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Alt 12.05.2007, 22:23   #2
Rasputin.1
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Weitere Ausführungen und Bilder

Hier einmal etwas Ausführlicher:


Erinnerungen an die Seelzer "Conti-Planke"

von Bemhard Haentjes

In Heft 6 der Seelzer Geschichtsblätter (1991) haben wir erstmals kurze Notizen zum ehemaligen Conti-Zweigwerk Seelze veröffentlicht, welche auf Aufzeichnungen des Seelzer Chronisten Heinrich Wittmeyer (1874-1952) beruhten. Der 1932 nach rund dreißigjährigem Betrieb erfolgte Abriss der am Ortsausgang nach Letter, zwischen Leine und Chaussee gelegenen Fabrikgebäude ist in Heft 6 auch fotografisch dokumentiert. Nach dem Abriss ist das Werksgelände, jedenfalls sein westlicher Teil, von der Conti noch als Lagerplatz genutzt worden. Als 1994 die Verlegung der Kreisstraße 356 zwischen Letter und Seelze in Angriff genommen wurde, um die südlich daneben verlaufende Bahntrasse um ein S-Bahn-Gleis erweitern zu können, stieß man bei den Erdarbeiten u.a. auf Gummialtlasten, die den Boden verunreinigten und außerdem auf ein KeIlergeschoss, welches wohl dem alten Conti-Gebäude zuzuordnen sein dürfte.
Dies war der Anlass der in Bernhard Haentjes Kindheitserinnerungen aus den Jahren 1944/45 weckte. Damals war er etwa 10 jahre alt und wohnte im so genannten Limmer-Block an der Hannoverschen Straße (1928 vom Gemeinnützigen Bauverein Limmer gebaut) unweit des Conti Lagerplatzes, welcher sich hervorragend als (verbotener) Spielplatz eignete. In den folgenden Aufzeichnungen versucht er, die damaligen Gegebenheiten zu rekonstruieren.
N.S.

Anfang 1944 schützte ein hoher Bretterzaun den Gummi-Lagerplatz der Conti. Unter dem grauen Schutzanstrich waren die Konturen der ehemaligen Beschriftung Continental Pneumatik noch erkennbar. Es war also noch derselbe Zaun, der auf dem Foto vom Anfang des Jahrhunderts (s.Abb.) zu sehen ist. Der riesige Holzzaun wurde in Seelze allgemein die Conti-Planke genannt und mit diesem Begriff wurde zuweilen auch das gesamte Gelände bezeichnet.

Auf dem Foto ist ganz links am Bildrand ein Stück des 1905 erbauten und heute noch dort stehenden Wohnhauses Günsche zu sehen. Das kleinere Haus rechts daneben war 1899 von einem Vorgänger der Conti, Dr. Plinke aus Linden, der hier eine kleine chemische Fabrik betrieb, als Werkmeisterwohnhaus erbaut worden*, diente dann

* Zwei Darstellungen Heinrich Wittmeyers (Chronikunterlagen Stadtarchiv Seelze) erscheinen in diesem Punkt widersprüchiich. Während er einerseits schreibt. Dr. Plinke habe seine Fabrik östlich der 1891 in 8etrieb genommenen Fabrik Merklin und Lösekann gebaut (VFI. Heft 6, 1991 ), ordnet er andererseits das ganz am Westrand des Geländes liegende Haus der Plinkeschen Fabrik zu.

als Pförtnerwohnhaus der Conti und wurde 1933 von der Familie Rabe gekauft. Der Garten hinter dem Gebäude, vom Haus bis hinab zur Leine, bestand in den 40er Jahren aus einer dünnen Schicht Gartenerde auf einer blau-grauen Masse, die man heute wohl als Altlast bezeichnen würde. Ob sie von der Conti oder einer der bei den Vorgängerfabriken (Merklin und Lösekann und Dr.Plinke) stammte, weiß ich nicht. Das Haus Rabe erhielt bei einem Luftangriff am 26.10.1944 einen Volltreffer durch eine Sprengbombe, wobei die ganze Familie (drei Personen) ums leben kam.

Der Eingang der Rabes lag der Straße abgewandt an der Nordseite des Hauses. Der Weg dorthin, rechts (östlich) am Haus entlang, war schmal und das Rabesche Grundstück war von dem Gummilagerplatz an dieser Stelle nur durch einen nicht sehr hohen Lattenzaun getrennt. Das Contigelände war zu jener Zeit ein großartiges Abenteuer Areal für die Seelzer Dorfjugend. Der Aufenthalt dort war verboten, was aber die ganze Angelegenheit noch aufregender, also attraktiver machte. Da der Lagerplatz entlang der Straße mit dem hohen Holzzaun gesichert war, gab es nur die Möglichkeit, von Rabes Weg aus über den Lattenzaun auf das Gelände zu gelangen. Das musste natürlich leise und unauffällig geschehen. Die Rabes waren zwar als sehr freundliche Leute bekannt, aber sie sollten es ja trotzdem nicht bemerken. Als Herr Rabe doch einmal darauf zu kam, wie wir mit Schläuchen der Flugzeugbereifung ("Schwimmringe") beladen seinen Zaun enterten, sprach er lediglich ein paar mahnende Worte.

Der Lagerplatz wurde auch bewacht. Die Wachmannschaft bestand - es war ja Krieg - aus zwei ziemlich alten Männern. Sie fuhren ab und zu mit dem Fahrrad eine Runde auf dem Gelände und hätten wohl gern ihre Ruhe gehabt. Manchmal wurden wir von den Wachmännern entdeckt und gejagt, aber es ist ihnen nie gelungen einen von uns Jungen zu fangen. Die in der Nähe des Haupttores gelegene Baracke der Wachmannschaft wurde am 14. Juli 1944 bei einem Luftangriff zerstört.

Zeitweilig müssen auf dem Conti-Gelände auch Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen sein. Aus einer Meldung des Seelzer Bürgermeisters nach dem schweren Luftangriff vom 26.10.1944, bei dem auch die Familie Rabe ums leben kam, geht hervor, dass ein bei der Conti in Hannover Angestellter italienischer "Zivilarbeiter" und fünf auf dem Seelzer Lagerplatz eingesetzte, nicht identifizierte Juden aus dem KZ Stöcken ums leben kamen.

Auf dem Seelzer Conti-Gelände lagerte nicht, wie Heinrich Wittmeyer berichtete, in erster Linie Altgummi (wenn man darunter verbrauchtes Material versteht), sondern es handelte sich anscheinend vorwiegend um Fabrikneues Ausschussmaterial, um Fabrikationsabfälle oder auch um Material, welches für Testzwecke verwendet worden war. Die vielen dort befindlichen Kleinteile lassen darauf schließen, dass auch Gummi, welches bei Maschinenumrüstungen anfiel, hierher gebracht wurde. Vorwiegend sahen die gelagerten Gummiteile jedenfalls unbenutzt aus.

Das gesamte Gelände machte einen sauberen, ordentlichen Eindruck. Zum Teil konnte man große Betonplatten, offenbar Reste der alten Gebäude erkennen. Der übrige Boden war mit Kohleasche (Schlacke) bedeckt. Am zahlreichsten waren die Berge mit Autoreifen. Manchmal war aus ihnen ein Viereck von ca. 1,5 Meter Höhe aufgestapelt, dessen Innenraum mit Kleinteilen (Abfällen, Verschnitt) gefüllt war. Autoreifen gab es in allen möglichen Größen. Die kleineren fanden in Seelze als Schuhsohlen Verwendung. Das Gummi war aber ungeheuer schwer zu verarbeiten.

Am Westrand des Lagerplatzes, nicht weit hinter Rabes Zaun, waren Aluminiumbehälter verschiedener Größe zu einem wirren Haufen aufgestapelt. Bei allen diesen Behältern war außen eine ca. 2-4mm dicke Gummischicht aufgeschweißt. Angeblich waren es Flugzeugtanks. Einige hatten ungefähr die Maße 13Ox130x40 cm. Diese wurden (nach dem Kriegsende, als der Platz nicht mehr bewacht war) von einigen Jungen als "Boot" verwendet. Dazu wurde mit einem Meißel ein Loch in eine der Flachseiten hineinfabriziert. In das Loch steckte man die Füße und saß rudernd oben auf dem Schwimmkörper.

Neben diesen gummierten Aluminiumbehältern gab es einen Berg mit kleineren Flugzeugreifen
verschiedener Größe, zum Teil mit Felgen und Nabe. Außerdem lagerten hier Schläuche für die Bereifung. Aus diesem Haufen versorgten sich die Seelzer Jungen mit "Schwimmringen". Einige der Schläuche hatten einen großen Durchmesser und waren sehr dick; es gab aber auch eine kleinere Sorte. Man konnte hineinschlüpfen und sie als Schwimmring um die Brust tragen.

Östlich von diesem Gummiberg befand sich eine Halde aus Fahrradbereifung. Es waren aber nur Stücke, Abschnitte, keine kompletten Reifen. Fahrradbereifung war während des Krieges und erst recht in der Nachkriegszeit Mangelware, aber wer geschickt genug war, zog die halben Fahrradschläuche nach einer raffinierten und aufwendigen Methode auf. Dabei wurde eine Hälfte mit Hilfe von viel Bindfaden an der Felge befestigt . Dann kam die zweite Hälfte auf die andere Felgenseite und wurde ebenfalls mit viel Bindfaden fixiert, wobei das zweite Stück die Enden des ersten deutlich überlappen mußte. Wenn der Reifen aufgepumpt war, hielt das ganze System - wenn man Glück hatte - durch den Luftdruck zusammen. An das zweimalige Hoppeln bei jeder Radumdrehung hatte man sich schnell gewöhnt.

Hinter der Fahrradbereifung, ein Stück Lleinewärts, gab es große Flugzeugbereifung, zum Teil mit Felge und Nabe. Dafür hatte meines Wissens niemand Verwendung. Man konnte sie nicht einmal zum Verbrennen zerhacken. Einige der Reifen waren so groß, dass man sich hineinlegen konnte. Ein Stück westlich davon, vor dem Berg mit den "Flugzeugtanks", waren Gummikleinteile aufgeschichtet. Es handelte sich wohl zumeist um Ausschußmaterial, für medizinische Zwecke, Labors usw. produziert: Gummibecher (für Gärrohre), Schwämme, viele Sorten von weißen Gummistopfen und anderes mehr. Dies war eine der interessantesten Wühl- und Fundgruben des Geländes.

Vorn an der Straße, direkt hinter der Planke befand sich eine Grube, an zwei Seiten von altem Mauerwerk begrenzt. Auch hier lagerten verschiedene Kleinteile, z.B. für Gasmasken. Die größten hier zu findenden Schätze aber waren gelbe Schwimmwesten, von denen viele gebrauchsfähig waren. In einigen Westen steckten sogar noch Preßluftpatronen zum Aufblasen. Sie konnten aber auch mit dem Mund aufgeblasen werden. Alle Jungen bei uns hatten so ein Ding.
Man achtete beim Aussuchen peinlichst auf eventuell angebrachte Farbbeutel, welche eine grüne Flüssigkeit enthielten. (Man sagte, die Farbe sei zur Markierung der Unglücksstelle gedacht)

In der Nähe dieser Grube gab es einen riesigen Haufen mit "Segelfliegergummi", wie wir sagten. Es handelte sich um Seile aus vielen einzelnen Gummistreifen, welche gebündelt und mit Gewebe umhüllt waren. Vielleicht waren sie tatsächlich zum Ziehen von Lastenseglern? Die meisten der Bänder waren ca. 12 mm dick. Diese waren auch am längsten, und es war nicht einfach, sie aus dem riesigen wirren Haufen zu bergen. Diese Seile konnte man in hohen Bäumen verknoten und mit dieser Sicherung versehen in die Tiefe springen. So ein Seil konnte auch durch das Achsloch eines kleinen Flugzeugrades gezogen und dann zur Schlinge verknotet werden. Das Rad wurde dann von zwei jungen festgehalten und mindestens zwei andere zogen das Seil stramm soweit es ging. Wenn dann das Rad losgelassen wurde, schoss es mit hoher Geschwindigkeit die Straße entlang und zog das Seil hinter sich her. Es hat bei diesen "Spielen" einige Unglücke gegeben, die aber glimpflich verliefen. Wenn so etwas gemacht wurde, dann flüchtete sowieso alles von der Straße.

Hinter dem Strippen Haufen lag noch ein Gummi. Berg der aus Platten oder Matten bestand. Da gab es z.B. etwa 10 mm dicke Platten mit Gewebeeinlage; sie waren sehr groß und schwer zu transportieren. Einige Seelzer verwendeten sie zum Dachdecken oder zäunten auch ihren Garten damit ein. Die meisten der Platten waren etwa 5Ox60 cm groß und hatten löcher von ausgestanzten Schuhabsätzen. Eines Tages (nach dem Krieg Ende) luden sich drei jungen einen Handwagen mit diesen Platten voll und verhökerten sie als "Fussabtreter". Sie hatten mit ihrem Geschäft großen Erfolg. Das Beispiel machte Schule und nach kurzer Zeit sah man überall vor den Haustüren neue Fußabtreter liegen. Diese Platten wurden auch am häufigsten verheizt, denn sie ließen sich gut zerkleinern.

Einige der Berge und Halden auf dem Lagerplatz bestanden ausschließlich aus Akku-Kästen in jeder Form und Größe. Diese offensichtlich fabrikneuen Akkumulatorengehäuse bestanden aus Hartgummi und wurden, nicht nur von uns jungen, mit Begeisterung als Behältnisse für alle möglichen Zwecke verwendet. Außerdem gab es eine Unmenge von kurzen Schläuchen, mit und ohne Gewebeeinlage und auch Stangen aus Hartgummi. Einen "Gummiknüppel" hatte natürlich jeder von uns.
Darüber hinaus befanden sich auf dem großen Gelände Berge der schon erwähnten Autoreifen wie viele es waren, kann ich nicht sagen.

Kurz vor dem Ende des Krieges, am 14.3.1945, wurden bei dem letzten großen Luftangriff von dem Seelze betroffen war, große Mengen Gummi auf demLlagerplatz der Conti in Brand gesetzt. Es waren im wesentlichen Autoreifen die dabei verbrannten und weite Teile der Umgebung in schwarz-gelbe Rauchwolken hüllten.

Als der Platz nach der Kapitulation nicht mehr bewacht und für die Bevölkerung freigegeben wurde, sind tatsächlich, wie Heinrich Wittmeyer berichtete, in vielen Herden und Öfen in Seelze Gummistücke zum Heizen verwendet worden. Und nicht wenige Feuerstellen wurden dabei ruiniert. Daran war der hohe Ruß- und Schwefelgehalt des Gummis schuld. Der Ruß lagerte sich schnell im gesamten Feuerraum, im Abzugsrohr und im Schornstein ab. Es war eine schmierige Angelegenheit wenn eine Reinigung vorgenommen werden mußte, weil der Herd nicht mehr zog. Schornsteinbrände infolge starker Verrußung waren nicht selten. Selbstverständlich roch man es wenn irgendwo Gummi verheizt wurde.
(Wenn Holz verheizt wird, riecht man das ja auch.) Daß aber ganz Seelze und Umgebung zeitweilig nach verbranntem Gummi gestunken haben soll nahmen wohl nur die sensibelsten Nasen wahr.

Um 1950 wurde bei der Conti im Werk Limmer (früher Excelsior-Gummiwerke kurz Ex genannt) die Gummirückgewinnung (Regeneration) wieder in Betrieb genommen. Sie verbreitete einen intensiven Gummigeruch der bei Westwind bis nach Linden zog. Der größte Teil der in Seelze gelagerten Gummimassen wurde auf diese Weise schließlich wieder verwertet.

Der riesige Holzzaun, die Conti-Planke, ist zum Teil bei den Bombardements mit verbrannt. Ein Teil wurde als Feuerholz "organisiert" und der größte Teil der Bretter wurde schließlich, nachdem das Gelände nicht mehr bewacht wurde, an Conti-Bedienstete abgegeben.



Quellenangaben:

Seelzer Geschichtsblätter Heft 10
Herausgegeben von der Stadt Seelze

Kontaktadresse:
Stadtarchiv Seelze
Humboldstrasse 10
30926 Seelze

Tel. 05137 - 6069
Fax: 05137 – 877140
Mail: archiv@stadt-seelze.de
http://www.seelze.de/deutsch/stadtin...te/veroeff.php
Angehängte Grafiken
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Es grüßt der Michael
Rechtschreibfehler ??? Macht nix, wer welche findet darf sie auch ruhig behalten.
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