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Alt 12.08.2018, 22:10   #2
Lucius
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Tag 2
Nach einer kurzen, lauten Nacht (ich vergesse immer,wie hell und laut Grossstädte sind...) und ein paar Kaffee gehts dann per Fernbus weiter. Die 250 km nach Pisz und zurück kosten 10 €, hab ich schon vorher online gebucht. Netterweise gehört das Hostel zur Buslinie und bietet Rabatte für alle Fahrkarteninhaber, in Höhe von: 10 €...
Also bin ich heute gratis unterwegs.
Ein Blick aus dem Fenster offenbart Dreckswetter. Was in Mitteldeutschland seit Wochen fehlt, strömt hier im Übermaß vom Himmel. Was solls, es gibt kein unpassendes Wetter.
Ich lerne, Busbahnhöfe haben hier eine zentrale Funktion. Der Trubel braucht sich nicht hinter dem Berliner Hauptbahnhof verstecken. Auch das gastronomische Angebot ist üppig,bei absolut humanen Preisen.
Netterweise sind Bahnhof,Hotel und Busbahnhof unterirdisch verbunden,so dass ich trocken bis in mein heutiges Verkehrsmittel komme.
Der Bus ist zwar nicht der Neueste, hat aber freies WLAN.
Mit etwas Verspätung erreichen wir den Bahnhof/Busbahnhof von Pisz, früher Johannisburg. Der Bahnhof ist wahrlich kein Aushängeschild für die eigentlich recht hübsche Stadt. Immerhin gäbe er eine prima Kulisse für ein Endzeitdrama ab, es fehlen nur die Zombies...
Früher hatte Johannisburg als wichtiger Knotenpunkt einen recht ansehlichen Bahnhof im neogotischen Stil. Im Krieg zerstört, folgte in den 60er Jahren ein Zweckbau im kommunistisch sachlichen Stil, welcher aber seinen Zenit auch seit gefühlten 30 Jahren überschritten hat und eigentlich nur noch auf die Abrißbirne wartet.
Das Wetter passt ebenfalls zur mechacholischen Stimmung. Wie immer, wenn ich in Pisz bin, regnet es...
Johannisburg wurde in den Jahren 1940/41 und in der Wiederbefestigungsphase zu einer Riegelstellung ausgebaut. Westlich der Stadt sollten die von Osten her durchstossenden Russen gestoppt werden. Dazu errichtete man an der Stadtgrenze eine Reihe von Befestigungsbunkern und umgab die Stadt mit teilweise gefluteten Panzergräben.
Einen Großteil der Bauten hatte ich schon bei vorhergegangenen "Expeditionen" dokumentiert, nur zwei der sehenswertesten Exemplare waren mir bisher durch die Lappen gegangen. Am Museumsbunker werde ich dann auch vom privaten Betreiber und dessen Sohn erwartet.
Bis Mitte der 90er war der Bunker, ein Regelbau R502 mit Beobachtungskleinstglocke eher Abenteuerspieplatz der Dorfjugend und wurde als Mülldeponie benutzt.
Mit viel Liebe zum Detail wurde Stück für Stück der Innenraum des Doppel-Gruppenunterstandes wieder hergerichtet. Und, was in Polen nicht selbstverständlich ist, nicht mit marialischem Kitsch oder völlig übertriebenen Ausrüstungsunsinn vollgestopft. Nein, hier haben sich die Betreiber Mühe gegeben und viel Wert auf Authenzität gelegt.
Leider sind Spontanbesuche für deutsche Besucher schwierig, da die beiden nur telefonisch auf polnisch erreichbar sind.
Gut. Nach etwa einer Stunde waren die vier Räume des Bunkers allumfassend dokumentiert. Der Regen hatte zum Glück nachgelassen, also beschließe ich spontan, noch einen Ausflug "ins Grüne" ranzuhängen.
Im Frühjahr hatten wir bei ähnlichem Wetter beschlossen, einen der vielen kleinen Gruppenunterstände für eine spätere Reise übrigzulassen - also für mich, hier und heute...
Als ich im Unterholz oder besser Regenwald stehe, weiß ich wieder, warum wir hier abgebrochen hatten. Aber was ein echter Forscher ist... Nach gut 20 Minuten und intensivem Kontakt mit der örtlichen stechenden Fauna und Flora hab ich das Biest endlich aufgestöbert.
Der Unterstand liegt völlig frei in einer Kiesgrube, sämtlicher Sand und Kies wurden um den Bunker herum abgetragen. Erstmals sieht man die wahren Dimensionen dieses Betonklotzes, welcher ungewohnt riesig wirkt, sind doch sonst nur Teile der mit Tarnputz versehenen Vorderfront sichtbar.
Langsam muß ich wieder los, mein Bus wartet (nicht).
Natürlich hab ich auf dem Rückweg das herrlichste Wetter, pünktlich 20 Uhr rollen wir wieder auf dem Busbahnhof ein.
Warschau unterscheidet sich mit seinen neuen Autobahnen, Wolkenkratzern und renovierten Straßenzügen nur in zwei eklatanten Punkten von deutschen Großstädten wie Berlin oder Frankfurt. Erstens: Die Straßen sind sauber, nirgends liegt Müll oder Dreck, und zweitens: Es gibt kaum bis keine Grafftti-Schmierereien. Häuser,Schallschutzwände,Haltestellen, Züge,Busse- alles sauber und unbekrakelt.
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Optimismus ist, bei Gewitter in einer Kupferrüstung auf dem höchsten Berg zu stehen und Scheiß Götter! zu rufen.
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