum, und obwohl im direkten Umgriff von Thusis wähnet man sich im tiefsten Land.

Schnell noch kräftigende Birnenbuttermilch gekippt, aus Gewichtsgründen nur die kleine sony und exilim eingepackt, und los geht’s. Nach so hundert Metern Fahrweg kommt schon der Wald, dann ein längeres Stück auf Forstwegen. Guck ich mir die Grünstreifen am Weg an, gibt’s eine Menge Orchideen. Eine Mähfachkraft auf Mähspezialfahrzeug kreuzt meinen Weg, und deren produzierter intensiver Grünzerhäckselduft in Verbindung mit der Wärme reisst durch die Nase. Was durchaus nicht unangenehm ist und nebenbei sonst verborgene reife Walderdbeernester freigibt. Weil man alle Zeit der Welt hat, tut man sich natürlich ausreichend gütlich dran. Kurz gibt’s einen Blick auf die hoch droben thronende Burg. Manchmal wärs fast besser, man würde nicht sehen, wie Weit und Steil man noch vor sich hat.... . Ein bisserl pumpen tu ich schon, aber der richtige Gehrythmus hilft da sehr. Bäum stehen da am Weg, gruppenweise, bei deren sehr stattlichem Anblick hiesige Waldbauern wohl diverse interne Feuchtgebiete kriegen würden. Ab und an gibt’s einen interessanten Ausblick auf die Ruine Hohenrätien nebenan. Luftline vielleicht eineinhalb Kilometer. Das Erfahren der weiten Räume hat was und ergänzt das Gesamterleben.

Nun geht’s linkerhand in einen berasten und gemähten (!) schönen Weg für ein Weile entlang. Der wiederum zweigt rechterhand in einen kleineren Steig. Die Beschilderungen sind schweizüblich exclusiv gestaltet, und nirgend siehst eine Kippe oder Papierl. Dieser Steig wird immer steigiger, und ich beginne mal wieder, den Krallensohlen meines guten Schuhwerks zu huldigen. Immer höher geht’s in Serpentinen mit niederem sattgrünem Grünzeug drumrum, und zwischendurch erscheint wieder die Ruine, die immer abweisender und steiler aufzuragen scheint. Es kommen fragende Gedanken, dass man diesen fast schon alpinen Steilweg ja auch wieder retour muss. Ob meine ältlichen Balancierorgane das verlustfrei noch schaffen werden... .

Und da steht sie, in Griffweite, die wohl imposanteste und schönste Burgruine meiner bisherigen Besuchsvita!

Erst geht’s noch eine recht neue Treppe weiter hoch, man umkurvt noch einen Felsen, und die nagelneue Zugangsbrücke kommt in den Blick. Ich verharre. Oh du sich breitmachende Höhenangst! Beidseitig geht’s recht runter, und die Ruine steht brutal fühlbar ausgesetzt, fast wie in der Luft. Aber da musst wohl drüber, Herr Hasensir.

Also Handläufe benutzt und stur auf die Füss schauen treppel ich los. Auf halbem Weg reisst sich ein mittelgroßer Holzspreissel inne Hand, so ich aufsehen muss. Beachtlich, wie man in der Not seinen Schädel komplett ausknipsen kann und weiterstapft.

Nach ein paar äusserst steilen Treppenstufen bin ich endlich im Innern der Burg, und es ist wunderschön! Es ist sonst niemand da, und hat man bisher insgesamt nur das sehr entfernte Taltreiben gehört, ists in der Burg anmutig ruhig und angenehm kühl schattig. Mein Schnaufen ist das Lauteste.

Der Bau ist nicht der größte, aber ziemlich verschachtelt und verwinkelt. Denkt man sich erst, och da ist ja nix mehr, beschert einem das Umdieeckeschauen wieder neue Winkelchen. Anschaulich ist die opus-spicatum-Technik angewandt. In einem Eckerl ist doch tatsächlich eine gemütliche überdachte Sitzecke nebst Wandgrill eingerichtet. Überm Grill ist ein seltsamer Steinsturz mit eingemeisselten Kreuz verbaut. Von der 'Panoramabrüstung' aus geht der sinnende Blick übers Domleschgtal und die Hohenrätienburg. In der Richtung weiter gibt’s die Felsritzungen von Carschenna, über die im Forum schon berichtet wurde. Es fällt die Entscheidung, die Hohenrätien nicht mehr aufzusuchen, und es aufs nächste Mal zu verschieben.

Ich wüsste keine Burg, bei der ich wie bei dieser das Verlassen direkt bedauert habe. Es mischt sich auch Freude über den gelungenen Besuch und die kräftemäßig vorhandene Potenz darunter und körperlich und geistig geht’s mir sowas von hervorragend.

Will ja nicht protzen, aber so leichtfüssig mit Anflügen von Gazellengrazie geht der Abstieg vonstatten, dass es eine wahre Freude ist. Bin auch bald wieder drunten am Fahrzeug. Auf der Parkbank nebendran erfolgt ein ausgiebiges Nachtanken, ein Verweilen und Sinnieren, wobei der Kopf eigentlich recht leer ist. Stilles und redlich müdes Vergnügtsein, würd ichs mal nennen. Hektisch wird’s noch mal, als die Autodusche über den nackerten Oberpfälzer zur Wirkung kommt, denn akkurat läuft ein mitteljung Mädel den Weg lang. Die scheint aber so vertieft ins Schmartfon, dass sie die Pracht am Wegesrand gar nicht realisiert.

Noch zwei hervorragend mundende Äpfel vertilgt, und ab geht die Post. Die Zeit reicht noch gut, um den Flüelapass via Davos für die Nachtruhe zu erreichen. Dort oben wirds geben eine nette Tass Abendtee Marke Zitrone-Ingwer, ein Zigarillo, und ein geradezu unanständig bequemes Nachtnestle.

Darüber mehr in der Fortsetzung.
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