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Alt 02.03.2008, 04:27   #1
sanitoeter2000
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Das Wirtshaus Aiging – ein Kulturdenkmal an der ehemaligen Römer- und Salzstraße

Am Hochufer der Traun steht mitten im Ort Aiging das stattliche Gebäude des Aiginger Wirtshauses. Es gehört zu den ältesten Bauten des Ortes Aiging und der Gemeinde Nußdorf und ist deshalb unter Denkmalschutz gestellt.

Die wechselvolle Geschichte dieses Wirtshauses reicht weit in die Vergangenheit zurück. Der Tradition nach wurde es erstmals 1471 urkundlich als Haltepunkt und Taverne der Salzfuhrwerke, die die Salzstraße von Traunstein über Altenmarkt nach Wasserburg benutzten, erwähnt.

Aiging – ein Ort mit Geschichte

Aiging selbst hat eine lange Geschichte. Der Ortsname »Aiging« ist ein Mischname, da er einen romanischen und einen germanischen Bestandteil enthält. Einerseits wird er von einem romanischen Personennamen »Aius« bzw. »Agius« abgeleitet.(1) Andererseits hat er die germanische Endung »ing« die auf die Entstehung der Siedlung zu Zeiten der Landnahme der Bajuwaren im 6. Jahrhundert nach Christus hinweist. Die nahe gelegenen Dörfer Litzlwalchen und Traunwalchen lassen erkennen, dass in dieser Gegend beim Abzug der römischen Besatzungsmacht um 500 nach Christus noch Siedler lebten, in denen sich keltische, germanische und römische Elemente vermischt hatten. Sie werden auch Walchen genannt, ein Name, der sich auf die romanisierten Kelten und die Romanen selbst bezieht.(2)

Der Ort Aiging liegt in einem Gebiet, das verkehrstechnisch bereits in keltisch-römischer Zeit erschlossen war. Denn von der großen Römerstraße zwischen Salzburg und Augsburg, die im Bereich der heutigen Stadt Traunstein die Traun überquerte, bogen Wege nach Norden ab. Einer davon führte entlang dem Hochufer der Traun nach Altenmarkt, wo er sich in Richtung Westen und Norden verzweigte.

Transportwege für das Salz

Besondere Bedeutung gewann diese Transportroute im Mittelalter für die Salzfuhrwerke, die das »weiße Gold« von Reichenhall über Traunstein auf der »oberen Salzstraße« zunächst über Truchtlaching, später über Altenmarkt (beide hatten wichtige Alzbrücken) nach Wasserburg und in den ganzen süddeutschen Raum und darüber hinaus beförderten. Dieser Transportweg war allerdings nicht unumstritten, denn eine weitere Straße, die »mittlere Salzstraße«, führte von Reichenhall über Schönram und Waging nach Altenmarkt, wodurch die Mautzahlung in Traunstein vermieden werden konnte. Die Salztransporte waren zeitweise durch viele Vorschriften und Bestimmungen reglementiert. Oft durfte das Salz von einem Fuhrwerk nur auf einer ganz bestimmten Teilstrecke befördert werden oder es musste auf einer genau vorgeschriebenen Route gefahren werden. In einer Urkunde aus dem Jahr 1456 beeideten 15 Bauern vor dem Traunsteiner Richter, »dass ihnen bekannt ist, dass Salz von Reichenhall nicht über die (»mittlere«) Straße nach Altenmarkt abtransportiert werden darf«.(3) Alle Zeugen stammten aus der näheren und weiteren Umgebung, so zum Beispiel Heinrich Strohmayr und Hans Kürchmayr von Nußdorf, Hans Reinthaller von Herbsdorf und Friedrich Kürchmayr von Sondermoning. Wir können davon ausgehen, dass diese Zeugen als Bauern aus der Umgebung den Transport von Salz im Nebenerwerb und als Anlieger der Salzstraße von Traunstein nach Wasserburg durchführten.

Da die Altstraße entlang dem Hochufer der Traun im 14. Jahrhundert immer särker frequentiert wurde, scheint sich der Bau der Raststation in Aiging als notwendig erwiesen zu haben. Man darf sich allerdings von dieser Straße keine falschen Vorstellungen machen. Sie bestand ursprünglich nur aus Fahrspuren auf dem gewachsenen Boden ohne jede Befestigung. Deshalb veränderten sich die Spuren je nach Zustand und Belastbarkeit. Im Gemeindebereich führte der Weg von Traunstein nach Weiderting, Aiging und weiter teilweise direkt entlang dem Steilufer der Traun über Herbsdorf, Biebing nach Matzing.

Um- bzw. Neubau des Wirtshauses Ende des 18. Jahrhunderts

Die Straßenverbindung von Traunstein nach Altenmarkt gewann mit der Zeit so sehr an Bedeutung, dass eine Teilstrecke zwischen Aiging und Biebing neu angelegt wurde. Die neue »Land- und Salz Straß nach Traunstein« von 1762 war 640 Schritte kürzer,(4) da sie nicht mehr Herbsdorf und Biebing berührte. Ihr Lauf entspricht in etwa dem der Bundesstraße. Das Verkehrsaufkommen muss also stark zugenommen haben, was zur Folge hatte, dass auch die Raststation erweitert werden musste. Denn das heutige stattliche Gebäude des Aiginger Wirtshauses geht auf einen Umbau zur Vergrößerung aus dem Jahr 1794 zurück, was durch die in Marmor gemeißelte Jahreszahl über der Eingangstüre dokumentiert ist.

Das bogenförmig gestaltete Türgerüst weist die barocke Form der Zeit des Umbaus Ende des 18. Jahrhunderts auf. Ein weiterer Hinweis dafür findet sich im ersten Obergeschoß. In einem großen Zimmer ist die Decke mit barockem Stuck verziert, in dessen Mitte als Symbol das Auge Gottes dargestellt ist. In einem weiteren Zimmer hat man früher die gleiche Stuckverzierung abgeschlagen.

Modell eines Chiemgauer Fuhrwagens

Eine weitere Kostbarkeit beherbergt die Wirtsstube: die Nachbildung eines Chiemgauer Fuhrwagenmodells. Ein zweites Modell soll es nur noch in Bergen geben.(5)

Dieses Modell ist eine Nachbildung eines im 18. und 19. Jahrhundert üblichen sechsspännigen Fuhrwerks zum Transport von schweren Gütern über lange Strecken. An ihm kann man erkennen, wie die »Fernlaster« früher ausgesehen haben. Dieses Modell stellt einen Weintransporter dar und das Original war in der Lage, ein Gewicht von 217 Zentner Wein als Ladegut von Straßburg nach Salzburg innerhalb von dreißig Tagen zu befördern. Dies geht aus einem Frachtbrief aus dem Jahr 1844 hervor, der im Wagenkasten des Modells aufbewahrt wurde.

Es ist nicht zu ermitteln, wer dieses Fuhrwagenmodell herstellte. Sicherlich diente es dem Wirtshaus in Aiging als aussagekräftiges Zunftzeichen. Denn es war nicht nur Wirtshaus für Reisende und Wanderer, sondern vor allem eine Rast- und Umspannstation für die Fuhrwerke, die entlang der Salzstraße ihre Güter transportierten, hauptsächlich Reichenhaller Salz, das meist in Scheiben in alle Landesteile verfrachtet wurde. Auf dem Rückweg bestand die Ladung aus Getreide oder Wein. Salz war in der damaligen Zeit ein kostbares Gut, das zum Würzen und vor allem zum Konservieren von Lebensmittel Verwendung fand.

Alte Flurkarten geben Auskunft über die Größe der Gebäude

Man kann sich heute kaum noch eine Vorstellung von der Größe des gesamten Gebäudekomplexes machen, da nur noch der Wohn- und Herbergsbereich erhalten ist. Das riesige Stall- und Stadelgebäude, das quer zum Wohnhaus stand wurde abgebrochen. Nur die Flurkarten aus den Jahren 1820 und 1852 können eine Vorstellung von der Größe dieses Wirtshauses und Bauernhofes vermitteln, da das Wirtschaftsgebäude auf dem Plan den größten Raum einnimmt. Vor allem der Vergleich mit den übrigen Häusern und Hofstellen und deren Freiflächen zeigt, dass es sich beim Aiginger Wirtshaus um eine bedeutende Einrichtung am Rande der Salzstraße handelte, als Rast- und Übernachtungsstation für mehrspännige schwere Fuhrwerke.

Die Raststation bot auch dem einschlägigen Handwerk Beschäftigungsmöglichkeiten. In einigen Hofnamen, die sich aus dem jeweilgen Handwerk ableiten lassen, lebt die Vergangenheit fort. Vor allem war ein Wagner notwendig, der Reparaturen erledigen konnte. Deshalb existiert in Aiging der Hofname »Wagner«. Es gibt dort zwar keinen Hofnamen »Schmied«; dieser aber findet sich im nahegelegenen Wang. Auch der »Weber«, ein Zubau zum Wirtshaus, scheint Arbeit bei den Salzfuhrleuten gefunden zu haben, da sie Planen aus Webstoff zum Abdecken der Ladung benötigten.

Nach dem Umbau von 1794 scheint das Aiginger Wirtshaus seinen Höhepunkt erreicht zu haben. Der Grundbesitz nahm zu, was vor allem in der Größe des neu erbauten Stall- und Stadelgebäudes in der Flurkarte von 1852 zum Ausdruck kommt. Jahrzehnte später jedoch ging es mit dem Wirtshaus bergab. Schuld daran war die veränderte Verkehrsituation, ausgelöst durch den Bau der Bahnverbindung Salzburg – München 1860 und der Nebenstrecke Traunstein – Trostberg 1891. Denn eine Flurkarte um 1900 zeigt, dass das Wirtschaftsgebäude bereits um die Hälfte verkleinert worden war. Dies deckt sich mit anderen urkundlichen Quellen, die auf mehrmaligen Besitzerwechsel des Wirtshauses um 1900 hinweisen, was zum Substanzverlust an Grund und Boden führte.

Der Güterverkehr hatte sich von der Straße auf die Schiene verlagert und die Pferdefuhrwerke waren für den Schwertransport überflüssig geworden.

In den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erlebte das Wirtshaus, wie alte Fotos beweisen, nochmals einen Aufschwung. Im Obergeschoß wurden Tanz- und Faschingsveranstaltungen abgehalten. Die landwirtschaftlichen Gründe aber wurden für den Bau von Einfamilienhäuser verkauft, so dass heute nur noch der unmittelbare Umgriff zum Wirtshaus gehört.

Trotz der schwierigen Lage in der Gastronomie, ist das Aiginger Wirtshaus heute noch in Betrieb.

Seit 2004 ist die Gemeinde Nußdorf Eigentümer des Wirtshauses. Der Nußdorfer Gemeinderat entschied sich zum Ankauf des Grundstücks und damit auch des denkmalgeschützten Hauses, um die Dorferneuerung in Aiging verwirklichen und das Gebäude erhalten zu können. Die Aiginger Dorfstruktur hat sich seit der Nachkriegszeit grundlegend verändert. Aus einem kleinen Dorf von acht Hausnummern im 19. Jahrhundert wurde eine Siedlung mit wenigen Bauernhöfen und zahlreichen Ein-, Zwei- und Mehrfamilienhäusern.

Nun besteht die einmalige Gelegenheit, diesem Dorf einen attraktiv gestalteten Mittelpunkt zu geben, der zum Verweilen und zur Kommunikation einlädt, um das soziale Miteinander wieder zu beleben. Das kulturelle Erbe zu bewahren, ist eine der Aufgaben der Kommune. Denn was macht unsere Dörfer schön und attraktiv? Es sind nicht die neuen, teils gesichtslosen Siedlungen, die die Dörfer umgeben, sondern es ist die alte Dorfstruktur, die aus stattlichen Gehöften meist aus dem 19. Jahrhundert und kirchlichen und öffentlichen Baudenkmälern besteht. Die heutige Gesellschaft verlangt nach dem Erhalt des kulturellen Erbes, weil es Zeichen von Kontinuität und Stabilität ist. Das ist auch der Grund, weshalb viele alte Bauten wieder renoviert und einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden.

JI


1: Ortsnamen auf »ing« im Kreis Traunstein von Prof. Karl Puchner, in: Licht ins Dunkel der Geschichte, Franz Ebert, 1983
2: Irmtraud Heitmeier, Ortsnameninterpretation und Siedlungsgeschichte, in: ZBLG 53 (1990), S. 578
3: Stadtarchiv Traunstein, Urk.Nr. 65
4: HStAM, PLS Nr. 2114 und 7470
5: Zwei Chiemgauer Fuhrwagenmodelle von Franz Baumeister, in: Chiemgau-Blätter, Unterhaltungsmagazin zum Traunsteiner Wochenblatt, 1961, Nr. 49

QUELLE: http://www.traunsteiner-tagblatt.de/...emg.php?id=468
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"Wer nur dass tut was er immer getan hat, bekommt nur das was er immer bekommen hat!"

Ich arbeite offen & ehrlich mit den Ämtern zusammen - offiziell & ehrlich mit Genehmigung - so wie es sein soll!!
"Wer ohne eine NFG nach Bodendenkmälern sucht, egal ob auf dem Acker, im Wald oder auf Gräbern bzw. in diesen, macht dies illegal!"
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