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Alt 15.04.2021, 07:35   #62
The_Duke
Lehnsmann

 
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Beiträge: 28

Wir schrieben das Jahr 1978.
Der Leistungskurs Chemie und der Leistungskurs Physik taten sich im Herbst zusammen
und beschlossen, das neue Jahr fernab ein jeder BAM-Klasse gebührend pyrotechnisch zu begrüßen.
Es wurde gerechnet, gemischt, diskutiert, nochmal gerechnet, gelesen, gebohrt, gebogen, gehämmert, geschnitten usw.
und raus kam eine Rakete, ungefähr so groß wie eine 2L-Colaflasche, die dann den Namen "Honest John" bekam.
Die pyrotechnische Beladung betrug rund 600g, die Antriebsladung nochmal 340g
und so kam Honest John auf rund 1200g Gesamtgewicht.
Die Zündung sollte elektrisch über Glühdraht erfolgen.

Dann kam der 31.12.1978 und wir waren alle nervös.
Klar, dass alles unter strengster Geheimhaltung ablief.
Beim Take off waren insgesamt 11 Leute anwesend, eigentlich waren wir 12,
aber einer musste in den Skiurlaub
Auf freiem Feld wurde aufgebaut, Startplattform war eine mitgeschleppte Waschbetonplatte
Die "Zündanlage" bestand aus einem 9V-Block, einige Meter Klingeldraht und einem 4,5V Glühbirnchen,
dessen Glas wir zerdrückt hatten, ohne den Glühdraht kaputt zu machen.

Da wir ja sehen wollten, wie Honest John gen Himmel steigt, war der take off auf 16:30 festgesetzt.
Der Norden Deutschlands versank im Schneechaos und Eiseskälte und wir hofften, dass wir wenigstens so lange
verschont blieben, bis Honest John abhob, noch waren es fast +8°C, aber alle redeten von sich nähernder Kaltfront.

Um 16:20 Uhr war dann alles startbereit, Ralf hatte die Super-8-Kamera von seinem Vater dabei.

ZÜNDUNG!

....und Honest John hob in einer gewaltigen Rauchwolke ab und stieg quasi in Zeitlupe nach oben,
allerdings nur ungefähr 5-6m bis er dann explodierte
Wir hatten Glück, anders kann man dazu nicht sagen, dass wir fast nichts abbekommen hatten.
Außer Brandlöcher in den Klamotten (ich hatte 14 Stück in meinem Anorak) und
eine kleine Verbrennung am Handrücken und Wange ist keinem unserer Gruppe was ernsthaftes passiert.
Einzig die Kamera von Ralf´s Vater hat nicht überlebt, da Ralf sie vor Schreck hat fallen lassen

Noch in der Nacht überrollte dann auch uns die Schneefront...

War eine geile Zeit!
Ende 70er/Anfang 80er-Jahre, ohne Internet, ohne digitale Ablenkungen, haben wir noch gelernt uns
selbst zu beschäftigen, wir hatte auch noch einen Büchereiausweis aus Pappe
und wenn man etwas wissen musste, ging man dort hin und suchte oder man bemühte
den Großen Brockhaus im heimischen Bücherschrank der Eltern.

Heute fragt man Google und ich bin sicher, dass damals mit Googles Hilfe unsere
Honest John nicht schon in der geringen Höhe explodiert wäre...

Gruß Norbert
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