Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 12.08.2018, 22:08   #1
Lucius
Heerführer

 
Benutzerbild von Lucius
 
Registriert seit: Jan 2005
Ort: Annaburg;Sachsen-Anhalt
Detektor: http://www.Rutus.de
Beiträge: 5,309

Talking Ostpreußen in 72 h...

Sind wir nicht alle ein bißchen irre--oder:--Mal schnell übers Wochenende nach Ostpreußen

Man sagt ja eigentlich, die dümmsten Ideen beginnen mit den Worten "Halt mal mein Bier!"
Bei mir war es eher "Halt mal meine Schokolade!", als mich auf der Packung der angeblich längsten Praline der Welt ein Bahn-Gutschein anlächelte." Europa-Sparpreis-Special"-ja, warum eigentlich nicht??
OK, schnell war der 10.August als potentieller Reisetermin auserkoren. Ticket buchen, reine Formsache, dachte ich zumindest...
Nun, es stellte sich heraus, daß Online- und Handytickets im grenzübergreifenden Fernverkehr nicht gelten. Internetz und Europa ist ja schließlich noch Neuland für uns...
Also klassisch am Schalter gebucht. Selbstverständlich war dieser Schalter von meinem Heimatort 35 km entfernt. Was kostet die Welt....?
Dann ging es los--zumindest sollte es losgehen...Mein auserkorener Startbahnhof meldete lapidar "Schienenersatzverkehr"- 1h Bus für 20 km Luftlinie. Gut, wurde ein Taxi für diese 20 km engagiert. Jetzt aber ging es wirklich los!
Start am Jüterbog bis Berlin-Hauptbahnhof? Nein, nur bis Südkreuz...Bauarbeiten...Gut, wenn man ein Zeitpolster hat. Als relativer Vielfahrer hatte ich natürlich und so genügend Zeit.
Der Berliner Hauptbahnhof umfing mich mit hektischer Betriebsamkeit, an den Imbissständen schlug sich die trockenheitsbedingte Missernte auf den inflationären Lebensmittelpreisen nieder, und auch auf den Sanitäreinrichtungen war die Inflation ausgebrochen. Gut, ich hatte nicht vor, mich hier häuslich niederzulassen.
Dann der EC, der mich nach Warschau bringen sollte. Klischeemäßig ist man ja als deutscher Medienkonsument mit besten Vorurteilen über öffentliche osteuropäische Verkehrsmittel versorgt-ein weiterer Aspekt der Propaganda, der sich als übertrieben einseitige Stimmungsmache erwies. Der Berlin-Warszawa-Express ist ein moderner, komfortabler Fernreisezug, an dem sich manch versiffter deutscher ICE eine Scheibe abschneiden kann.
Funktionierende Steckdosen, WLAN und Platz zwischen den Sitzen, daß sogar ein normalgebauter, 1,90 m großer Mitteleuropäer seine Beine ausstrecken kann.
Und, bei 30 ° nicht ganz unwichtig, die Klimaanlage lief. Genau wie die Fahrt, die auch "lief" bzw. rollte.
In den letzten Jahrzehnten hatten sich die deutsch-polnischen Bahnverbindungen alles andere als mit Ruhm bekleckert. Als Beispiel sei hier die Strecke Berlin Breslau genannt. Brauchte man 1938 mit dem "Fliegenden Schlesier" 2h und 48 min, ist die Fahrtdauer nunmehr auf 6h 30 min angewachsen. Wobei das Problem hier eindeutig am deutschen Streckennetz liegt, welches durch Einspurigkeit und mangelnde Elektrifizierung glänzt. Auf 1/3 Fahrtstrecke entfallen hier 2/3 der Fahrzeit, zweifacher Lokwechsel inklusive.
Doch zurück Richtung Warszawa.
Kurz: es lief.
Nun die grundlegende Frage: Warum tut man sich sowas in der besten Sommerhitze an ?
Im letzten Herbst und im Frühjahr war ich schon zweimal in der Grenzregion Ostpreußen/Masowien unterwegs. MIr hatte es da eine Festungslinie angetan, angestachelt durch die Forschungen eines Hobbykollegen war bzw.ist mein ehrgeiziges Ziel, diese deutsche Verteidigungslinie möglichst allumfassend zu dokumentieren. Zwar hatten mein Kollege und ich uns vorgenommen, sämtliche erhaltenen Bauwerke aufzusuchen, zu vermessen und zu dokumentieren, aber am einzigsten ausgebauten und restaurierten Museumsbunker scheiterten wir zweimal, mein Freund sogar noch ein weiteres Mal. Immerhin brachte er eine Telefonnummer des Eigentümers mit...
Nun ergab sich für mich die Möglichkeit einer Sonderführung-nur leider knapp 1000 km von zu Hause weg... Meine Frau zeigte mir zu Recht einen Vogel, als ich die Option ansprach, mal eben schnell mit dem Auto rüberzuhuschen.
Also startete ich das Experiment, Mitteldeutschland-Masuren-Mitteldeutschland an einem normalen Wochenende, nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu reißen. Für mich eher eine sportliche Herausforderung.
Wieder im EC nach Warszawa... Die Fahrt bis zur Oder glich einer Bummeltour, Baustellen, Warten auf vorausfahrende Züge, in Berlin Warten auf verspätete Anschlüsse, genervtes Personal. Hinter der Oder waren wir 2h später auf polnischem Hoheitsgebiet.
Jetzt gabs erstmal Tee oder Kaffee mit besten Wünschen vom Personal . Gratis !! Und der Zug beschleunigte auf 160 km/h. Mein Handy wechselte von "E" auf "4G". Verkehrte Welt.
Ab Posen waren wir wieder im Zeitplan. Pünktlich rollten wir nach rund sechs Stunden in Warschau ein. Davon hatten wir zwei für die 80 km von Berlin nach Frankfurt gebraucht.
Der Bahnhof Warszawa Zachodnia lief auch um 23 Uhr noch auf Hochtouren.
Da ich nächsten Morgen per Bus weiterwollte und der zentrale Busbahnhof direkt neben dem Bahnhof liegt, hatte ich in einem Hostel direkt im Bahnhof reserviert. Zwar kein Fünf-Sterne-Resort, aber mir reichte ein Bett, ich wollte hier ja keinen mehrwöchigen Urlaub verbringen.
23.30 habe ich endlich mein Zimmer, Stil Jugendherberge der 80er, im 6. Stock eines Hochhauses. Egal, gibt Schlimmeres. Schnell noch Rechner an und den Tagesbericht getippt.
Angehängte Grafiken
Dateityp: jpg IMG_2205.jpg‎ (218.9 KB, 28x aufgerufen)
Dateityp: jpg IMG_2210.jpg‎ (216.8 KB, 28x aufgerufen)
Dateityp: jpg IMG_20180810_163622.jpg‎ (88.4 KB, 32x aufgerufen)
Dateityp: jpg IMG_20180810_183111.jpg‎ (195.2 KB, 42x aufgerufen)
Dateityp: jpg IMG_20180810_230649.jpg‎ (104.5 KB, 42x aufgerufen)
__________________
ǝʇɥɔıɥɔsǝƃ ɹǝp ǝʇʞılǝɹ

Optimismus ist, bei Gewitter in einer Kupferrüstung auf dem höchsten Berg zu stehen und Scheiß Götter! zu rufen.
Lucius ist offline   Mit Zitat antworten