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Alt 03.06.2016, 23:49   #737
torstenk
Geselle

 
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http://www.sz-online.de/nachrichten/...5-3408520.html


aus der sächs. Zeitung:

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Waldenburg, Kilometer 65

Die Jagd nach dem Zug mit dem vermeintlichen Nazi-Gold in Polen blieb bislang ohne Ergebnis. Aufgeben wollen die beiden Schatzsucher aber nicht.


Von Agnieszka Hreczuk, Walbrrzych




An dieser Bahnstrecke in der Nähe von Walbrzych sollen die Nazis den sagenumwobenen Goldzug versteckt haben.


Piotr Koper (l.) und Andreas Richter haben vorsorglich schon mal Finderlohn beantragt. Gefunden haben sie allerdings noch nichts



Hier muss es sein, zeigt das GPS. Das Auto mit dem pommerschen Kennzeichen hält an. Der Fahrer, ein massiger Mann in weißem Hemd, schaut sich ungeduldig um. Straße, Parkplatz, kleine Gärten. Auf einer Dienstreise ist er, hat nur schnell einen Abstecher gemacht. Wie könne er das verpassen, wenn er schon in der Gegend sei, sagt er und wirkt doch ein bisschen hilflos. Wo ist, bitte schön, na, der Zug, der Goldzug, fragt er eine Frau, die mit großen Einkaufstüten über die Straße geht. Ohne zurückzuschauen, fast ein wenig gelangweilt, zeigt sie hinter sich auf die Brücke.



In schnellen Schritten geht der Mann zum Geländer und starrt hinunter als ob er glaubte, dort gleich eine Reihe von Waggons zu sehen. Doch nur eine moderne Regionalbahn saust pfeifend vorbei. Er sieht enttäuscht aus – und lächelt dann doch. Ein Foto kann er von hier oben wenigstens machen. Das Motiv: eine kleine Tafel, das Hinweisschild für den Bahnkilometer 65,0.



Im Mai 2016 ist es sonnig und warm in Walbrzych, doch das ist nichts im Vergleich zu der Hitze, die hier noch vor wenigen Monaten herrschte. Den ganzen Spätsommer, Herbst und Winter über war Walbrzych wie im Fieber - im Goldfieber.



Zu 99 Prozent sei er sich sicher, dass in Polen ein gepanzerter Zug aus der Nazi-Zeit gefunden wurde, hatte der stellvertretende polnische Kulturminister Piotr Zuchowski im vergangenen August gesagt. Womöglich mit wertvollen Gütern an Bord. Zeitungen verbreiteten die Nachricht, Journalisten und Schatzsucher aus aller Welt reisten nach Schlesien, stolperten zu Fuß die Gleise der Zugstrecke Warschau-Breslau entlang zur Böschung an Kilometer 65, wo man den Zug vermutete. Was für eine Neuigkeit!



Dabei war es gar keine. Seit Jahrzehnten schon hält sich die Legende vom unterirdisch geparkten Zug, in Walbrzych selbst gibt es Männer, die bereits ihr halbes Leben mit der Suche nach diesem Schatz verbracht, etliche Messungen angestellt und Karten gefertigt haben. Die jüngste Aufregung aber lösten zwei Herren aus, die sich der Sache erst 2014 zuwandten, der Ahnenforscher Andreas Richter, 54, und der Bauunternehmer Piotr Koper, 45.



Vor 18 Jahren zog Richter, gebürtiger Sachse, seiner polnischen Frau zuliebe nach Walbrzych. Dort gab es einen Schatzsucherverein. Richter trat bei und lernte schließlich Koper kennen. Natürlich erfuhren die beiden auch vom Geheimnis des 65. Kilometers, besorgten sich Informationen von anderen Schatzsuchern und stellten 2014 mit einem Georadar erste eigene Messungen entlang der Bahnstrecke an.



Andreas Richter ist ein großer, kräftiger Mann mit kurzem braunem Haar, der seine Worte überlegt wählt. Nun steht er da und zeigt auf einen unsichtbaren Punkt am Bahndamm, weiter hinunterklettern will er nicht, zu riskant bei all dem Zugverkehr.

„Dort muss die Einfahrt sein“, sagt er. In der Böschung, gleich neben den Gleisen vermuten er und Koper den Zug, fast 100 Meter soll er lang sein. Ihre Messungen zeigten dort, unter dem zugewachsenen Hang, etwas Langes aus Metall. In der Böschung sei ein Tunnel, in dem der Zug stehe, erklärt Richter. Er sagt nicht „sollte“, „könnte“ oder „vielleicht“. Einfach „es gibt“ und es „steht“. Für Andreas Richter gibt es keine Zweifel mehr. Und zwar spätestens seit August 2015, als er und Piotr Koper den vermeintlichen Fund bei der Kreisverwaltung meldeten – und sogleich Finderlohn beantragten. Gesehen hatten die beiden nichts, gefunden schon gar nicht. Doch es reichte ihnen der Gedanke, das Was-wäre-wenn. Sie beantragten, am Bahndamm graben zu dürfen.



Jeder in Walbrzych hat irgendwann in seinem Leben mal etwas vom „Goldzug“ gehört. Dass er irgendwo in der Nähe der benachbarten Örtchen Piechowice, Walim, Sedziszow verborgen stehen soll. Erfahren vom Nachbar des Nachbarn, der es selbst von jemandem hörte, der einst mit einem ehemaligen, natürlich schon verstorbenen Einwohner gesprochen hat, dessen Namen er nicht erwähnen darf …

Nur ein Name taucht immer wieder auf: Herbert Klose, ein bescheidener Tierarzt aus Sedziszow, einem kleinem Dorf in Niederschlesien. Je nach Gerücht soll er vor dem Krieg ein Hauptmann bei der Wehrmacht oder Polizist in Breslau gewesen sein. Als Ende 1944 der Gauleiter der Stadt die Bewohner dazu aufrief, alle Wertgegenstände zur Polizei zu bringen, die diese vor den Russen verstecken wollte, sollte der Hauptmann Herbert Klose den Gold-Konvoi begleiten. Dann fiel er vom Pferd – und blieb daheim. Was wusste Klose?

Jahrelang beobachtete der polnische Sicherheitsdienst den Mann, lud ihn sogar zum Verhör. Die Akten über ihn im Institut des Nationalgedächtnisses in Wroclaw sind dick. Doch seine Hinweise erwiesen sich wieder und wieder als falsch. Klose wusste offenbar nicht, wo genau die Schätze versteckt worden waren, dass sie irgendwo versteckt lagerten hingegen schon. Als Herbert Klose starb, lebte die Legende weiter.



Als der Goldzug, der Panzerzug oder einfach nur: der Zug. Andreas Richter lächelt. Über dessen Inhalt wolle er nicht spekulieren, sagt er. In ihrer Meldung bei der Kreisverwaltung erwähnten Richter und Koper nur den Zug selbst „in dem sich Metallerze für Militärzwecke befinden könnten: Wolfram, Kobalt, Kupfer, Zinn“. Kein Wort von Gold. Aber wen interessiert schon Wolfram? In den Medien wurde aus Metallerzen Gold, sicherheitshalber versehen mit Gänsefüßchen. Nur: Die Gänsefüßchen bemerkte wohl niemand. Und Richter und Koper widersprachen nicht.



Seit dem vergangen August also sind in Walbrzych plötzlich Goldbarren in großer Menge zu finden. Klein, groß, mehr und weniger glänzend, je nach Geschmack, Bedürfnis und Gepäckgröße. Ein Feuerzeug in Form eines Goldbarren oder ein Zigarettenetui. Eine Pralinenschachtel, mit schokoladigen Mini-Goldbarren. Es gibt T-Shirts mit Goldzug-Motiv, Kaffeetassen, Kühlschrank-Magneten. Plötzlich waren die Hotels ausgebucht, ausländische Journalisten brachen sich die Zunge, um den Namen der Stadt richtig auszusprechen und lokale Politiker rechneten, wie viel Geld sie hätten ausgeben müssen, um eine Werbekampagne mit einer solchen Wirkung zu kaufen.



Die etwas verschlafene 120 000-Einwohner-Stadt hatte zuletzt wegen ihrer Arbeitslosigkeit Aufsehen erregt. Fast 600 Jahre lang wurde in Walbrzych, früher Waldenburg, Steinkohle, Silber und Bleierz gefördert, die Maschinenbau- und Verarbeitungsindustrie wuchs. Walbrzych wurde zur Hauptstadt des Landkreises mit demselben Namen. Bis nach der Wende plötzlich Schluss war mit Wachstum und Wohlstand. 1998 wurde hier die letzte Mine dichtgemacht, Fabriken folgten – und schnell gab es in Walbrzych so viel Arbeitslose wie sonst nirgends in Polen. Doch auch wenn sich die Stadt nun langsam wieder erholt: Noch immer sind 17 Prozent der Walbrzycher arbeitslos, bei 30 Prozent liegt die Rate im Landkreis. Dann kam die Nachricht vom Goldzug. Und sie passte perfekt in diese Gegend, die auch ohne Schatz Geheimnisse birgt.



Wer sie ansehen will, muss gleich neben dem Walbrzycher Schloss Ksiaz in die Erde hinabsteigen. Schloss Ksiaz, damals Fürstenstein, war im „Dritten Reich“ zu einer offiziellen Residenz des Auswärtigen Amtes erklärt und im Rahmen des gigantischen Bauprojekts „Riese“ mit einem unterirdischen Tunnelsystem versehen worden. Insgesamt neun solcher unterirdischer Komplexe wie hier am Schloss sind in der Gegend bislang entdeckt worden. Wie viele es noch gibt, weiß niemand.



Der pensionierte Polizist Andrzej Gaik, der Führungen rund um das Schloss anbietet und als Experte für das Projekt „Riese“ gilt, erklärt: „Wir schätzen, dass wir nur die Hälfe der Anlage kennen.“ Er sagt auch: „Wenn es etwas gibt, dann noch tiefer, unter uns.“



Es ist kühl und feucht unter der Erde. Die schwarzen Felswände schlucken das Licht aus den kleinen Deckenlampen, die manchmal Andrzej Gaiks Gesicht mit dem dunkelbraunen Schnäuzer hell erscheinen lassen, wenn er sich zu seinen Zuhörern dreht, um etwas zu erklären. Noch ein Schritt auf dem unebenen Boden, dann weitet sich der Flur, und helle Betonwände reflektieren das Licht. Locker würden hier einige Lastwagen hineinpassen, vielleicht sogar – wenn man daran glauben will – ein ganzer Zug. Auf dem Boden verlaufen Schienen. Andrzej Gaik bemerkt die Blicke sofort. „Eine Schmalspurbahn“, sagt er und zerstört die Illusion. „Damit wurde das Baumaterial transportiert.“ Tonnenweise. Zwei Jahre lang haben die Nazis unter der Erde gebohrt. Fast 60 Kilometer Flure, Hallen, Lüftungssysteme, sogar eine eigene Kläranlage wurden geschaffen. Außerdem, so eine weitere Legende, soll noch tiefer unter dem Schloss ein Bahnhof versteckt liegen, eigens für Hitler gebaut. Der hatte panische Angst vorm Fliegen und bevorzugte Bahnreisen.



Fast 150 Millionen Reichsmark hat der unterirdische Ausbau angeblich gekostet und mehr Beton verbraucht als 1944 der gesamten Bevölkerung für Luftschutzbauten zugestanden werden konnte. Mögliche Augenzeugen – die Gefangenen eines Außenlagers des KZ Groß-Rosen – sind tot. Die meisten Dokumente sind verschwunden. Sollte in den unterirdischen Hallen Giftgas produziert werden? Sollten sie als riesiger Bunker dienen? „Würde sich bestätigen, dass es dort am Bahndamm einen Tunnel gibt, wäre ich superglücklich“, sagt Andrzej Gaik. Ob da unten wirklich ein Goldzug steht, scheint dem pensionierten Polizisten ziemlich egal zu sein. Er zuckt mit den Schultern. „Was bringt uns das Gold? Es würde uns ja doch nicht gehören.“

Gaiks Träume sind bescheidener. Statt Edelmetall wünscht er sich, Dokumente zu finden, Tausende Seiten, die doch irgendwo versteckt sein müssen. „Das wäre was“, sagt er. Gaik drückt Andreas Richter und Piotr Koper trotzdem die Daumen.



Nachdem die Nachricht vom vermeintlichen Fund des Zuges im Sommer 2015 an die Öffentlichkeit gelangte, wurden Andreas Richter und Piotr Koper von der Resonanz der Medien geradezu überwältigt. Von einem Tag auf den anderen waren die beiden Schatzsucher Berühmtheiten. Ein bisschen viel auf einmal und doch nicht schlecht im Nachhinein, meint Richter: „Ohne die Medien wäre das Thema wohl schon vom Tisch.“



Denn langsam wird es für die beiden eng. Sie seien bislang für fast alle Kosten selbst aufgekommen, sagen sie und wollen doch nicht verraten, wie viel die Gerätschaften und Anstrengungen sie genau gekostet haben. Allein eine Zahl ist sicher: 150 000 Zloty, etwa 35 000 Euro, mussten sie als Kaution hinterlegen. Für Bäume, die sie im Ausgleich für die zu Grabungszwecken gefällten pflanzen müssen. Drei Mal wurde schon der Arbeitsbeginn verschoben, immer wieder fehlte ein Formular oder eine letzte Genehmigung. Davon brauchten sie viele: von der Bahn und ihren unterschiedlichen Töchtergesellschaften, von der Denkmalbehörde. Im Juni soll der neun Meter breite Bahndamm nun an mehreren Stellen mit Baggern durchgraben werden. Um den Spekulationen ein Ende zu bereiten.



Andreas Richter und Piotr Koper sind längst zu weit gegangen, um noch akzeptieren zu können, dass dort unten nichts ist, kein Schatz, kein Zug, kein Gold. Doch was, wenn es so wäre? Wenn die Geschichte vom Zug, mit oder ohne Gold, nicht mehr wäre als ein Märchen? Andreas Richter schüttelt den Kopf, als führe er mit sich selbst eine Diskussion. Dann sagt er: „Nee, ich denke nicht, dass das negativ ausgeht. Ich denke, wir haben recht.“



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