SammelRez. aus H-Soz: Bombenkrieg

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    • NRW. Ruhrstadt Essen. Kulturhaupstadt 2010

    #1

    SammelRez. aus H-Soz: Bombenkrieg

    Allgemein
    Bönitz, Wolfgang, Feindliche Bomberverbände im Anflug. Zivilbevölkerung
    im Luftkrieg. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag, 2003. 240 S.; ISBN
    3746681057; EUR 8,50.

    Burgdorff, Stephan und Christian Habbe (Hg.), Als Feuer vom Himmel fiel.
    Der Bombenkrieg in Deutschland. München: DVA, 2003. 253 S.; ISBN
    342-105-7559; EUR 24,90.

    Foedrowitz, Michael, Luftschutztürme und ihre Bauarten 1934-1945.
    Eggolsheim: Nebel, o. J. (2003). 80 S.; ISBN 3895550965; EUR 10,95.

    Röhl, Klaus Rainer, Verbotene Trauer. Die vergessenen Opfer. München:
    Universitas, 3. Aufl., 2004. 238 S.; ISBN 3800414236; EUR 19,90.


    Hamburg
    Bahnsen, Uwe und Kerstin von Stühmer, Die Stadt, die sterben sollte.
    Hamburg im Bombenkrieg, Juli 1943. Hamburg: Convent, 2003. 128 S.; ISBN
    3934613551; EUR 19,90.

    Brunswig, Hans, Feuersturm über Hamburg. Die Luftangriffe auf Hamburg im
    2. Weltkrieg und ihre Folgen. Stuttgart: Motorbuch Verlag Pietsch,
    Spezialausgabe 2003. 470 S.; ISBN 3613023679; EUR 14,90.

    Hanke, Christian und Joachim Paschen, Hamburg im Bombenkrieg 1940-1945.
    Das Schicksal einer Stadt. Hrsg. vom Landesmedienzentrum Hamburg.
    Hamburg: Medien Verlag Schubert, 3. überarbeitete Auflage, 2003. 143 S.;
    ISBN 379451761X; EUR 25.

    Hoffmann, Egbert A., Als der Feuertod vom Himmel stürzte. Hamburg Sommer
    1943. Gudensberg-Gleichen: Wartberg Verlag, 2003. 47 S.; ISBN
    3-8313-1389-X; EUR 9,90.


    Kassel
    Huber, Jörg Adrian, Die Nacht als Kassel unterging: 22. Oktober 1943.
    Deutsche Städte im Bombenkrieg. Gudensberg-Gleichen: Wartberg Verlag,
    2003. 64 S.; ISBN 3-8313-1366-0; EUR 17,80.


    Die Nacht, als die Flut kam. Die Bombardierung der Edertalsperre 1943.
    Das Buch zur Serie der HNA. Gudensberg-Gleichen: Wartberg Verlag, 2003.
    48 S.; ISBN 3-8313-1373-3; EUR 10.

    Siemon, Thomas und Werner Dettmar, Der Horizont in hellen Flammen. Die
    Bombardierung Kassels am 22. Oktober 1943. Das Buch zur Serie der HNA.
    Gudensberg-Gleichen: Wartberg Verlag, 2003. 48 S.; ISBN 3-8313-1391-1;
    EUR 10.


    Westdeutschland
    Kremers, Elisabeth, Die Nacht in der Krefeld unterging: 22. Juni 1943.
    Deutsche Städte im Bombenkrieg. Gudensberg-Gleichen: Wartberg Verlag,
    2003. 63 S.; ISBN 3-8313-1339-3; EUR 17,80.

    Rogge, Rolf und Armin Schulte, Solingen im Bombenhagel: 4. und 5.
    November 1944. Deutsche Städte im Bombenkrieg. Hrsg. vom Stadtarchiv
    Solingen. Gudensberg-Gleichen: Wartberg, 2003. 64 S.; ISBN
    3-8313-1282-6; EUR 17,80.

    Steinacker, Olaf, Bombenkrieg über Düsseldorf. Nach einer Serie in der
    Westdeutschen Zeitung von Marc Heringer und René Schleucher.
    Gudensberg-Gleichen: Wartberg, 2003. 63 S.; ISBN 3-8313-1329-6.; EUR
    17,80.

    Volmerich, Oliver, Als der Feuertod vom Himmel stürzte. Dortmund
    1943-1945. Deutsche Städte im Bombenkrieg. Gudensberg-Gleichen:
    Wartberg, 2003. 63 S.; ISBN 3831313377; EUR 16,80.


    Süddeutschland
    Förschler, Andreas, Unser Stuttgart geht unter. Die Bombenangriffe im
    Juli und September 1944. Hrsg. vom Landesmedienzentrum
    Baden-Württemberg. Deutsche Städte im Bombenkrieg. Gudensberg-Gleichen:
    Wartberg, 2004. 63 S.; ISBN 3-8313-1364-4; EUR 17,80.

    Hils-Brockhoff, Evelyn und Tobias Picard, Frankfurt am Main im
    Bombenkrieg. März 1944. Gudensberg-Gleichen: Wartberg, 2004. 63 S.; ISBN
    3-8313-1338-5; EUR 17,80.

    Keller, Volker, Mannheim im Bombenkrieg 1940-1945. Gudensberg-Gleichen:
    Wartberg, 2003. ISBN 3-8313-1372-5; EUR 17,80.

    Klugermann, Günther, Feuersturm über Freiburg. 27. November 1944.
    Gudensberg-Gleichen, Wartberg Verlag, 2003. 63 S.; ISBN 3-8313-1335-0;
    EUR 17,80.

    Schmidt, Klaus, Die Brandnacht. Dokumente von der Zerstörung Darmstadts
    am 11. September 1944. Darmstadt: Schlapp, Neuauflage 2003. 250 S.; ISBN
    3877040535; EUR 22,00.


    Sonstige Städte
    Ballerstedt, Maren und Konstanze Buchholz, Es regnet Feuer! Die
    Magdeburger Schreckensnacht am 16. Januar 1945. Deutsche Städte im
    Bombenkrieg. Gudensberg-Gleichen: Wartberg, 2003. 63 S.; ISBN
    3-8313-1367-9; EUR 17,80.

    Bohl, Hans-Werner /Bodo Keipke / Karsten Schröder (Hrsg.), Bomben auf
    Rostock. Krieg und Kriegsende in Berichten, Dokumenten, Erinnerungen und
    Fotos, 1940-1945. Rostock: Konrad Reich Verlag, 2. Auflage 2003. 238 S.;
    ISBN 3-86167-071-2.

    Heinzelmann, Martin, Göttingen im Luftkrieg 1935-1945. Göttingen: Verlag
    Die Werkstatt, 2003. 95 S.; ISBN 3895334243; EUR 9,90.

    Horn, Brigit, Die Nacht, als der Feuertod vom Himmel stürzte. Leipzig 4.
    Dezember 1943. Deutsche Städte im Bombenkrieg. Gudensberg-Gleichen:
    Wartberg, 2003. 63 S.; ISBN 3-8313-1340-7; EUR 14,90.

    Kellerhoff, Sven F. und Wieland Giebel, Als die Tage zu Nächten wurden.
    Berliner Schicksale im Luftkrieg. Berlin: Giebel Verlag, 2003. 237 S.;
    ISBN 3929829126; EUR 14,80.

    Neutzner, Matthias (Hrsg.), Martha Heinrich Acht. Dresden 1944/45.
    Interessengemeinschaft "13. Februar 1945" e.V. Dresden: Verlag der Kunst
    Dresden, vierte durchgesehene Aufl., 2003. 224 S.; ISBN 3-364-00606-7;
    EUR 22,00.


    Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
    Jörg Arnold, History Department, University of Southampton
    E-Mail: <ja1@soton.ac.uk>

    In einer Rezension für H-Soz-u-Kult hat Ralf Blank auf das
    Spannungsverhältnis aufmerksam gemacht, das zwischen den Ergebnissen der
    historischen Forschung zum "strategischen Luftkrieg" im Zweiten
    Weltkrieg auf der einen Seite besteht und der populären Tradierung des
    "Bombenkrieges" auf der anderen.[1] Diese Spannung trat im Oktober 2002
    mit der Publikation von Jörg Friedrichs "Der Brand - Deutschland im
    Bombenkrieg" in neuer Schärfe hervor: Dem abwinkenden "nichts Neues" der
    fachwissenschaftlichen Zunft stand der überwältigende Publikumserfolg
    und die breite mediale Rezeption des Buches als "Tabubruch"
    gegenüber.[2] Mögen ausgewiesene Kenner der Materie Friedrichs
    Darstellung mit "kleinkarierter Nörgelei und dem Pathos der Alarmierten"
    (Bernd Greiner) aufgenommen haben, im Kontext lokaler
    Gedenkveranstaltungen aus Anlass des 60. Jahrestages schwerer
    Luftangriffe ist der Autor ein viel nachgefragter Ehrengast.[3]

    Friedrichs Buch, welches - wie oft bemerkt - vor allem auf einer
    Auswertung von Stadtchroniken, "Dokumentar"- und "Erfahrungsberichten"
    beruht, hat seinerseits eine Fülle neuer Publikationen gleichen Genres
    angeregt, von denen eine Auswahl in dieser Sammelrezension vorgestellt
    werden soll. Die insgesamt achtundzwanzig Neuauflagen und
    Neuerscheinungen sollen dabei nicht in erster Linie als Beiträge zur
    wissenschaftlichen Forschung beurteilt, sondern als Indikatoren der
    gegenwärtigen Erinnerungskultur gelesen werden.[4] Dies entspricht
    durchaus dem Selbstverständnis der Texte, die sich explizit oder
    implizit der mahnenden Erinnerung verschrieben haben. Im Vordergrund der
    Rezension steht deshalb weniger die Frage nach dem wissenschaftlichen
    Gehalt als nach den tradierten Geschichtsbildern, nach Perspektive,
    Kontext, Darstellungsmodus und Wertung. Wie nähern sich die Verfasser
    ihrem Gegenstand, wie wird dieser definiert? In welche Kontexte wird das
    erzählte Geschehen eingeordnet? Welcher Medien bedienen sich die Texte,
    wer kommt zu Wort, welche Sprache wird gesprochen? Und schließlich:
    Welche Urteile werden gefällt, und wie verhalten sich diese zu den
    Ergebnissen der fachhistorischen Forschung?

    Der Zyklus der Veröffentlichungen folgt der Chronik des strategischen
    Luftkrieges gegen das Deutsche Reich, oder genauer: er eilt dieser
    voraus. Stand die Publikationswelle des Jahres 2003 im Zeichen der
    sechzigsten Wiederkehr des "Katastrophenjahres 1943" (Olaf Groehler),
    greifen die Neuerscheinungen des Frühjahrs 2004 auf das "Herbstinferno"
    des Jahres 1944 vor. Dabei haben sich zwei Schwerpunkte
    herauskristallisiert. Erstens wird aus lokaler Perspektive die
    Geschichte von Städten dargestellt, die schweren und schwersten
    Luftangriffen ausgesetzt waren: so sind etwa zu Hamburg aus Anlass des
    sechzigsten Jahrestages der "Juli-Katastrophe" von Ende Juli 1943 sechs
    Neu- und Wiederveröffentlichungen erschienen,[5] zu Kassel im Gedenken
    an "die Zerstörung" vom 22. Oktober 1943 immerhin drei. Allein die bei
    Wartberg verlegte Reihe "Deutsche Städte im Bombenkrieg" weist bisher
    elf Einzeltitel auf, weitere sind in Vorbereitung. Zweitens sind eine
    Anzahl von Gesamtdarstellungen veröffentlicht worden, von denen hier die
    Buchform der SPIEGEL-Serie "Als Feuer vom Himmel fiel" sowie die
    Darstellung von Wolfgang Bönitz, "Feindliche Bomberverbände im Anflug"
    besprochen werden sollen. Darüber hinaus haben vereinzelt auch
    Gemeinwesen Interesse auf sich gezogen, die in der bisherigen Topografie
    des "Bombenkrieges" schlechterdings überhaupt nicht vorkamen, wie etwa
    Göttingen in der Darstellung Martin Heinzelmanns.

    Auffällig ist das starke Engagement der Lokalpresse. In Buchform werden
    zeitgeschichtliche Serien zusammengefasst oder auch die Ergebnisse von
    "Leseraktionen" vorgestellt. Damit präsentiert sich die Lokalpresse als
    Träger lokaler Erinnerungskultur und somit in einer Rolle, die sie
    örtlich bereits seit kurz nach Kriegsende einnimmt. Daneben treten die
    Institutionen der kommunalen Selbstverwaltung hervor, als Herausgeber
    oder auch als Schirmherr. Geschrieben wurden die meisten Darstellungen
    von Journalisten, seltener von Heimathistorikern.

    Der Gegenstand: die "Zerstörung" "unserer Stadt"

    Die Texte bedienen lokale Erinnerungsmärkte und spiegeln gleichzeitig
    die Ausprägungen lokaler Erinnerungskulturen wider. Bei allen
    Unterschieden im einzelnen, die neben den individuellen
    Schwerpunktsetzungen der Autoren sowohl unterschiedlichen Erfahrungen im
    Luftkrieg als auch Nuancierungen in den erinnerungskulturellen
    Traditionen geschuldet sind, zeichnen sich die Darstellungen durch ein
    überraschend hohes Maß gemeinsamer Grundannahmen und Darstellungsmodi
    aus. Dies gilt vor allem für die Serie "Deutsche Städte im Bombenkrieg"
    des Wartberg-Verlags, dessen Einzelpublikationen die lokalen Buchmärkte
    im Erinnerungsjahr 2004 dominieren. Das Thema der Reihe ist nicht so
    sehr die Darstellung des Luftkrieges aus lokalgeschichtlicher
    Perspektive, auch nicht eigentlich eine Sozialgeschichte des
    (Luft-)Krieges. Vielmehr geht es um die Veranschaulichung der
    materiellen und menschlichen Auswirkungen des alliierten "Bombenkrieges"
    auf das eigene Gemeinwesen. Dies geschieht über die Darstellungsmodi der
    historischen Fotografie und des retrospektiven Augenzeugenberichtes.
    Andreas Förschler hat seinem Band über Stuttgart den programmatischen
    Titel gegeben "Unser Stuttgart geht unter", während Maren Ballerstedt
    und Konstanze Buchholz im Vorwort ihres Buches über Magdeburg, "Es
    regnet Feuer!", schreiben: "Mit diesem Buch soll ein Bild von Magdeburg,
    vom Leben in dieser Stadt aus der Zeit vor, während und nach der
    verhängnisvollen Zerstörung vermittelt werden" (S. 3).

    Im Mittelpunkt stehen die erfahrungsgeschichtliche Dimension und die
    Veränderung des Stadtbildes in Folge der uneingeschränkten
    Flächenbombardements. Das Gemeinwesen setzt sich zusammen aus "ganz
    normalen" Krefeldern, Solingern oder Kasselern: Zwangsarbeiter sowie
    rassisch und politisch Verfolgte kommen allenfalls als Statisten vor,
    ebenso wie Funktionsträger der NSDAP und ihrer Gliederungen. Die
    Erfahrungsebene konzentriert sich auf die entnazifizierte, ethnisch
    homogene "Stadtgemeinschaft". Auch "ganz normale" Stadtbewohner
    verschwinden allerdings aus dem Blickfeld, sobald sie den geografischen
    Raum der Stadt verlassen, sei es als Wehrmachtssoldaten, Evakuierte oder
    "Ausgebombte". Selten einmal wird der Versuch unternommen, der Vielzahl
    von Zeitzeugenberichten die Perspektive einer rassisch Verfolgten an die
    Seite zu stellen, wie etwa in Volker Kellers Band über Mannheim (S. 36
    u. 59). Dasselbe gilt für den Darstellungsmodus des Bildes: Wenn Evelyn
    Hils-Brockhoff und Tobias Picard in ihrem Buch über Frankfurt in einer
    beeindruckenden Farbsequenz die enge Verquickung von Stadtgeschichte,
    Nationalsozialismus und Verfolgung aufzeigen (S. 14-21), so stehen dem
    eine Vielzahl von romantisierenden Aufnahmen gegenüber, die etwa, wie in
    Brigit Horns Band über Leipzig, mit "schönes altes Leipzig"
    überschrieben sind (S. 4-13).

    Die vorherrschende Erzählhaltung ist die der Empathie: dem Bemühen um
    sachliche oder zuweilen auch kritische Distanz, das noch in vielen
    Darstellungen der 1980er und 1990er-Jahre nachzuweisen ist, ist die
    vorbehaltlose Identifikation mit den Opfern des Luftkrieges gewichen.[6]
    Günther Klugemann etwa spricht in seinem Vorwort zu "Feuersturm über
    Freiburg" von der "tiefen Betroffenheit" und dem "intensiven Grimm", den
    die Beschäftigung mit dem Thema in ihm ausgelöst habe; Olaf Steinacker
    in seiner Sammlung von Zeitzeugenberichten über Düsseldorf von dem
    "Respekt" und dem "Dank", der den Menschen dafür gebühre, "diese
    schreckliche Zeit zu vergegenwärtigen" (S. 6). Mit der nachholenden
    Empathie geht eine Verschiebung des Akzents einher: der Stolz der
    Zeitgenossen über die erfolgreiche "Bewältigung" wird verdrängt vom
    Entsetzen der Nachgeborenen über das Ausmaß der Schäden und
    Menschenverluste sowie einer neuen Sensibilität für die Langzeitfolgen
    der Städtebombardierungen. Beispielhaft hierfür mag das Schlusskapitel
    des vom Landesmedienzentrum Baden-Württemberg herausgegebenen Bandes
    über Stuttgart stehen, das mit "Spuren der Vergangenheit" überschrieben
    ist und neben Gräbern und Gedenksteinen zivil genutzte Luftschutzbunker
    zeigt.
    (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!
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    #2
    "Die Nacht, in der Krefeld unterging: 22. Juni 1943" von Elisabeth
    Kremers kann als typisches Beispiel für die oben grob skizzierte Art der
    Thematisierung dienen. Der Band ist Bestandteil zweier Serien: neben der
    Reihe "Deutsche Städte im Bombenkrieg" gehört er ebenfalls zur Reihe
    "Bilder aus Krefeld". Der Titel verweist auf die teleskopische
    Konzentration des gesamten Luftkrieges (und zu einem gewissen Grad auch
    des Zweiten Weltkrieges) auf die "eine" Nacht, in der entweder das
    "historische Gesicht" der Stadt, in der Regel die Altstadt, zerschlagen
    wurde oder besonders viele Opfer zu beklagen waren. Im Falle Krefelds
    fiel beides zusammen: der Nachtangriff der RAF vom 22. Juni 1943 kostete
    nach Angabe der Verfasserin 1036 Krefeldern das Leben und zerstörte
    einen großen Teil der Innenstadt und der nördlichen Stadtteile (S. 4).
    Der 63 Seiten umfassende, reich bebilderte Text setzt den Titel dann
    jedoch nicht um, sondern ist um eine zeitliche Auffächerung des
    Geschehens bemüht. Die zwölf Abschnitte umspannen einen Zeitraum von
    Mitte der 1930er bis Mitte der 1960er-Jahre: Einem zweiseitigen Vorwort
    folgt das Kapitel "Stadtansichten vor der Zerstörung", während das
    chronologische Abschreiten der sukzessiven Zerstörung Krefelds den
    Hauptteil des Buches ausmacht. Daran schließen sich vier kurze Kapitel
    zur Nachgeschichte an, die mit "Die Kriegsschäden sind noch lange
    sichtbar" enden. Die Tendenz, neben dem "einen" Großangriff, welcher die
    lokalen Gedenkveranstaltungen dominiert, auch den anderen, "vergessenen"
    Angriffen mehr Raum zu geben und dadurch in das öffentliche Bewusstsein
    zurückzuholen, findet sich in vielen der neueren Veröffentlichungen.

    Das Vorwort macht Perspektive und Anliegen des Buches deutlich. Kremers
    begreift sich als Teil einer Wir-Gruppe, welche die Autorin, die
    Leserschaft und die anthropomorphisierte Stadt umfasst: es geht um
    "unsere Stadt" (S. 4) und deren Veränderung im "Bombenkrieg" und
    "Wiederaufbau". Der Text ist bestimmt vom Spannungs- und
    Konkurrenzverhältnis zweier Narrative: einer Geschichte vom Verlust und
    einer Geschichte vom Erfolg. Großformatige Bilder vom zerstörten Krefeld
    führen drastisch die materiellen, kulturellen und menschlichen Kosten
    des Luftkrieges vor Augen; Bilder vom Leben in den Trümmern hingegen
    veranschaulichen das trotzige "Dennoch" einer Stadt und ihrer Bewohner,
    die Opfer eines Vernichtungswillens wird und "am Leben" bleibt. Der
    Wiederaufbau allerdings, der vergleichbaren Darstellungen noch der
    1970er-Jahre als sichtbarer Ausdruck des lokalen Behauptungswillen galt,
    gerät hier ebenfalls in die Kritik. Den "großen Wandel im Gesicht der
    Stadt [brachten] aber die 50er und 60er Jahre", wie Kremers feststellt
    (ebd.). Damit wird ein weit verbreitetes Unbehagen über das
    Erscheinungsbild der deutschen Städte ausgedrückt, welches sich
    andernorts bisweilen als Kritik an der "zweiten" oder sogar an der
    "eigentlichen" Zerstörung artikuliert.

    Findet sich Kremers' Perspektive in vielen der hier zu behandelnden
    lokalgeschichtlichen Texte wieder, so verfolgen die beiden
    Gesamtdarstellungen, Wolfgang Bönitz'
    "Feindliche Bomberverbände im Anflug" und der von den
    SPIEGEL-Redakteuren Stephan Burgdorff und Christian Habbe herausgegebene
    Sammelband "Als Feuer vom Himmel fiel", einen umfassenderen Ansatz. Zwar
    hat der 1931 in Elsdorf (Sachsen) geborene Heimathistoriker Bönitz
    seinem im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienenen Buch den Untertitel
    "Zivilbevölkerung im Luftkrieg" gegeben. Der solide recherchierte Text
    jedoch beschränkt sich nicht auf diesen Teilaspekt, sondern liefert in
    Anlehnung an Olaf Groehlers' 1990 erschienenes Standardwerk "Bombenkrieg
    gegen Deutschland" eine militärgeschichtliche Darstellung des
    strategischen Luftkrieges mit sozialgeschichtlichen Einschlägen. In
    seinem Vorwort verweist der Autor auf die persönliche
    Erfahrungsdimension und leitet daraus seine Motivation zum Schreiben des
    Buches ab. Aus dem eigenen Erleben des alliierten Luftkrieges als "12
    bis 14jähriger Schüler in einer kleinen sächsischen Stadt" sei der
    Wunsch entstanden, "vor allem für meine Enkel und ihre Altersgefährten
    diese schlimme Zeit zu beschreiben" (S. 7).

    Der knapp 210 Seiten umfassende, in sechzehn kurze Kapitel gegliederte
    Text lässt sich in zwei große Abschnitte einteilen. Teil eins (S. 9-150)
    zeichnet die Entwicklung der Luftkriegführung und -strategie von den
    Anfängen im Ersten Weltkrieg über die Kolonialkriege der
    Zwischenkriegszeit bis zur Eskalation im Spanischen Bürgerkrieg und im
    Zweiten Weltkrieg nach. Der Schwerpunkt liegt auf dem alliierten
    strategischen Luftkrieg gegen das Deutsche Reich zwischen 1940 und 1945,
    aber relativ ausführlich eingegangen wird auch auf die deutschen
    Luftangriffe von 1939 bis 1941. Diese im wesentlichen an der Chronologie
    der Ereignisse orientierte Darstellungsweise mag zwar wenig originell
    sein, besitzt aber im Vergleich zu Jörg Friedrichs geografischem
    Vorgehen in "Der Brand" den Vorteil, die schrittweise Entgrenzung des
    Luftkrieges vor dem Hintergrund einer sich wandelnden militärischen
    Gesamtlage anschaulich und zu einem gewissen Grade auch nachvollziehbar
    zu machen. Ein weiterer Vorzug von Bönitz' Darstellung - diesmal im
    Vergleich zu dem Werk von Olaf Groehler - besteht darin, dass auch die
    Angriffe des Frühjahrs 1945 ausführlich dargestellt werden, vor allem
    insoweit davon das Gebiet der ehemaligen DDR betroffen war. Der kürzere
    zweite Teil (S. 150-199) widmet sich sozialgeschichtlichen Aspekten des
    Luftkrieges: der Alltagserfahrung im Bombenkrieg, der sozialen Lage der
    Evakuierten, "Kinderlandverschickten" und "Ausgebombten", aber auch den
    Industrieverlagerungen und dem Wohnraummangel.

    Daran schließt sich eine differenzierte "Nachbetrachtung" an, in welcher
    der Autor den strategische Luftkrieg - und hier vor allem: das moral
    bombing - einer abschließenden Beurteilung unterzieht (S. 200-220).
    Bönitz kehrt die unter anderem von Richard Overy vertretene These um,
    wonach die uneingeschränkten Flächenbombardements "barbarisch aber
    sinnvoll" gewesen seien, weil sie ein erhebliches deutsches
    Militärpotential gebunden hätten.[7] Bönitz fragt demgegenüber, um wie
    viel größer die "Wirkung dieser Waffen hätte sein können, wenn sie vor
    allem auf militärische und rüstungswirtschaftlich bedeutsame Ziele
    gerichtet gewesen wären" (S. 217). Indem der Verfasser zusammenfassend
    die internen und öffentlichen Kontroversen über die Strategie des Bomber
    Command nachzeichnet, gelingt es ihm, die Diskussion um den
    "Bombenkrieg" aus einem behavioristischen Reiz-Reaktions-Schema zu lösen
    und mögliche Handlungsalternativen aufzuzeigen. Beachtenswert ist, dass
    Bönitz auch auf deutscher Seite - und hier besonders bei der Generalität
    - auf mögliche Alternativen zum trotzigen Aushalten und Hoffen auf eine
    Wende wider alle Vernunft hinweist. Warum, so fragt er, habe die
    Generalität nicht den "Mut, die Zivilcourage und die Intelligenz" dazu
    aufgebracht, den bereits verlorenen Krieg zu beenden.

    Einen noch umfassenderen Ansatz verfolgt der Sammelband "Als Feuer vom
    Himmel fiel. Der Bombenkrieg in Deutschland". Es handelt sich dabei um
    die Buchform der fast gleichnamigen SPIEGEL-Serie vom Frühjahr 2003, die
    als Einzelpublikation auch schon als SPIEGEL spezial NR. 1/2003
    erschienen ist. Der Band versteht sich als ein Beitrag zur öffentlichen
    Debatte um den Bombenkrieg und seiner (deutschen) Opfer, der jenseits
    "larmoyanter Schuldzuweisungen" zu einer "lebhaften, kontrovers
    geführten Diskussion" beitragen möchte (Vorwort, S. 9). Als Verfasser
    der insgesamt 33 Einzelaufsätze zeichnen in der Regel Redakteure des
    Hamburger Nachrichtenmagazins. Daneben kommen aber mit Hans-Ulrich
    Wehler, Hans Mommsen und anderen auch renommierte Zeithistoriker zu
    Wort, vor allem - wie das Vorwort extra betont - aus der
    "Zeitzeugengeneration". Die Einzelbeiträge stecken einen weiten
    thematischen Rahmen ab, der sich von militär- und
    strategiegeschichtlichen über sozial- bis zu kulturgeschichtlichen
    Aspekten erstreckt. Daneben wird auch die moralische Dimension des
    alliierten Luftkrieges sowie dessen Relevanz für die Gegenwart
    diskutiert.

    Insgesamt sieben Abschnitte ordnen die Einzelbeiträge: Dem Essay "Grauen
    und Gerechtigkeit" des Berliner Theologieprofessors Richard Schröder
    folgt als Übersicht "Der Luftkrieg über Europa". "Hitlers Bombenterror"
    behandelt die Angriffe der deutschen Luftwaffe im Spanischen Bürgerkrieg
    und in den Jahren 1939-1942, während "Deutschland im Feuersturm" den
    strategischen Luftkrieg der Alliierten 1940-1945 darstellt und die
    Folgen für die Kriegsmoral erörtert. "Kriegsrecht und Moral" widmet sich
    dem Problem der ethisch-rechtlichen Bewertung und der Frage nach den
    "Lehren" für die Gegenwart. "Die Schlacht am Himmel" hingegen
    thematisiert das Geschehen als Krieg im eigentlichen Sinne, als
    militärische Auseinandersetzung zwischen alliierten Bombern und
    Begleitjägern auf der einen und deutscher Luftabwehr auf der anderen
    Seite. Die beiden abschließenden Kapitel, "Leben in Trümmern" und "Die
    Folgen der Zerstörung", schließlich fragen in sozial- und
    kulturgeschichtlicher Perspektive nach den materiellen und psychischen
    (Langzeit)Folgen der Flächenbombardements.

    Auf die Einzelbeiträge, die teils empirisch, teils essayistisch angelegt
    sind, kann hier nicht gesondert eingegangen werden. Im Rahmen dieser
    Sammelbesprechung sollen lediglich zwei Grundtendenzen herausgearbeitet
    werden, die für den gegenwärtigen Erinnerungsdiskurs kennzeichnend
    scheinen. Bereits die Kapitelüberschriften verweisen auf einen
    Sprachduktus, der sich auch durch viele Einzelbeiträge zieht. Hitlers
    Name fungiert bevorzugt dann als Platzhalter, wenn von Deutschen zu
    verantwortendes Handeln thematisiert wird, wie etwa in "Hitlers
    Bombenterror". Ist hingegen von Erlittenem die Rede, finden wir
    Formulierungen wie "die Deutschen", "die Städte" oder "die
    Zivilbevölkerung". Der selbstverständliche Rückgriff auf Dämonisierung
    und Externalisierung einerseits, Entnazifizierung und Universalisierung
    andererseits unterstreicht die Langlebigkeit von Deutungsmustern, die
    der Forschung allgemein als charakteristisch für den Erinnerungsdiskurs
    der 1950er und 1960er-Jahre gelten. Neben diesen Traditionsbeständen
    spiegeln viele Beiträge aber auch den Paradigmenwechsel in der
    Erinnerungskultur der 1980er und 1990er-Jahre wider, wie er
    beispielsweise in der viel beachteten Rede Richard von Weizsäckers zum
    40. Jahrestag des Kriegsendes formuliert wurde.
    (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!

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    • kapl
      Landesfürst

      • 30.08.2002
      • 719
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      #3
      Gerade dieser Wandel in der Bewertung des Zweiten Weltkrieges ist es,
      aus welchem sich eine neue Irritation über den alliierten Luftkrieg zu
      speisen scheint - eine Irritation, die in vielen Beiträgen des
      Sammelbandes greifbar ist. In dem Maße, in welchem die Nachgeborenen der
      "Volksgenossen" des Dritten Reiches den 8. Mai 1945 als "Befreiung"
      statt als "deutsche Katastrophe" begreifen, erscheinen Kriegshandlungen
      der Alliierten um so verstörender, die sich noch in den letzten Monaten
      des Krieges nicht nur gegen das Militär und Repräsentanten des
      NS-Regimes richteten, sondern im Sinne einer totalen Kriegsführung gegen
      alle Bewohner des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten.
      Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die verkürzende Beschreibung
      des Zieles des strategischen Luftkrieges als Versuch, das deutsche Volk
      gegen "die braunen Zwingherren auf[zu]bringen" (S. 9). Wird ein nicht
      näher imaginierter "Volksaufstand" zum alleinigen Maßstab, muss das
      Ausbleiben desselben als Beleg für das Scheitern der alliierten
      Strategie dienen. Mehr noch: "Die Bomber" werden sogar in Anlehnung an
      die These von der "zweiten Machtergreifung" der NSDAP zu "Helfern
      Hitlers".[8]

      Die "moralische Verstörung" (Klaus Naumann) findet sich kondensiert in
      der Debatte um die ausgebliebene Bombardierung des Konzentrations- und
      Vernichtungslagers Auschwitz.[9] Warum, fragt der SPIEGEL-Redakteur Hans
      Michael Kloth in einem Beitrag, wurde die "Todesfabrik der Nazis" nicht
      angegriffen, obwohl den Alliierten doch seit 1942 zuverlässige
      Informationen über den planmäßigen Judenmord zugegangen seien.
      Sachkundig erörtert der Verfasser eine Vielzahl von Faktoren, die einem
      Angriff entgegenstanden: die Bewertung möglicher Einsatzziele nach den
      Kriterien des militärischen Nutzens, die technischen Schwierigkeiten,
      die Kürze des Zeitfensters, moralische Bedenken und mangelnde
      Unterstützung des Planes durch die Politik. Selbst eine erfolgreiche
      Bombardierung der Gleise oder der Baracken, so räumt Kloth ein, hätte
      die Überlebenschancen der Opfer des Holocaust kaum erhöht: "Tief im
      Hinterland der Nazis" gelegen, hätte sich den Überlebenden eines
      Angriffs kaum eine Möglichkeit zur Flucht eröffnet. "Dennoch", so die
      Folgerung, "hätte es getan werden müssen, als moralische Tat" (S. 92) -
      die alliierten Bomberflotten als Mitschuldige am Holocaust durch
      unterlassene Hilfeleistung?

      Neben einer Irritation über die Methoden der alliierten Kriegführung
      fällt als zweites Merkmal des Sammelbandes auf, dass die Einzelbeiträge
      nicht unbedingt ein stimmiges Gesamtbild ergeben. An die Stelle einer
      Meistererzählung von "Rache", "sinnlosen Zerstörungen" und "unschuldigen
      Opfern" ist eine diskursive Pluralisierung getreten, die auch einander
      widersprechende Thesen nebeneinander stehen lässt. Am deutlichsten wird
      dies in den beiden Beiträgen, welche die moralischen Auswirkungen der
      Flächenbombardements thematisieren. Während Hans Mommsen in seinem
      Beitrag die populäre, zuletzt von Friedrich aufgewärmte, jedoch in
      Fachkreisen umstrittene These von der "zweiten Machtergreifung" der
      NSDAP infolge der Flächenbombardements vertritt, arbeiten die
      SPIEGEL-Redakteure Georg Bönisch und Christian Habbe in ihrem Beitrag
      "Witze über den Führer" gegenteilige Tendenzen heraus: sie zeigen, wie
      infolge des durch die Flächenbombardements hervorgerufenen Chaos' sich
      der repressive Zugriff des NS-Regimes auf seine Gegner lockerte und
      viele rassisch und politisch Verfolgte im Untergrund überleben konnten.


      Insgesamt bleibt der Befund vieldeutig: einer neuen Emotionalisierung
      des Gegenstandes, welche die nachholende Empathie mit den "eigenen"
      Opfern ebenso einschließt wie die moralische Entrüstung über die
      Methoden der alliierten Kriegführung, steht der Versuch gegenüber, den
      Blickwinkel zu erweitern und jenseits von Schuldzuweisungen den
      "Bombenkrieg" in seiner historischen und auch Gegenwartsbedeutung neu zu
      erfassen .


      Das Problem des Kontextes: das Beispiel Hamburg

      Als "Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg" im Oktober 2002 erschien,
      wurde von Seiten prominenter Historiker neben der Emotionalisierung vor
      allem die fehlende Kontextualisierung des Gegenstandes bemängelt.[10]
      Wie nun gehen die neueren populären Darstellungen mit diesem Problem um,
      das, um Klaus Naumann zu zitieren, gleichbedeutend ist mit der Frage,
      "wie [.] man über alliierte Verstöße gegen die Normen zivilisierter
      Kriegführung schreibt - ohne 'aufzurechnen'"?[11] Eine Lektüre von vier
      lokalgeschichtlichen Veröffentlichungen bzw. Neuauflagen aus Anlass der
      sechzigjährigen Wiederkehr der Juli-Angriffe gegen Hamburg vom Sommer
      1943 kann exemplarisch Auskunft geben. Dies ist nicht der Ort,
      Hintergründe und Verlauf der "Operation Gomorrha" zu beschreiben.
      Hingewiesen sei lediglich auf das Ausmaß der Schäden und
      Menschenverluste, die alle bis zu diesem Zeitpunkt von der RAF
      verursachten "Zerstörungserfolge" in den Schatten stellten: bei vier
      Großangriffen wurden 43,8 Prozent des Wohnbestandes der Hansestadt
      vernichtet, 900 000 Bewohner verloren ihr Obdach und zwischen 30 000 und
      50 000 Menschen kamen ums Leben.[12]

      In den vier Neuveröffentlichungen finden wir drei miteinander
      konkurrierende Kontexte: 1. die Stadtgeschichte; 2. die Geschichte des
      (Luft-)Krieges; und 3. die Kriegspolitik des "Dritten Reiches". Als
      beispielhaft für einen Text, der fast ausschließlich den ersten
      Zusammenhang wählt, kann die Buchform einer Serie des Hamburger
      Abendblattes gelten, "Als der Feuertod vom Himmel stürzte. Hamburg
      Sommer 1943", von Egbert A. Hoffmann. Das erste der elf Kapitel (bei 45
      Seiten Textumfang) trägt den bezeichnenden Titel "Bevor die Bomber kamen
      - schönes altes Hamburg" und liefert einen nostalgisch verklärten
      Rückblick auf das "alte Hamburg" von der Jahrhundertwende bis zum Ende
      der 1930er-Jahre: "Dann begann der Zweite Weltkrieg. Zunächst passierte
      nicht viel" (S. 7), informiert Hoffmann lakonisch über die
      weltgeschichtliche Zäsur vom September 1939. Der sich anschließende
      Hauptteil schildert dann, ohne auf die Vorgeschichte und schrittweise
      Eskalation des Luftkrieges weiter einzugehen, die Juli-Angriffe sowie
      die weiteren Angriffe bis Kriegsende auf der Grundlage des
      Kriegstagebuches der Hamburger Luftschutzpolizei.

      Auffallend - und für viele Erinnerungstexte typisch - ist die
      Gegenüberstellung von jahrhundertealter Stadtgeschichte (die
      "tausendjährige Stadt", S. 9) mit der nach Minuten bemessenen Kürze der
      Angriffsdauer. Gesteigert wird dieser Eindruck einer radikalen Zäsur
      noch dadurch, dass das Bild einer friedensmäßigen Alltagsidylle evoziert
      wird, die hier allerdings von düsteren Vorahnungen belastet scheint:
      Unter der Überschrift "Ein warmer Sommerabend" erfährt der Leser, dass
      "von der Elbe her [.] an diesem Sommerabend ein lauer Wind durch die
      Straßen der Innenstadt [streicht]. Die Hamburger sitzen auf Balkons und
      in Gärten [.] Die Großstadt liegt wie in Agonie, still und geduckt vor
      drohendem Unheil" (S. 9f.). Der Band schließt ab mit dem Kapitel
      "Neubeginn aus Trümmern", das einen Kontrapunkt zu dem massenhaften Tod
      und der Zerstörung des Hauptteiles setzt und gleichzeitig die
      "Julikatastrophe" im Kontinuum der Geschichte Hamburgs verankert. Zwar
      betont der Verfasser den "Überlebenswillen in der todwunden Stadt",
      auffallend ist jedoch der elegische, fast resignative Ton. Dies ist
      keine Erfolgserzählung vom Überleben und der Bewährung in schwerer Zeit,
      sondern eine Erzählung vom Verlust und Davongekommen-Sein: "Aber das
      alles sind doch nur winzige Lichter im verwüsteten Einheitsgrau der
      Stadt", schreibt Hoffmann über die Bemühungen um einen Neuanfang im
      Sommer 1945.

      In der völligen Konzentration auf die Stadtgeschichte unter weitgehender
      Aussparung des kriegsgeschichtlichen Zusammenhangs stellt das Buch von
      Hoffmann eher eine Ausnahme dar. Häufiger ist die Verbindung der beiden
      Kontexte, wie sie in dem Band "Die Stadt, die sterben sollte. Hamburg im
      Bombenkrieg, Juli 1943" der beiden Journalisten Uwe Bahnsen und Kerstin
      von Stürmer vorgenommen wird. Die Darstellung zerfällt hier in zwei
      Teile: Teil eins, der elf Kapitel umfasst und zwei Drittel des
      Gesamttextes ausmacht, ist überschrieben mit "Unvorstellbares Grauen -
      die Operation 'Gomorrha'". Auf der Grundlage ausgewählter
      Sekundärliteratur und einiger Zeitzeugenberichte wird die
      "Barbarisierung des Krieges" (S. 11) geschildert, die ihren vorläufigen
      Höhepunkt in der Zerstörung Hamburgs vom Sommer 1943 gefunden habe:
      "Hamburg 1943 war in Wahrheit der Beginn für Dresden, Hiroshima und
      Nagasaki" (S. 41). Bemerkenswert an dieser Aussage ist zum einen das
      auch bei Hoffmann und Brunswig festzustellende Bemühen, Dresden den Rang
      als "nationale[m] Gedächtnisort" (Klaus Naumann) des Bombenkrieges
      streitig zu machen; zum anderen der Umstand, dass in der Liste nur
      Städte auftauchen, die von (west-)alliierten Streitkräften zerstört
      wurden.

      Mit der "Barbarisierung des Krieges" - ein Begriff, der eigentlich von
      Omer Bartov im Hinblick auf den deutschen Vernichtungskrieg im Osten
      geprägt wurde [13] - ist eben nicht der Zweite Weltkrieg in seiner
      Gesamtheit gemeint sondern die Entgrenzung des Luftkrieges. Zwar wird
      die Vorreiterrolle "Hitler[s] und seiner Paladine" (S. 81) mit dem
      formelhaften Verweis auf "Warschau, [.] Rotterdam, [.] London &
      Coventry" unumwunden (und historisch wenig differenziert) anerkannt,
      ebenso deutlich erscheint jedoch, dass der "Krieg gegen Zivilisten"
      (Kapitelüberschrift, S. 81) erst von den Westalliierten zur Perfektion
      gebracht worden sei. Die hier vorgenommene Einordnung einzelner
      Angriffsserien in die historische Entwicklung des Luftkrieges unter
      Ausblendung des spezifischen Charakters des vom Deutschen Reich
      geführten (Land-)Krieges scheint mir typisch für populäre und
      lokalgeschichtliche Darstellungen des "Bombenkrieges". Sie kann mit
      Habbo Knoch als Tendenz zur "Versäulung" der deutschen Erinnerungskultur
      begriffen werden.[14]

      Im Zentrum des ersten Teiles steht die Schilderung der Angriffsserie vom
      Juli 1943 als gewollte Katastrophe, die trotz der "nicht mehr
      steigerungsfähigen Gewalt der Vernichtung" (S. 49) ihr Ziel verfehlt
      habe, denn: "die Stadt resignierte nicht" (S. 67). Auch hier
      konkurrieren ähnlich wie bei Hoffmann die Erfolgsgeschichte vom nicht zu
      brechenden "Selbstbehauptungswillen" (S. 72) der Hamburger, zu denen
      auch die lokalen NS-Behörden, und hier insbesondere der Gauleiter Karl
      Kaufmann, gezählt werden, mit einem traumatischen Verlust-Narrativ,
      welches dem Entsetzen über das Ausmaß der Katastrophe Ausdruck zu
      verleihen sucht und nach Verantwortlichkeiten fragt, die in Arthur
      Harris, dem "Manager und Apologeten des Bombenkrieges" (S. 76) gefunden
      werden.

      Teil zwei ist mit "Unvergessenes Hamburg" überschrieben und nimmt eine
      Einordnung der Juli-Angriffe in die Geschichte der Stadt vor, indem es
      noch vor den Kontinuitäten die nachhaltigen Zäsuren betont, welche der
      Luftkrieg verursacht hat. Zwar wird auch hier die Wiederaufnahme
      kultureller Aktivitäten im Herbst 1943 als "Zeichen für den
      ungebrochenen Lebenswillen der Stadt" (S. 121) gedeutet, so etwa beim
      Stadttheater. Es überwiegt jedoch die Beschreibung von Zentren des
      städtisch-kulturellen Lebens der ersten Jahrhunderthälfte, die in den
      Juli-Angriffen zerstört wurden und in ihrer ursprünglichen Form nicht
      wiedererstanden sind: das Geburtshaus von Johannes Brahms, der
      "Wallfahrtsort der Musikfreunde"; das Uhlenhorster Fährhaus, "Stätte des
      eleganten Vergnügens" und der Alsterpavillon, "das populärste Caféhaus
      der Welt", um nur einige zu nennen. Hier werden Geschichten aus einer
      nostalgisch verklärten Vergangenheit erzählt, ein "Stück Alltagsleben
      aus dem Hamburg der Vorkriegszeit", wie der amtierende Oberbürgermeister
      Ole von Beust in einem begleitenden Vorwort schreibt (S. 85). Zur Zäsur
      wird der Juli 1943, und nicht etwa der 30. Januar 1933 - die
      nationalsozialistische Herrschaft im "Mustergau" Hamburg hat kaum einen
      Platz in diesen Geschichten. Eine Ausnahme bildet lediglich das Kapitel
      über die Hanseatenhalle, in welcher die Verfasser schildern, wie am 20.
      März 1936 über 40 000 Hamburger ihrem "Führer" einen begeisterten
      Empfang bereiteten.
      (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!

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        #4
        Einen im Vergleich zu "Die Stadt die sterben sollte" deutlich stärkeren
        Akzent auf den Zusammenhang zwischen der Kriegspolitik des Dritten
        Reiches und den lokalen Auswirkungen der Flächenbombardements legt der
        bereits 1993 erschienene und 2003 in dritter Auflage neu aufgelegte
        Bildband des Landesmedienzentrums Hamburg, "Hamburg im Bombenkrieg
        1940-1945". Bereits im Vorwort gibt Bürgermeister Ole von Beust den
        Interpretationsrahmen vor, wenn er schreibt: "Unsere Trauer lässt uns
        nicht vergessen, dass es unser Land war, das diesen Krieg, auch den
        Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung, vom Zaun gebrochen hatte" (S. 3).
        Der 143 Seiten umfassende Text gliedert sich in drei Abschnitte: der
        umfangreiche Hauptteil "Bomben über Hamburg" beschreibt auf der
        Grundlage einschlägiger Sekundärliteratur, ausgewählter Akten, einiger
        Augenzeugenberichte und Fotoaufnahmen die schrittweise Eskalation des
        strategischen Luftkrieges von den ersten Angriffen im Frühjahr 1940 bis
        zum April 1945, mit deutlichem Schwerpunkt auf den Juliangriffen (S.
        32-61).

        Eingerahmt wird der Text durch die beiden Kapitel "Der Luftkrieg als
        neue Strategie" (S. 5-15) und "Die Folgen" (S. 138-142), die für unsere
        Fragestellung von besonderem Interesse sind. Trotz des Titels liegt der
        Schwerpunkt des einführenden Kapitels weniger auf einer
        strategiegeschichtlichen Beschreibung der Entwicklung und Rezeption des
        Douhetismus als Luftkriegsdoktrin. Vielmehr bemühen sich Christian Hanke
        und Joachim Paschen um den Nachweis eines breiten gesellschaftlichen
        Wissens um die Gefährdung Deutschlands aus der Luft in einem zukünftigen
        "totalen Kriege". Die Luftschutzmaßnahmen des Dritten Reiches, vor allem
        die Gründung des Reichsluftschutzbundes im April 1933, werden vor diesem
        Hintergrund nicht als defensive Maßnahmen begriffen, sondern als
        innenpolitische Instrumente zur umfassenden Mobilisierung und
        Militarisierung der deutschen Gesellschaft und somit als flankierende
        Maßnahmen der allgemeinen Aufrüstungs- und Kriegspolitik. Unterstrichen
        wird diese Interpretation der Vorgeschichte des "Bombenkrieges" durch
        die Auswahl der begleitenden Fotodokumente, die neben führenden
        Repräsentanten des NS-Regimes bei Besuchen in Hamburg auch die
        Einweihung des "Kriegerdenkmals" am Dammtor im Jahre 1936 sowie eine
        militärische Truppenparade aus Anlass eines Sieges 1939/40 zeigen.

        Das Schlusskapitel "Die Folgen des Bombenkrieges" skizziert in groben
        Zügen die städtebauliche Entwicklung Hamburgs von der unmittelbaren
        Nachkriegszeit bis in die 1980er-Jahre und versucht, ein Fazit zu
        ziehen. Damit wird das Geschehen des Hauptteils in den Zusammenhang der
        Stadtgeschichte gerückt. Die Verfasser betonen vor allem die materiellen
        Langzeitfolgen der Bombardierungen für Hamburg. Auch wenn es gelungen
        sei, der "eigentlichen Innenstadt weitgehend wieder das bekannte Gesicht
        zu geben", sei Hamburg dennoch "um Jahrzehnte zurückgeworfen" worden (S.
        138f.). Das abschließende Urteil bleibt widersprüchlich: der Luftkrieg
        habe zur Ablösung der Hamburger vom NS-Regime beigetragen, müsse aber
        trotzdem als gescheitert betrachtet werden; die Hamburger "kamen [.]
        kaum dazu, sich nur als Opfer zu fühlen", könnten sich aber "zweifellos
        [.] als Opfer einer grausamen Luftkriegsstrategie fühlen" (S. 139).

        Einem früheren erfahrungsgeschichtlichen und erinnerungskulturellen
        Hintergrund schließlich entstammt das Buch von Hans Brunswig, "Hamburg
        im Feuersturm". Der "Gesamtbericht über das Geschehen des Luftkriegs in
        Hamburg von 1939 bis 1945" (S. 10) wurde bereits 1978 im Motorbuch
        Verlag veröffentlicht und 2003 in 11. Auflage als 1. Spezialausgabe neu
        aufgelegt. Brunswig war während des Krieges in der Hamburger
        Luftschutzpolizei tätig, nach dem Krieg stieg er bis zum
        Oberbranddirektor der Hansestadt auf. Das Buch zeichnet sich aus durch
        umfangreiche Sachkenntnis in allen Fragen des Luftschutzes und der
        Brandbekämpfung, kritische Auswertung des damals verfügbaren
        Quellenbestandes, Detailreichtum und dem Bemühen um eine sachliche
        Darstellung. Es gilt zu Recht als Klassiker.

        Kapitel eins, "Soll man noch mal darüber sprechen?", ordnet den
        Luftkrieg gegen die Hansestadt in die Stadtgeschichte ein. Vor allem die
        Juliangriffe von 1943 seien neben dem "Großen Brand" von 1842 und der
        "Großen Flut" vom Februar 1962 als eine der drei großen Katastrophen
        Hamburgs anzusehen (S. 9). Dem Interpretament "(Natur-)Katastrophe"
        bleibt auch die über den stadtgeschichtlichen Rahmen hinausgehende
        Kontextualisierung verpflichtet. Die Entfesselung des Zweiten
        Weltkrieges durch das Deutsche Reich wird nicht weiter hinterfragt,
        sondern als beinahe zwangsläufig hingenommen; ebenso die schrittweise
        Eskalation des Luftkrieges, die vor dem Hintergrund einer europaweit
        akzeptierten Theorie des "totalen Krieges" aus einer Reihe von
        gegenseitigen Missverständnissen und technischen Fehlern zwangsläufig
        habe entstehen müssen (getreu des wiederholt zitierten Leitmotivs,
        wonach "der Teufel im Detail stecke"). Deutsche Luftschutzmaßnahmen
        werden in diesem Zusammenhang nicht als gesellschaftspolitisches
        Instrument zur Kriegsvorbereitung verstanden, sondern auf ihre
        Wirksamkeit hin befragt.

        Brunswigs Blickwinkel ist der des Praktikers des Luftschutzes, des
        Feuerwehr-Ingenieurs. Seine Gegner sind nicht eigentlich die britische
        Luftwaffe oder der Krieg; seine Gegner sind vielmehr das Feuer und all
        jene "Drohnen der politischen Szene" (S. 410), die ohne praktischen
        Sachverstand Einfluss auf die Schadensbekämpfung zu nehmen versuchten.
        Für kriegsrechtliche Kategorien und moralische Wertungen hat der sonst
        so sachliche Verfasser nur Verachtung übrig: "Es ist müßig, heute
        darüber zu streiten, ob die Bombardierung Warschaus innerhalb oder
        außerhalb der Legalität lag - keine der kämpfenden Parteien hat sich
        während des letzten Krieges, nach dem alten Wahlspruch "Right or wrong:
        my country", um Recht oder Unrecht gekümmert. Vom Standpunkt des
        Luftschutzes war Warschau eine gut organisierte Großstadt mit rund 1,2
        Millionen Einwohnern" (S. 22). Die Identifikation mit der "eigenen",
        d.h. der deutschen Seite ist hier noch selbstverständlich und bedarf
        keiner weiteren Erläuterung. Eine solche Einstellung mag aus heutiger
        Sicht als unzulässige Nivellierung und Aufrechnung erscheinen, erlaubt
        aber dem Verfasser eine ressentimentfreie, auf gegenseitige Versöhnung
        bedachte Beschreibung und Analyse sowohl der deutschen als auch der
        britischen Luftangriffe in ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung. Der
        Gebrauch der Formel "Right or wrong: my country" verweist darüber hinaus
        auf einen erinnerungskulturellen Hintergrund, der den Zweiten Weltkrieg
        noch nicht ausschließlich als "Hitlers Krieg" begriff, sondern durchaus
        noch als "deutschen Krieg".[15] Auch in der Freude und dem Stolz über
        den Wiederaufbau, die sich vor allem im Bildteil des Schlusskapitels
        "Die unverzagte Stadt" ausdrückt, erweist sich Brunswigs Standardwerk
        der Erinnerungskultur der 1960er und 1970er-Jahre zugehörig.

        Brunswigs "Chronik" (S. 10) ist aus den amtlichen Quellen gearbeitet.
        Retrospektiven Augenzeugenberichten begegnet der Verfasser mit
        Misstrauen und verwendet sie nur spärlich (vgl. 237f.); Fotodokumente
        dienen nicht zur Illustration, sondern der Analyse von Schadensstellen
        und -flächen. In beidem ist "Feuersturm über Hamburg" wenig
        repräsentativ für die gegenwärtige Bombenkriegsliteratur. Gewiss, auch
        diese Darstellungen zitieren aus urkundlichen Quellen, aber im Zentrum
        der Texte stehen andere Medien: vor allem Zeitzeugenberichte und
        Bilddokumente. Im Folgenden soll anhand ausgewählter Neuerscheinungen
        der Frage nachgegangen werden, welches Bild vom Luftkrieg über diese
        Medien transportiert wird.

        Zeitzeugenberichte: Darmstadt 1964 und Berlin 2003

        "Augenzeugen" haben Konjunktur - das belegen auch die neueren
        Veröffentlichungen zum Bombenkrieg. Kaum eine Darstellung zum Thema
        kommt ohne sie aus; selbst traditionelle, auf amtliche Dokumente
        gestützte Abhandlungen werben mit der Auswertung von "Schilderungen
        Betroffener".[16] Der Quellenwert von Erlebnisberichten wird
        unhinterfragt als hoch eingestuft, unabhängig davon, ob die
        Schilderungen zeitgenössischen Ursprungs sind oder sechzig Jahre nach
        den Ereignissen aufgeschrieben wurden. Die Skepsis der
        interdisziplinären Gedächtnisforschung und deren Einsichten in die
        Wandelbarkeit von Erinnerungen finden keine Berücksichtigung.[17] Häufig
        in Sonderkästchen vom eigentlichen Text abgesetzt, gelten
        Augenzeugenberichte als authentische Zeugnisse der "Erfahrung" des
        Luftkrieges. Gerade auf diesem Gebiet tritt die Lokalpresse als Träger
        lokaler Erinnerungskultur hervor: der sechzigste Jahrestag schwerer
        Luftangriffe wurde im vergangenen Jahr vielfach begleitet von
        "Leseraktionen" der Lokalredaktionen, die darum baten, Erinnerungen an
        "diese Zeit" (Berliner Morgenpost) aufzuschreiben. Die Reaktionen waren
        in der Regel ungewöhnlich intensiv: auf einen Aufruf der Berliner
        Morgenpost vom 24. November 2002 hin zum Beispiel gingen binnen kurzem
        rund 200 Leserzuschriften ein. Siebzig dieser Berichte wurden im April
        des vergangenen Jahres in Buchform unter dem Titel "Als die Tage zu
        Nächten wurden. Berliner Schicksale im Luftkrieg" veröffentlicht. Sie
        sollen hier kontrastiv zu einem Klassiker diese Art von Literatur
        gelesen werden, "Die Brandnacht. Dokumente von der Zerstörung Darmstadts
        am 11. September 1944" von Klaus Schmidt, der erstmals 1964 erschien und
        ebenfalls im April 2003 neu aufgelegt wurde.

        Das "Erinnerungsbuch" von Klaus Schmidt,[18] des ehemaligen Leiters der
        Lokalredaktion des Darmstädter Echo, hat den schweren Luftangriff der
        RAF auf Darmstadt vom 11. September 1944 zum Thema, der vor allem aus
        zwei Gründen eine gewisse überregionale Bekanntheit erlangt hat: zum
        einen aufgrund der außerordentlich hohen Zahl von Opfern im Verhältnis
        zur Einwohnerzahl, die mit 10551 Toten und Vermissten bei über 9 Prozent
        liegt.[19] Zum anderen gilt der Angriff auf Darmstadt der lokalen und
        populären Literatur als "Probelauf" für die Zerstörung Dresdens im
        Februar 1945, weil hier zum ersten Mal die Taktik des "Bombenfächers"
        Anwendung fand. Militärgeschichtlich steht der Angriff am Beginn des
        "Herbstinfernos" (Olaf Groehler) der letzten vier Monate des Jahres
        1944, als die britischen Luftstreitkräfte ihre im Zuge der
        Invasionsvorbereitung vorübergehend unterbrochenen Flächenangriffe
        wieder aufnahmen.[20] Erinnerungskulturell ist das Buch Ausdruck einer
        ersten Historisierungswelle des Luftkriegs Anfang der 1960er-Jahre, die
        entscheidend von David Irvings 'Dokumentarbericht' aus dem Jahre 1963
        beeinflusst wurde.[21]

        Das Buch ist eine Dokumentensammlung zum Angriff vom 11. September 1944,
        die vom Herausgeber Schmidt mit einem zusammenfassenden Essay und einem
        Nachwort versehen wurde. Den Hauptteil bilden zweiundvierzig
        Augenzeugenberichte sowie fünf Briefe der "Schreckensnacht" (S. 56) vom
        11. September. Sechs der Berichte wurden nach Ausweis des
        Quellenverzeichnisses noch in den Herbstmonaten desselben Jahres
        verfasst, einer wurde erstmals 1946 aus Anlass des zweiten Jahrestages
        des Angriffes im Darmstädter Echo veröffentlicht, während die übrigen
        vierunddreißig Berichte aus den 1960er-Jahren stammen und wohl den
        Ertrag eines Leseraufrufes darstellen. Die abgedruckten Briefe stammen
        aus dem Zeitraum vom Herbst/Winter 1944. Leider enthält der Band nur
        sehr knappe ergänzende Angaben zum biografischen und
        erfahrungsgeschichtlichen Hintergrund der jeweiligen Verfasser, die
        zudem noch in den Anhang verbannt sind. Männer und Frauen sind in etwa
        gleichem Anteil vertreten;[22] spärliche Berufsangaben verweisen auf ein
        bürgerliches Milieu. Politische Orientierungen bleiben undeutlich, mit
        Ausnahme eines Rudolf Vock, der laut Bericht aus dem Jahre 1963 für
        Beihilfe zur Flucht eines deutschen Juden von der Gestapo "verhört"
        worden und "ins Gefängnis gekommen" sei (S. 55). Die Berichte sind lose
        chronologisch angeordnet, ohne dass der Zeitsprung von fast 20 Jahren im
        Text kenntlich gemacht würde. Kurzum: Aus erinnerungskultureller
        Perspektive stellt die Textsammlung Schmidts ein beachtliches Stück
        Erinnerungsarbeit eines engagierten Lokalredakteurs dar; aus
        sozialhistorischer Perspektive mindert das Arrangement individueller
        Erinnerungen zu einem Chor den Quellenwert, weil dadurch biografische
        Rückbindungen erschwert werden. Aber liegt nicht gerade in der Einebnung
        unterschiedlicher Erfahrungshintergründe und Erlebnisperspektiven
        zugunsten einer entpolitisierten Kollektiverzählung von "der
        Katastrophe" und "dem Schrecken" ein Charakteristikum der öffentlichen
        Verständigung über den Luftkrieg?

        Es lohnt sich dennoch, nach den unterschiedlichen Stimmen jenseits des
        gemeinsamen Arrangements zu suchen und die Berichte neben dem
        Verbindenden auch nach dem Trennenden zu befragen. Zwei Kriterien
        scheinen signifikant: zum einen der zeitliche Abstand zum Geschehen, zum
        anderen die räumliche Distanz. Die Verfasser der frühen Berichte vom
        Herbst 1944 bis Herbst 1946 stehen unter dem Eindruck einer
        traumatischen Erfahrung,[23] die grundsätzlich als nicht kommunizierbar
        empfunden wird. Gerade dieses Empfinden der Sprachnot scheint
        paradoxerweise häufig zu Versuchen geführt zu haben, das Erlebte für
        sich selbst, Angehörige und Freunde und/oder auch "die Nachwelt"
        aufzuschreiben. Soweit ich sehe, bedienen sich die frühen Texte dazu im
        wesentlichen zweier Mittel, dem Rekurs auf literarisch-kulturelle
        Bildungsbestände, die natürlich individuell unterschiedlich ausfallen
        können, sowie dem Mittel des Gegensatzes als Ordnungsprinzip der
        extremen Eindrücke und Sinneswahrnehmungen.
        (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!

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        • kapl
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          • 30.08.2002
          • 719
          • NRW. Ruhrstadt Essen. Kulturhaupstadt 2010

          #5
          Eine Frau R.T. lässt einen Brief vom 14.11.1944 an Ihren
          Verehrer/Verlobten (?) R. mit dem Zitat beginnen "Priams Feste ist
          gefallen, Troja liegt in Schutt und Staub", und fährt fort: "Seit dem
          Anblick der ersten Trümmer gehen diese Zeilen mir nicht mehr aus dem
          Sinn, und immer wieder denke ich an sie, wenn ich durch Darmstadt laufe"
          (S. 110). Der Geistliche Jakob Schütz rekurriert auf Goyas "Ein Karren
          für den Friedhof", um seine Eindrücke beim Anblick der
          Massenbestattungen auf dem städtischen Friedhof kommunizierbar zu
          machen. Selbst dieses "Gespensterbild" sei "ein Idyll gegen dieses
          summierte Grauen" (S. 26). Literarisch weniger gebildete Augenzeugen
          bedienen sich aus dem Fundus abendländisch-christlicher Bilder und
          Topoi: "Hölle", "Apokalypse", "Inferno", "Fegefeuer", "Weltuntergang"
          sind häufig verwendete Vokabeln. Inwieweit die Bedeutungsseite dieser
          Begriffe neben der Katastrophenerfahrung auch Glaubensinhalte der
          christlichen Erlösungsreligion transportiert, wäre einer genaueren
          Untersuchung wert. Auffallend ist aber auch, was fehlt: die
          Sprachregelungen und Wortfelder der NS-Propaganda haben keinen Eingang
          in die Berichte gefunden - Zufall? Ergebnis einer nachträglichen
          Edition? Indiz für einen sich vollziehenden Ablösungsprozess vom
          Nationalsozialismus?

          Neben der Beschreibung des Erlebten und Gesehenen unter Zuhilfenahme
          stereotyper Metaphern fällt vor allem die Verwendung von Gegensatzpaaren
          auf: zum Teil ausführliche Schilderungen einer scheinbar friedlichen
          Idylle geruhsamer Alltagsgeschäftigkeit werden einem plötzlichen
          Einbruch der Vernichtung gegenübergestellt; eine "quälende Stille" dem
          Lärm der Bombendetonationen und Brände; die Dunkelheit in den
          Luftschutzkellern dem Anblick des Feuers; die Notgemeinschaft dem Chaos;
          der scheinbar wahllose Tod dem scheinbar ebenso willkürlichen Überleben;
          tiefer Schmerz vollkommener Apathie. Hier gilt es nach räumlicher
          Distanz zum Zentrum des Geschehens zu unterscheiden, die für den Inhalt
          der Berichte von größerer Bedeutung zu sein scheint als funktionale,
          soziale oder politische Unterschiede in der Biografie der Berichtenden.
          Der Blick von innen aus dem Zentrum des "Vernichtungsraumes" (Friedrich)
          ist ein anderer als der von außen. Die Berichte der unmittelbar
          Betroffenen vollziehen die Verengung des Wahrnehmungshorizontes und die
          Ausdehnung des subjektiven Zeitempfindens nach, die für die extreme
          Angst- und Schreckbelastung typisch sind.[24] Erst nach erfolgter
          Rettung und mit zeitlichem Abstand vollzieht sich die Einsicht in das
          Ausmaß der Katastrophe, die häufig als schockhafte Epiphanie beschrieben
          wird: "Das letzte an nächtlicher Unwirklichkeit war dahin; man war mit
          einer apokalyptischen Realität konfrontiert", wie etwa Georg Dümas
          schreibt (S. 39). Diese "apokalyptische Realität" des "Morgens danach"
          versuchen die Berichte zu veranschaulichen, indem sie immer wieder den
          Anblick massenhaft zerstörter Körper erzählend nachvollziehen - eine
          Konsequenz der außerordentlich hohen Menschenverluste des Angriffes vom
          11. September. Die "nächtliche Unwirklichkeit" hingegen wird
          kommuniziert im Narrativ einer phantastischen Erzählung, in der die
          Naturgesetze aufgehoben sind, der Einzelne den Destruktivkräften der
          Bomben und des Feuers hilflos ausgeliefert ist und die eigene Rettung -
          häufig aus dem Ermattungsschlaf - zum "Wunder" wird, ebenso unerklärlich
          und willkürlich wie der Tod so vieler anderer. Vor allem das Gefühl des
          Ausgeliefertseins wird immer wieder mitzuteilen versucht, während die
          leidende Kreatur - häufig eingefangen im Bild verängstigter Haustiere -
          für die eigene und die an anderen beobachtete Schmerzerfahrung einsteht.
          Die Berichte erzählen sowohl von Akten der selbstlosen Hilfe als auch
          von solchen großen Eigensinns: "wir haben das eine und das andere nicht
          vergessen", wie Elsemarie Ullrich schreibt. (Öffentlich) mitgeteilt
          jedoch werden vor allem erstere.

          Ist der Blick von innen durch die Erfahrung des Ausgeliefertseins
          bestimmt, so ist der Blick von außen der des hilflosen Helfers. Die
          Berichte werden strukturiert von der Einsicht in das Ausmaß der
          Zerstörung, die sich in der Regel in Schüben vollzieht und der
          Verringerung der räumlichen Distanz folgt: der schaurig-schöne Anblick
          der brennenden Stadt aus der Ferne; die Konfrontation mit den
          erschöpften und apathischen Flüchtlingen auf den Zufahrtsstraßen;
          schließlich der Anblick der materielle Zerstörung und vor allem der des
          Massentodes: "Leichenteile hingen in den Ästen der Bäume. Allein stand
          ich da, machtlos" (S. 55), wie Rudolf Vock zwanzig Jahre nach den
          Ereignissen schreibt. Dass sich die Erfahrung und die Bilder des
          Luftkrieges in das Speichergedächtnis der Betroffenen "eingebrannt"
          haben und "nicht vergesse[n] werde[n], und wenn ich ewig lebte" (ebd.)
          ist eine häufig getroffene Feststellung, die durch einen Vergleich der
          unmittelbar nach dem Angriff verfassten Berichte mit denen aus den
          1960er-Jahren bestätigt wird.

          In der Tat fallen zunächst die Ähnlichkeiten zwischen den beiden
          Textsorten auf: auch zwanzig Jahre nach den Ereignissen werden die
          Erinnerungen mit Hilfe derselben narrativen Techniken strukturiert;
          deren nach wie vor starke Präsenz wird gelegentlich durch das
          dramatische Präsens unterstrichen. Vor allem groteske Anblicke und
          Szenen sowie unerwartete Umschläge scheinen mit dem vergrößerten
          zeitlichen Abstand eher noch schärfer hervorzutreten. Offenbar fungieren
          diese als Erinnerungsanker, um die sich die Erzählung gruppiert:
          Leichenteile, die von Bäumen herunterhängen (S. 55); ein älterer Mann,
          der inmitten des Chaos zu schlafen scheint, vom Erzähler berührt wird
          und sich als tot herausstellt (S. 69); und immer wieder: die Überreste
          menschlicher Körper, die von den Angehörigen in "Emailleeimern" (S. 64)
          oder Säcken (S. 65) transportiert werden.

          Erst eine intensivere Lektüre lässt neben den Gemeinsamkeiten auch
          Unterschiede erkennbar werden. Zu beobachten ist erstens ein Wandel der
          Perspektive: Dem "Wir werden warten müssen, was das Schicksal übrig
          lässt" (S. 48) des zeitgenössischen Berichts ist Gewissheit über die
          eigene Zukunft und die der Familienangehörigen und Freunde gewichen, wie
          etwa bei Katharine Gerhardt, die am Morgen nach dem Angriff schwer
          verletzt aus einem Keller gerettet worden war und im Krankenhaus immer
          wieder nach ihren Kindern gefragt hatte. Diese seien "gut aufgehoben",
          sei ihr von Bekannten versichert worden. Der Bericht schließt mit dem
          Satz: "Später erfuhr ich, was diese Worte bedeuteten" (S. 87). Zweitens
          tritt der Tendenz nach in den späteren Berichten der individuelle
          berufliche Hintergrund stärker hervor. Zuweilen hat es den Anschein, als
          schrieben die Verfasser aus dem Motiv der Rechtfertigung heraus, vor
          allem, wenn sie während des Angriffs Luftschutzfunktionen innehatten,
          wie etwa der Polizeiobersekretär a.D. Philip Weilert, der seinen Bericht
          mit der Überschrift "Durchkommen unmöglich" versehen hat (S. 85f.).
          Schließlich zeichnen sich viele Beiträge aus den 1960er-Jahren durch
          einen erweiterten Blickwinkel aus: Neben "ganz normalen Darmstädtern"
          und Soldaten treten jetzt auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene auf,
          die als Retter oder als Mitleidende geschildert werden.

          Vergleichen wir nun die von Hans Schmidt gesammelten Augenzeugenberichte
          zu Darmstadt aus dem Jahr 1964 mit denen von Sven Felix Kellerhof und
          Wieland Giebel zu Berlin aus dem Jahre 2003, so ergeben sich
          interessante Parallelen, aber auch wichtige Unterschiede. Das aus einer
          "Leseraktion" der Berliner Morgenpost hervorgegangene Buch "Als die
          Nächte zu Tagen wurden - Berliner Schicksale im Luftkrieg" versammelt
          einundsiebzig Erinnerungsberichte, die von einem einführenden Essay des
          Herausgebers Sven Felix Kellerhof und einem Anhang eingerahmt werden,
          der unter anderem eine Auflistung der Luftangriffe und eine kommentierte
          Auswahlbibliografie enthält. Erfreulich ist, dass jeder der
          Zeitzeugenschilderungen eine (von diesen selbst verfasste) kurze
          biografische Skizze vorangestellt wurde, "weil das Leben weitergeht und
          weil wir ein umfassendes Bild vermitteln wollten", wie die Herausgeber
          im Vorwort schreiben (S. 9). Dadurch eröffnet sich dem Leser die
          Möglichkeit, einzelne Erfahrungsberichte in ihrem spezifisch
          lebensgeschichtlichen Kontext zu verorten.

          Ein Blick auf die vertretenen Geburtsjahrgänge macht einen ersten
          Unterschied zum Buch von Schmidt deutlich, den der Generation: Sechzig
          Jahre nach den Ereignissen sind nur noch wenige Vertreter der
          Alterskohorten am Leben, die als Erwachsene das Geschehen erlebt haben
          und handelnd eingriffen; stattdessen dominieren nun die Erinnerungen
          derjenigen, die als Heranwachsende oder Kinder den Angriffen ausgesetzt
          waren. 61 der Augenzeugen waren zu Beginn der "Schlacht um Berlin" im
          November 1943 unter 20 Jahren alt. Der Generationswechsel hat für die
          Erinnerungskultur weit reichende Folgen, verstärkt er doch eine
          Perspektive, die vor allem ein Narrativ schuldloser Verstrickung und
          hilflosen Ausgeliefertseins transportiert. Hier erinnern sich Menschen,
          die ihre Rolle im Leben noch nicht gefunden hatten, als der Krieg und
          der Luftkrieg über sie hereinbrach.

          Ein zweiter wichtiger Unterschied liegt darin, dass der Erwartungs- und
          Erfahrungshorizont der Berliner sich von dem der Darmstädter
          unterscheidet. In Darmstadt, einem Luftschutzort II. Ordnung, hielten
          sich bis zu dem Angriff vom 11. September 1944 hartnäckig Gerüchte,
          wonach die Stadt von den britischen und amerikanischen Bombern bewusst
          verschont würde; in Berlin, der Reichshauptstadt, konnte es solche
          Illusionen nicht geben. Wird in Darmstadt der Zweite Weltkrieg in seiner
          Gesamtheit durch das Prisma des 11. September 1944 betrachtet, gibt es
          für Berlin nicht den "einen" Angriff, sondern eine sich über Jahre
          erstreckende Kette von Großangriffen, aus denen wiederum einzelne - vor
          allem die Nachtangriffe vom November 1943 und die Tagesangriffe vom 3.
          Februar 1945 und 17. März 1945 - herausragen. Dennoch blieb der Grad der
          Zerstörung Berlins und vor allem die Zahl der Opfer relativ gesehen
          hinter denen Darmstadts zurück. Vielleicht noch wichtiger ist, dass in
          Berlin das Ende des Luftkrieges nicht mit dem Kriegsende zusammenfiel,
          sondern nur den Auftakt zum Erdkampf und zur Besetzung durch die Rote
          Armee bildete. So schreibt beispielsweise Rosa Heinrich, Jahrgang 1927:
          "Schlimmer als alle Luftangriffe war der 27. April 1945, als die
          russische Armee mit ihrer Stalinorgel die letzten Reste der [.]
          Steglitzer Schlossstrasse vernichtete. Was danach kam war fürchterlich.
          Es ist schon was Wahres an dem Satz [.]: Genieße den Krieg, denn der
          Frieden wird fürchterlich" (S. 66).
          (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!

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            • 719
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            #6
            Die "Augenzeugenberichte" dieser Sammlung wurden geschrieben von
            Menschen, die, im Herbst des eigenen Lebens angekommen, auf Erlebnisse
            zurückblicken, die mehr als ein halbes Jahrhundert zurückliegen.
            Gemeinsam ist allen Berichten der Versuch, die damalige Perspektive neu
            einzufangen, etwa die des dreijährigen Kleinkindes, das sich wehrt und
            schreit, wenn es die Eltern nachts aus dem Bett in den Luftschutzkeller
            bringen wollen (S. 51); oder die des fünfjährigen Mädchens, das sich bei
            Fliegeralarm schlafend stellt, "damit meine Mutti mich auf ihren Armen
            die Treppe hinuntertrug - denn in ihren Armen fühlte ich mich immer warm
            und so geborgen" (S. 63). Mit zum Teil erstaunlicher Offenheit wird
            dabei auch versucht, den zeitgenössischen Einstellungshorizont zu
            rekapitulieren. So schreibt etwa Gerhard Pagel über seine Verschüttung
            als Achtjähriger: "Grenzenlose Wut und Enttäuschung überfiel mich in
            diesem Augenblick. [.] Ich wollte doch erwachsen werden. Oder wenigstens
            ein paar Jahre älter, so wie die HJ-Jungen an den Flakbatterien, die es
            den verfluchten Bombern zeigten. Ich wollte doch auch Panzer abschießen,
            wie mein Onkel Heinz, und dann vielleicht den Heldentod sterben" (S.
            140).

            Das Spektrum der hier erzählten Geschichten ist weiter gestreut als im
            Erinnerungsbuch zu Darmstadt: es reicht von der Rekapitulation
            traumatischer Erfahrungen, die noch in der 60-jährigen Rückschau nichts
            von ihrem Schrecken verloren zu haben scheinen, bis zu beinahe
            humoristischen Geschichten, in denen selbst dem Bombenkrieg positive
            Seiten abgewonnen werden. Vielleicht ist es eine nicht unzulässige
            Vereinfachung, wenn wir zwei Varianten unterscheiden. Die Erzählungen
            der ersten Variante zeichnen sich dadurch aus, dass die Erfahrung des
            Luftkrieges aus der Rückschau sinnhaft in die eigene Biografie
            integriert wird. Gerhard Baucke, Jahrgang 1919, etwa schreibt, dass er
            "Glück gehabt habe", denn die "Bombe auf Vaters drittes Geschäft [.] hat
            mir das Leben gerettet und dazu die Frau meines Lebens beschert" (S.33).
            Daneben stehen als zweite Variante Geschichten, in denen eine
            Sinnstiftung nicht gelungen ist. Diese berichten von "Narben auf Herz
            und Seele" (S. 59), von psychischen Langzeitfolgen, die sich in
            Alpträumen, Angstzuständen und Panikattacken äußerten. Vereinzelt geben
            diese Geschichten auch einen faszinierenden Einblick in den
            gesellschaftlichen Umgang mit diesen Störungen. So schreibt etwa Luzie
            Kannewischer, Jahrgang 1927: "Und als ich wenige Jahre nach dem Krieg
            wegen meiner noch andauernden Ängste einen Arzt der AOK konsultierte,
            sagte der zu mir: 'Aber jetzt fallen doch keine Bomben mehr, da brauchen
            Sie doch keine Angst mehr zu haben!'" (S. 89)

            Insgesamt ist "Als die Nächte zu Tagen wurden" Zeugnis einer
            unheimlichen Präsenz, die der Luftkrieg für die Miterlebenden auch
            sechzig Jahre nach den Ereignissen noch - oder vielleicht auch: wieder?
            - besitzt. Die Sammlung ist zugleich ein Beispiel dafür, wie gerade
            lokale Träger der Erinnerungskultur wertvolles Quellenmaterial
            erschließen können, das der Auswertung durch die wissenschaftliche
            Forschung harrt, vor allem wenn diese neben politik- und militär- auch
            an sozial- und erfahrungsgeschichtlichen Fragestellungen interessiert
            ist.


            Bilder erzählen den Bombenkrieg: das Beispiel Kassel

            Neben Zeitzeugenberichten bedienen sich lokale und populäre
            Darstellungen des Luftkrieges bevorzugt Bildquellen, um den
            "Bombenkrieg" zu erzählen. Bilddokumente sind in dieser Literatur mehr
            als bloße Illustration des Textes, sie fungieren vielmehr als
            eigentliche Träger der Narrative. Die Standards und Fragestellungen der
            historischen Bildforschung, die ja auch in der fachhistorischen
            Literatur noch nicht wirklich etabliert sind, haben in der Regel keinen
            Eingang in die Texte gefunden.[25] Weder interessieren Fragen nach
            Entstehungszeitpunkt, Motivation und ursprünglichem
            Verwendungszusammenhang noch wird diskutiert, was eigentlich genau auf
            den Bildern zu sehen ist. Die Bildunterschriften gehen in der Regel über
            eine kurze Beschreibung der zentralen Motive und des Blickwinkels nicht
            hinaus, die Quellennachweise genügen lediglich den Anforderungen des
            Urheberrechts. Die Fotografien werden eingesetzt als dokumentarische
            Zeugnisse, die Wirklichkeit authentisch abzubilden scheinen und keiner
            weiteren Erläuterung bedürfen. Das Spektrum der Geschichten, die auf
            diese Weise vom "Bombenkrieg" erzählt werden, soll im Folgenden durch
            einen Vergleich von zwei Neuveröffentlichungen zur "Zerstörung" Kassels
            am 22. Oktober 1943 deutlich gemacht werden. Der verheerende
            Nachtangriff der RAF auf die Hauptstadt Kurhessens wurde schon von den
            Zeitgenossen viel beachtet und hat auch in der Historiografie immer
            wieder Aufmerksamkeit gefunden. Bis zum Herbst 1944 galt Kassel mit
            Wohnflächeverlusten von 59 Prozent, einer Obdachlosenquote von 75
            Prozent und 6.000 bis 10.000 Opfern noch vor Hamburg als die
            schwerstzerstörte Stadt des Deutschen Reiches.[26]

            "Die Nacht, als Kassel unterging: 22. Oktober 1943" wurde von dem
            Redakteur und Reporter Jörg Adrian Huber geschrieben und ist in der
            Reihe Deutsche Städte im Bombenkrieg beim Wartberg Verlag erschienen.
            "Der Horizont in hellen Flammen: Die Bombardierung Kassels" ist die
            Buchform einer Serie der Hessisch Niedersächsischen Allgemeinen, die aus
            Anlass des sechzigsten Jahrestages der "Bombennacht" geschaltet wurde
            und von dem Zeitungsredakteur Thomas Siemon unter Mitarbeit des
            renommierten Lokalhistorikers Werner Dettmar geschrieben wurde. Beide
            Bände schöpfen aus dem Fundus lokal verfügbarer Aufnahmen über die
            "Zerstörung", ihre Vor- und Nachgeschichte, wobei sich Huber vor allem
            beim Stadtarchiv und dem Stadtmuseum bedient hat, während Siemon und
            Dettmar zusätzlich auf Privatarchive zurückgegriffen haben.

            "Die Nacht, als Kassel unterging" gliedert sich in sieben Kapitel, die
            auf 61 großformatigen Seiten 76 Fotografien, darunter vier doppelseitige
            Großaufnahmen, sowie 19 Zeitungsausschnitte präsentieren. Die Aufnahmen
            sind mit kurzen Unterschriften versehen und werden von einem
            durchgehenden, farblich abgesetzten Text begleitet. Beide sind nicht
            sauber recherchiert und weisen eine Anzahl sachlicher Fehler und
            falscher Zuschreibungen auf, die hier aber nicht weiter interessieren.
            Interessanter und aufschlussreicher ist das eigentümliche
            Spannungsverhältnis, das zwischen Text und Bildnarrativ besteht, wie
            bereits das Vorwort (S. 3f.) zeigt. Huber kontextualisiert den
            Luftangriff vom 22. Oktober 1943, indem er auf die Verantwortung eines
            "größenwahnsinnigen Diktator[s]" für die Entfesselung des Zweiten
            Weltkrieges verweist, der "dabei alle auch im Krieg beachteten Regeln
            der Menschlichkeit über Bord geworfen" habe. Sechzig Jahre nach
            Kriegsende lebe jedoch die "lange tabuisierte" Diskussion wieder auf,
            "ob neben Hitler und seinen Schergen in den letzten Kriegsjahren auch
            Briten und US-Amerikaner zu Mördern geworden" seien.

            Huber bezieht Stellung, indem er den vorgeblichen Tabubruch begrüßt,
            gleichzeitig vor einer "Aufrechnungsdebatte" warnt. Das Buch verstehe
            sich vor allem als Beitrag zu einer verspäteten Trauerarbeit, denn
            "beides war 1943 und auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nicht
            möglich. Zu schwer wog moralisch das Leid der anderen [.] Den Deutschen
            als dem 'Volk der Täter' wurde da nicht das Recht auf eigene Trauer und
            Klage zugebilligt". Versieht der Text die Einforderung des "Rechtes auf
            Trauer" mit allerlei Einschränkungen und Fragezeichen, erzählen die drei
            beigefügten Fotoaufnahmen eine andere, eindeutigere Geschichte: die
            "Überfallenen, Internierten, Gefolterten und Ermordeten überall auf der
            Welt" tauchen im Bild nicht auf. Stattdessen sehen wir Aufnahmen von
            Luftkriegopfern aus Kassel: zwei Männer in Militärkleidung bergen eine
            zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche (dass es sich bei den beiden um
            italienische Militärinternierte handelt, wird nicht kenntlich gemacht);
            ein anderes Bild fokussiert auf einen Hauseingang inmitten der Trümmer,
            auf dem mit Kreide geschrieben steht: "Bewohner aus 73 alle tot
            geborgen. Ebert". Das dritte Bild schließlich zeigt eine zerstörte
            Hausfassade, an die ein Plakat angeschlagen wurde mit der Aufschrift:
            "Diese Schadensstelle ist nach Verschütteten durchsucht".

            Die Diskrepanz zwischen Text und Bild ist nicht auf das Vorwort
            beschränkt, sondern zieht sich durch das gesamte Buch. Lauten die
            Überschriften im Kapitel "Kassel vor dem 22. Oktober 1943"
            beispielsweise "Eine Hochburg der Nationalsozialisten" und
            "Rüstungsproduktion und kriegswichtige Betriebe", wissen die Bilder
            nichts von alledem. Präsentiert wird stattdessen eine Postkartenidylle:
            die Silhouette Kassels von der Fulda aus gesehen; emsiges Treiben auf
            dem Wochenmarkt vor dem Hintergrund der städtischen Wahrzeichen
            Martinskirche und Druselturm; Blick auf den romantischen Altmarkt mit
            seinen Fachwerkhäusern; der Hauptbahnhof als Postkartenmotiv usw. Der
            Krieg, zum Zeitpunkt des verheerenden Nachtangriffes der RAF auf Kassel
            im fünften Jahr, erscheint nur in Bildern des zivilen Luftschutzes, wie
            etwa auf der Abbildung auf Seite 15. Ein Mann und eine Frau mittleren
            Alters sitzen auf einer Bank in einem weiß getünchten Luftschutzkeller,
            links von ihnen ein provisorisch verschlossener Mauerdurchbruch.

            Mag der Begleittext auch um die historische Einordnung des Geschehens
            bemüht sein, die Bilder erzählen die Geschichte eines friedlichen
            Gemeinwesens (S. 7-12), das auf eine (Natur-)Katastrophe zwar
            vorbereitet war (S. 13-21), von der Wucht des hereinbrechenden Infernos
            aber dann doch überwältigt wird (S. 22-32), freilich ohne aufzugeben (S.
            34-62). Im Mittelpunkt des Bildnarratives steht die Vergegenwärtigung
            des Ausmaßes der Katastrophe im Hinblick sowohl auf die materiellen
            Schäden als auch auf die Opfer. Zur Veranschaulichung der materiellen
            Zerstörung werden typische Aufnahmen der Trümmerfotografie herangezogen.
            So wird das Kapitel "Der Feuersturm" etwa mit einer Panoramaaufnahme des
            zerstörten Kassels aus dem Jahre 1947 (!) eingeleitet. Auch andere
            Aufnahmen dieses Kapitels dokumentieren nicht eigentlich die Schäden des
            Angriffes vom 22. Oktober 1943, sondern die des gesamten (Luft-)krieges:
            zerstörte Wohnhäuser, Kirchen und Theater bilden die Motive, Menschen
            sind auf den Aufnahmen nur selten zu sehen.

            Um sich dem menschlichen Leid zu nähern, bedient sich Huber der
            Farbfotografien eines Marburger Feuerwehrmanns, die zum Teil noch in der
            Nacht vom 22. auf den 23. Oktober gemacht wurden und in der lokalen
            Erinnerungskultur schon seit langem eine prominente Rolle spielen: neben
            Einsatzfotos der Feuerwehr sind auch brennende Häuser, ausgebombte
            Kasseler vor ihrer Habe und geretteter Hausrat zu sehen. Daneben
            reproduziert das Buch Aufnahmen, deren Entstehungszusammenhang noch
            ungeklärt ist, die aber wohl im Auftrage des Kasseler Polizeipräsidenten
            angefertigt wurden: dies sind Bilder von den Versorgungsmaßnahmen des
            NS-Regimes, von ersten Aufräumarbeiten und Nahaufnahmen von der Bergung
            der Opfer. Vor allem letztere nehmen einen vergleichsweise breiten Raum
            ein und verweisen damit auf eine schon bei Jörg Friedrichs
            "Brandstätten" zu beobachtende Akzentverschiebung in den Bildnarrativen
            zum "Bombenkrieg": das menschliche Leid und die Körperzerstörung treten
            in den Vordergrund, die materiellen Schäden und vor allem deren
            Überwindung im Wiederaufbau treten zurück.[27]

            Wird bei Huber über die Fotodokumente eine Gegenerzählung zum
            Begleittext transportiert, welche den Luftangriff vom 22. Oktober 1943
            als (Natur-)Katastrophe begreift, ist das Buch von Siemon und Dettmar um
            eine engere Verschränkung von Text und Bild bemüht und versucht
            zugleich, neben der erinnerungskulturell fest verankerten "Zerstörung"
            vom 22. Oktober 1943 auch andere Aspekte des Luftkrieges in das
            öffentliche Bewusstsein zurück zu holen. Nicht zuletzt geht es den
            beiden Autoren darum, ursächliche Zusammenhänge zwischen dem Leben in
            Kassel und der Zerstörung durch britische Bomber herzustellen. Dies
            geschieht, indem die Bedeutung Kassels als Rüstungsstandort
            herausgestrichen wird. Die ersten Fotodokumente auf den Seiten 4 und 5
            zeigen nicht etwa, wie bei Huber, zivile Opfer der Luftangriffe, sondern
            dampfende Lokomotiven der Henschel Werke "auf der Fahrt zum Osteinsatz",
            wie die Bildlegende informiert. Eine Schlüsselfunktion in der
            Argumentation kommt einer Zeichnung zu, die der Werkszeitung der
            Fieseler-Flugzeugwerke vom September 1940 entnommen wurde: stilisierte
            deutsche Kampfflugzeuge greifen eine Buchstabenkette namens "LONDON" an.
            "Erst London und Coventry, dann Kassel" lautet die zugehörige
            Überschrift, die aus der zeitlichen Abfolge einen Kausalzusammenhang
            herstellt.

            Im Unterschied zu Huber schildern Siemon und Dettmar den Luftkrieg als
            militärische Konfrontation, die schrittweise eskaliert und ihren
            Zerstörungsradius dabei immer weiter ausdehnt. Im Bild freilich ist
            diese Konfrontation von Beginn an ungleich: der Aufnahme von
            Kondensstreifen hinterlassenden amerikanischen Bombern, die
            unterschrieben ist mit "ein Übermaß an Feuerkraft", steht ein Foto
            jugendlicher Flakhelfer entgegen, die beim Exerzieren am Geschütz
            gezeigt werden. Einer der Vorzüge des Buches ist es, dass diese
            schrittweise Eskalation in den auftretenden Schäden nachvollzogen wird,
            wobei auch die häufig ausgeklammerte Rüstungsindustrie Beachtung findet.
            Dies geschieht sowohl durch den Text als auch die begleitenden
            Fotografien. Vor allem der Angriff vom 3. Oktober 1943, der von der RAF
            bereits als uneingeschränktes Flächenbombardement mit Zielpunkt Altstadt
            geplant war, aber aufgrund fehlerhafter Zielmarkierungen nach Südosten
            und Osten abrutschte und "nur" die Vororte traf, wird ausführlich
            beschrieben. Die Auswirkungen des Angriffs vom 22. Oktober werden dann
            unter Zuhilfenahme derselben Aufnahmen geschildert wie bei Huber, mit
            einem Unterschied jedoch: Aufnahmen von zerstörten Körpern fehlen bei
            Dettmar und Siemon, während das menschliche Leid in einer Nahaufnahme
            zweier bombengeschädigter Frauen eingefangen wird. Der Wiederaufbau
            spielt keine Rolle mehr.
            (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!

            Kommentar

            • kapl
              Landesfürst

              • 30.08.2002
              • 719
              • NRW. Ruhrstadt Essen. Kulturhaupstadt 2010

              #7
              Der strategische Luftkrieg - ein "sinnloses Kriegsverbrechen"?

              Fast alle im Rahmen dieser Rezension zu besprechenden Darstellungen
              fällen ein Urteil über das dargestellte Geschehen.[28] Gelegentlich wird
              dabei differenziert nach historisch-militärischen und
              ethisch-rechtlichen Kriterien. Nicht definiert bleibt hingegen häufig,
              wovon eigentlich die Rede ist: dem Luftkrieg als solchem, dem
              strategischen Luftkrieg der Westalliierten oder explizit vom moral
              bombing, dem uneingeschränkten Flächenbombardement gegen Stadtziele?
              Darüber hinaus wird in der Regel auch über den Gegenwartsbezug des
              historischen Geschehens nachgedacht. Hier stehen im Zentrum der
              Betrachtungen die erinnerungspolitische Dimension sowie der Gebrauch von
              Luftmacht in den Kriegen des frühen 21. Jahrhunderts. Um das Spektrum
              der in der Literatur vertretenen Positionen zu veranschaulichen, sollen
              im Folgenden zwei Darstellungen kurz besprochen werden, welche die
              beiden Extrempunkte eines Kontinuums markieren: "Verbotene Trauer. Ende
              der deutschen Tabus" von Klaus Rainer Röhl auf der einen Seite und
              "Göttingen im Luftkrieg 1935-1945" von Martin Heinzelmann auf der
              anderen.

              "Verbotene Trauer", erschienen im Mai 2002, ist eine Mischung aus
              historischem Essay und erinnerungspolitischer Streitschrift. Röhl,
              Jahrgang 1928, hat einen Marsch durch das politische Spektrum hinter
              sich: vom Kommunisten und Herausgeber der linken Zeitschrift KONKRET in
              den 1960er-Jahren zum Vertreter der "Demokratischen Rechten" in der
              Gegenwart. Und in der Tat ist es die Auseinandersetzung mit der eigenen
              Biografie, die dem Buch seinen spezifischen Charakter verleiht: Im Namen
              der "Zeitzeugengeneration" der Flakhelfer schreibt der 70-jährige Röhl
              an gegen den 35-jährigen Röhl der (Vor-)Achtundsechziger unter Berufung
              auf den 15-jährigen Röhl der Kriegsjahre: "Wir waren ja dabei, an den
              Flakgeschützen in Danzig ebenso wie im Sudentenland, im
              Arbeitsdienstlager auf Sylt ebenso wie in Österreich" (S. 25). Die
              zentrale These des Buches ist schnell referiert: Die von den siegreichen
              Alliierten initiierte, aber erst von den "Achtundsechzigern" erfolgreich
              praktizierte "Umerziehung" der Deutschen habe zu einem
              "Nationalmasochismus" und einer "deformierten Erinnerung" geführt,
              welche an Deutschen verübtes Leid systematisch ausblende. Um wieder zu
              einer "selbstbewussten Nation" (so der Titel des Schlusskapitels) zu
              werden, müsse das "Verbot zu trauern" (S. 219) aufgehoben werden.

              Röhl argumentiert dabei sowohl erinnerungspolitisch als auch historisch.
              Kapitel eins und zwei lesen die häufig als (verzögerte) "success story"
              dargestellte Geschichte der deutschen "Vergangenheitsbewältigung" gegen
              den Strich und fragen nach den Kosten, welche die öffentliche
              Fokussierung auf den Holocaust seit den 1980er-Jahren und den deutschen
              Vernichtungskrieg im Osten seit den 1990er-Jahren nach sich gezogen
              haben. Das in einem solchen Ansatz durchaus steckende kritische
              Potenzial wird allerdings verschenkt, indem pauschal von einem
              "Kollektivschuld-" und "Tätervolk"-Vorwurf (S. 76) ausgegangen wird, der
              in dieser Form schon seit Ende des Krieges nur in der Vorstellung der
              postnationalsozialistischen "Volksgemeinschaft" existiert.[29] Kapitel
              drei und vier widmen sich den Aspekten des Zweiten Weltkrieges und
              seiner Nachgeschichte, in denen Deutsche weniger als Täter denn als
              Opfer vorkommen: dem alliierten Luftkrieg und der Vertreibung aus den
              Ostgebieten. Dieser historische Teil zeichnet sich durch eine recht
              oberflächlich recherchierte Darstellung aus, die immer wieder einer
              schwer erträglichen Polemik untergeordnet wird. So eröffnet und
              beschließt Röhl das Kapitel über den Luftkrieg, "Der Krieg gegen die
              Hütten", mit Ausführungen über die Terrorangriffe vom 11. September
              2001, die zwischen den Zeilen fast so etwas wie Befriedigung darüber
              erkennen lassen, dass US-Amerikaner (endlich) am eigenen Leibe erfahren
              hätten, was "Terrorangriffe" gegen die Zivilbevölkerung bedeuteten.[30]

              Röhls Urteil ist eindeutig: Militärisch sei der alliierte Bombenkrieg
              nicht nur sinnlos sondern sogar kontraproduktiv gewesen. Schon nach dem
              1000 Bomber-Angriff vom 31. Mai 1942 gegen Köln habe sich "das Entsetzen
              und die Wut [.] ausschließlich gegen die Bombenflieger und ihre
              Auftraggeber" (S. 109) gerichtet; die Juli-Angriffe auf Hamburg hätten
              eine "'Nun erst recht'-Reaktion" hervorgerufen, die sich zwar nicht aus
              Verbundenheit zum NS-Regime gespeist habe, diesem aber zugute gekommen
              sei (S. 117f.). Hiervon ausnehmen möchte Röhl lediglich die
              amerikanischen Angriffe auf die Hydrierwerke, die kriegsentscheidend
              gewesen seien (Kap. 34). Ethisch-rechtlich sei der "alliierte
              Bombenkrieg gegen die deutschen Städte" als "Massenmord" (S. 136) zu
              kennzeichnen, die Angriffe von 1945 als "systematischer
              Vernichtungskrieg" (S. 135), "jedes Kriegsverbrechertribunals" würdig
              (S. 127). "In die Erinnerung der Völker", so das zusammenfassende
              Urteil, wird der "unbegrenzte Bombenkrieg der letzten Kriegsjahre [.]
              eher als ein Kriegsverbrechen eingehen als ein Beitrag zum Sieg der
              Alliierten über Hitler" (S. 134).

              Nimmt Röhl mit dieser Wertung die eine Extremposition in der Beurteilung
              des alliierten Luftkrieges ein, vertritt Martin Heinzelmann mit
              "Göttingen im Luftkrieg 1935-1945" die andere. Der Mitarbeiter der
              Geschichtswerkstatt Göttingen e.V. möchte sein Buch als einen Beitrag
              zur "Alltagsgeschichte Göttingens während der NS-Zeit" (S. 9) verstanden
              wissen. Zwar sei die Universitätsstadt während des Zweiten Weltkrieges
              von größeren Angriffen verschont geblieben. Dieses allgemein bekannte
              Wissen führe jedoch zu einer Wahrnehmungsverzerrung in der lokalen
              Historiografie: all zu oft werde ausgespart, welche Rolle die
              allgegenwärtige Bedrohung aus der Luft für das Alltagsleben und die
              Gefühlswelt der Zeitgenossen gespielt habe. "Göttingen war im Luftkrieg
              vornehmlich eine Stadt in Angst" (S.81), so das Ergebnis der knappen
              Studie, die ihrem Anspruch nach - wenn auch leider nicht in der
              Umsetzung - zeigt, wie die "Bombenkriegsdebatte" der Jahreswende 2002/03
              historiografisch für eine Sozial- und Erfahrungsgeschichte des
              Luftkrieges fruchtbar gemacht werden kann.

              Sowohl der Titel als auch Untersuchungszeitraum sind mit Bedacht
              gewählt. In der Wortwahl drückt sich eine Distanzierung von der
              dominanten (populär-)historiografischen Tradition aus, die den Luftkrieg
              einseitig auf den "Bombenkrieg", d.h. die uneingeschränkten
              Flächenbombardements gegen Städte reduzieren möchte. Heinzelmann betont
              dagegen neben der "passiven" Seite auch die "aktive" Seite, indem er die
              Entwicklung des lokalen Fliegerhorstes berücksichtigt. Als Beginn des
              Untersuchungszeitraumes wurde das Jahr 1935 gewählt, weil die planmäßige
              Vorbereitung des Krieges ab diesem Zeitpunkt auch auf lokaler Ebene
              greifbar wird. In der Einleitung steckt der Verfasser nicht nur seinen
              Untersuchungsgegenstand ab, sondern nimmt auch Stellung zur
              "Bombenkriegsdebatte". Heinzelmann wendet sich gegen eine pauschale
              Verurteilung des alliierten Luftkrieges als Kriegsverbrechen, denn:
              "Luftangriffe auf Städte flogen alle kriegführenden Staaten im Zweiten
              Weltkrieg" (S. 7). Im Hinblick auf die historisch-militärische
              Beurteilung sind für den Verfasser vor allem zwei Aspekte von Bedeutung.
              Zum einen müsse festgehalten werden, dass die Luftangriffe nicht zu
              einem "Aufstand der Bevölkerung gegen die nationalsozialistische
              Herrschaft" geführt hätten. Gleichzeitig aber - und hier setzt sich der
              Autor deutlich von anderen Einschätzungen ab - müsse der Beitrag der
              Bombenangriffe zu einem "beschleunigten Zusammenbruch des Dritten
              Reiches" gewürdigt werden: "Sicherlich lässt sich über den militärischen
              Sinn einzelner Angriffe diskutieren. Fakt ist aber, dass sie neben den
              Zerstörungen von Wohngebieten die deutsche Kriegsmaschinerie in
              erheblichem Ausmaße schwächten" (S. 8). Indem der Luftkrieg den Krieg
              verkürzt habe, habe er "unzählige" Soldaten und Zivilisten vor dem Tod
              bewahrt und vielen Verfolgten des NS-Regimes das Leben gerettet.

              Mit den gegensätzlichen Beurteilungen von Röhl und Heinzelmann sind die
              Endpunkte eines Kontinuums abgesteckt, auf dem sich die Einschätzungen
              der hier vorgestellten Bombenkriegsliteratur bewegen. Als typisch für
              eine Mittelposition mag der Band des Stadtarchivs Solingen, "Solingen im
              Bombenhagel", gelten: Unstrittig sei der Bombenkrieg von deutscher Seite
              eröffnet worden; dennoch sei der alliierte Luftkrieg zumindest in seiner
              letzten Phase, ab Herbst 1944, "mit militärischen Notwendigkeiten nicht
              mehr zu rechtfertigen" gewesen, vor allem weil das Kriegsende doch
              unmittelbar bevorgestanden habe. Als "Verantwortlicher" und "wahrer
              Schuldiger" müsse aber dennoch der NS-Staat angesehen werden und sei als
              solcher auch schon von der Mehrzahl der Zeitgenossen ab 1943 erkannt
              worden.[31] Zuweilen wird auch, wie etwa in dem Bildband Oliver
              Vollmerichs zu Dortmund, der Frage nach der militärisch und
              ethisch-moralischen Berechtigung der Städtebombardierungen ausgewichen
              und auf die Lehre für die Gegenwart verwiesen, die "Nie wieder Krieg"
              lauten müsse. Ähnlich zurückhaltend urteilen Bohl, Keipke und Schröder
              in ihrer Dokumentation über Rostock und Matthias Neutzner in dem von der
              "Interessengemeinschaft '13. Februar 1945' e.V." herausgegebenen Buch
              über Dresden. Beide Bände wurden bereits 1995 in erster Auflage
              veröffentlicht und weisen sowohl in ihrer akribischen und kritischen
              Quellenarbeit als auch in der behutsamen Annäherung an den Gegenstand
              weit über das Gros der hier besprochenen Erinnerungsliteratur hinaus.
              "Gewalt und Krieg" (S. 7), so das generalisierende Urteil von Bohl et.al
              lösten keine Probleme, während Neutzner die "besondere Verpflichtung"
              Dresdens in der Gegenwart herausstellt, für "Frieden, Toleranz und
              Versöhnung" einzutreten (S. 224).

              Vergleichen wir nun das Spektrum der in der Erinnerungsliteratur
              vertretenen Wertungen mit den Einschätzungen der fachhistorischen
              Forschung, so ergibt sich ein interessanter Befund. Es gibt durchaus
              Überschneidungen, aber sowohl in der Verteilung als auch der Besetzung
              der Extrempunkte bestehen deutliche Unterschiede. Heinzelmanns These
              etwa, wonach der Bombenkrieg den Zweiten Weltkrieg verkürzt habe,
              beschreibt in der hier untersuchten populären Literatur einen
              Extrempunkt, während dieselbe These im fachhistorischen Diskurs dem
              wissenschaftlichem "mainstream" zuzuordnen wäre, vertreten etwa durch
              Richard Overy.[32] Die unterschiedliche Verteilung zeigt sich vor allem
              in der ethisch-rechtlichen Beurteilung. Röhls Wertung des alliierten
              Luftkrieges als "Kriegsverbrechen" stellt zwar in der Wortwahl einen
              Extremfall dar. Die zugrunde liegende Einschätzung wird jedoch von
              vielen anderen Autoren geteilt, wenn auch häufig unter Einbeziehung der
              deutschen Luftangriffe.[33] Hier weicht die historische Forschung gleich
              in zwei Punkten signifikant ab: zum einen ist eine vor allem mit dem
              Namen Horst Boog verbundene historiografische Tradition sehr viel
              vorsichtiger, was die Gleichsetzung der taktischen Angriffe der
              deutschen Luftwaffe mit dem strategischen Luftkrieg der Alliierten
              angeht; zum anderen betont die Forschung in ethisch-rechtlicher
              Perspektive weniger den "Verbrechenscharakter" des Luftkrieges als
              vielmehr das kriegsrechtliche Vakuum, in welchem dieser eskalierte.[34]
              (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!

              Kommentar

              • kapl
                Landesfürst

                • 30.08.2002
                • 719
                • NRW. Ruhrstadt Essen. Kulturhaupstadt 2010

                #8
                Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Rezeption der Forschung durch
                die Erinnerungsliteratur selektiv erfolgt. Keinen Eingang gefunden hat
                zum Beispiel die revisionistische Position, die in Deutschland vor allem
                von Ursula Büttner vertreten wird, wonach die kriegsmoralischen
                Auswirkungen der Flächenbombardements höher einzuschätzen seien als
                üblicherweise angenommen. Ebenso wenig finden sich Spuren von Nick
                Stargardts These, wonach der Bombenkrieg eine Brutalisierung und
                Nazifizierung der Gesellschaft zur Folge gehabt habe.[35] Rezipiert
                werden hingegen jene Diskussionsbeiträge, die bestätigen, was in der
                Erinnerungsliteratur ohnehin als ausgemacht gilt: die
                Flächenbombardements müssen schon deshalb nutzlos gewesen sein, weil sie
                so grausam waren.


                Anmerkungen:
                [1] Ralf Blank über Kucklick, Christoph: Feuersturm. Der Bombenkrieg
                gegen Deutschland. Hamburg 2003. In: H-Soz-u-Kult, 22.10.2003,
                http://hsozkult.geschichte.hu-berlin...nen/2003-4-043, Anm. 4.
                Ich danke Michael Arnold, Dr. Neil Gregor, Odile Jansen und Christian
                Schneider für die kritische Durchsicht des Manuskripts.
                [2] Friedrich, Jörg, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945,
                München, 11. Auflage, 2002. Zur "Bombenkriegsdebatte" vgl. die Sammlung
                wichtiger Beiträge in: Kettenacker, Lothar (Hg.), Ein Volk von Opfern?
                Die neue Debatte um den Bombenkrieg 1940-45. Berlin 2003; ferner
                Nachrichtendienst für Historiker.
                <http://www.nfhdata.de/premium/datenbasis-information/pages/Presseschau-Deutsch/Thema/Der_Brand_Deutschland_im_Bombenkrieg_1940-1945/index.shtml>;
                H-Net German. Forum. World War II bombing: rethinking German experiences
                (November 2003)
                <http://www.h-net.org/~german/discuss/WWII_bombing/WWII-bombing_index.htm>;
                Naumann, Klaus, Bombenkrieg-Totaler Krieg-Massaker. Joerg Friedrichs
                Buch "Der Brand" in der Diskussion, in: Mittelweg 36 (4/2003), S.
                49-60.
                [3] Greiner, Bernd, Overbombed. Rezension zu Jörg Friedrich, Der Brand,
                in: Literaturen (03/2003), S. 42-44.
                [4] Zum Begriff vgl. Cornelißen, Cristoph, Was heißt Erinnerungskultur?
                Begriffe - Methoden - Perspektiven, in: GWU 54/10 (10/2003), S. 548-563.
                Siehe speziell zur Gedenkkultur jetzt auch die Beiträge von Jan Philip
                Reemtsma, Gilad Margalit und Klaus Naumann, in: Mittelweg 36 (2/04), S.
                49-63, 64-75 & 76-92.
                [5] Neben den vier hier zu besprechenden Büchern sind das die beiden
                Bände von: Hage, Volker, Zeugen der Zerstörung. Die Literaten und der
                Luftkrieg. Essays und Gespräche. Frankfurt am Main 2003; Ders. (Hg.),
                Hamburg 1943. Literarische Zeugnisse zum Feuersturm. Frankfurt am Main
                2003. Vgl. die Besprechung von Silke Horstkotte in H-Soz-u-Kult,
                31.10.2003,
                <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-4-064>.
                [6] Hans Rumpf bemüht in seiner frühen Darstellung die historistische
                Formel 'sine ira et studio', um sein Bemühen um 'Sachlichkeit' zu
                unterstreichen. Vgl. Rumpf, Hans, Das war der Bombenkrieg. Deutsche
                Städte im Feuersturm. Oldenburg 1961, S. 9. Noch viele Texte der
                1980er-Jahre zeichnen sich durch eine distanzierte, auf den technischen
                Vorgang der 'Zerstörung' konzentrierte Darstellung aus. Vgl. etwa
                Dettmar, Werner, Die Zerstörung Kassels im Oktober 1943. Eine
                Dokumentation. Fuldabrück 1983. In ihrem wissenschaftlichen Gehalt fällt
                die Publikationswelle des Jahres 2003/4 deutlich hinter die der
                1990er-Jahre zurück. Das wird vor allem deutlich an Texten, die in den
                1990er-Jahren geschrieben wurden und aus Anlass des sechzigsten
                Jahrestages neu aufgelegt wurden, wie etwa die sorgfältig recherchierten
                Bände von Matthias Neutzner zu Dresden und von Bohl, Keipke und Schröder
                zu Rostock.
                [7] Zuletzt in: Overy, Richard, "Barbarisch, aber sinnvoll", in:
                Kettenacker (Hg.), Volk von Opfern, S. 183-187.
                [8] Vgl. den Beitrag von Mommsen, Hans, Wie die Bomber Hitler halfen, S.
                115-121.
                [9] Naumann, Klaus, Leerstelle Luftkrieg. Einwurf zu einer verqueren
                Debatte, in Mittelweg 36 (2/98), S. 12-15, hier S. 15.
                [10] Vgl. die richtungsweisende Rezension von Hans-Ulrich Wehler in der
                SZ vom 14.12.02, "Weltuntergang kann nicht schlimmer sein"; unter dem
                Titel "Wer Wind sät, wird Sturm ernten" wiederabgedruckt in: Kettenacker
                (Hg.), Volk von Opfern, S. 140-44.
                [11] Naumann, Klaus, Der Krieg als Text. Das Jahr 1945 im kulturellen
                Gedächtnis der Presse, Hamburg 1998, S. 34.
                [12] Siehe zu den Juli-Angriffen neben Brunswig, Feuersturm vor allem
                Boog, Horst, Strategischer Luftkrieg und Reichsluftverteidigung
                1943-1944, in: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hg), Das Deutsche
                Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd. 7. Das Deutsche Reich in der
                Defensive, Stuttgart 2001, S. 3-418, hier S. 35-45; Groehler, Olaf,
                Bombenkrieg gegen Deutschland. Berlin 1990, S. 106-121.
                [13] Bartov, Omer, The Eastern Front 1941-45. German troops and the
                barbarisation of warfare. London 1985.
                [14] Knoch, Habbo, Zeitgeschichte vor ihrer Aufgabe. Zur Debatte um die
                Täternähe der "kritischen Zeitgeschichte", in: H-Soz-u-Kult Forum: "Der
                Holocaust und die westdeutschen Historiker" 23.02.2004
                <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/id=429&type=diskussionen>.
                [15] Es ist erstaunlich, wie wenig Niederschlag in der hier
                vorgestellten Literatur der von Klaus Naumann konstatierte Wandel in der
                Gedenk- und Erinnerungspolitik der 1990er-Jahre findet, der zu einer
                "ungeteilten Wahrnehmung des verbrecherischen Charakters des 'deutschen
                Krieges' (Bernd Wegner)" geführt habe. In: Naumann, Klaus (Hg.),
                Nachkrieg in Deutschland. Hamburg 2001, S. 16.
                [16] Bönitz, Zivilbevölkerung, S. 7.
                [17] Vgl. als Einstieg: Assmann, Aleida, Wie wahr sind Erinnerungen?,
                in: Welzer, Harald (Hg.), Das soziale Gedächtnis. Geschichte,
                Erinnerung, Tradierung, Hamburg 2001, S. 103-122.
                [18] So Eckart G. Schmidt in seinem Nachwort zur Neuauflage von 2003, S.
                247. Aus Anlass des 60. Jahrestages des Angriffs vom 11. September 1944
                hat das Darmstädter Echo einen neuen Leseraufruf gestartet, auf den
                bereits etwa die doppelte Anzahl von Zuschriften eingegangen ist. Eine
                Publikation ist in Vorbereitung. Vgl. "Und auf einmal sind die Eltern
                fort", Darmstädter Echo vom 20.3.2004.
                [19] Schmidt, Brandnacht, S. 13.
                [20] Groehler nennt den Angriff, der im Übrigen nur kursorisch behandelt
                wird, "eines der unfasslichsten Zeugnisse der gewaltigen
                Vernichtungspotenz des Bomber Commands" (Groehler, Bombenkrieg, S.
                374).
                [21] Irving, David J., Und Deutschlands Städte starben nicht. Ein
                Dokumentarbericht, Zürich 1963. Bereist im Frühjahr 1962 erschienen
                Auszüge des Buches in einer Serie der Neuen Illustrierten.
                [22] m: 21; w: 20; anonym: 7.
                [23] "Traumatische Erfahrung" soll hier nach der Definition von Alice
                Förster und Birgit Beck verstanden werden als ein Ereignis "outside the
                range of usual human experience [.] that would be markedly distressing
                to almost anyone". Förster, Alice; Beck, Birgit, Post-Traumatic stress
                Disorder and World War II: Can a Psychiatric Concept Help Us to
                Understand World War II?, in: Bessel, Richard; Schumann, Dirk (Hgg.),
                Life after Death. Approaches to a Cultural and Social History of Europe
                During the 1940s and 1950s. Cambridge 2003, S. 15-35. Vergleiche auch
                die Trauma-Definition in Diagnostisches und Statistisches Manual
                Psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR). Deutsche Bearbeitung
                und Einführung von Henning Sass, Hans-Ulrich Wittchen und Michael
                Zaudig. Göttingen 2003, S. 491.
                [24] Vgl. Panse, Friedrich, Angst und Schreck in
                klinisch-psychologischer und sozialmedizinischer Sicht, dargelegt an
                Hand von Erlebnisberichten aus dem Luftkrieg. Stuttgart 1952.
                [25] Vgl. zur historischen Bildforschung allgemein: Jäger, Jens,
                Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die historische
                Bildforschung (Historische Einführungen 7), Tübingen 2000; speziell zur
                Bombenkriegs- und Trümmerfotografie: Ders., Fotografie - Erinnerung -
                Identität. Die Trümmeraufnahmen aus deutschen Städten 1945, in:
                Hillmann, Jörg; Zimmermann, John (Hgg.), Kriegsende 1945 in Deutschland
                (Beiträge zur Militärgeschichte 55). München 2002, S. 287-300;
                Derenthal, Ludger, Bilder der Trümmer- und Aufbaujahre. Fotografie im
                sich teilenden Deutschland, Marburg 1999; Deres, Thomas; Rüther, Martin
                (Hgg.), Fotografieren Verboten! Heimliche Aufnahmen von der Zerstörung
                Kölns, Köln 1995; Glasenapp, Jörn, Nach dem Brand. Überlegungen zur
                deutschen Trümmerfotografie, in: Fotogeschichte 91 (24/2004).
                [26] Vgl. zum Luftangriff vom 22. Oktober 1943: Dettmar, Werner, Die
                Zerstörung Kassels im Oktober 1943. Eine Dokumentation, Fuldabrück 1983;
                Groehler, Bombenkrieg, S. 140-7; Boog, Strategischer Luftkrieg, S.
                42ff.
                [27] Friedrich, Jörg, Brandstätten. Der Anblick des Bombenkrieges,
                München, 2003.
                [28] Einzige Ausnahme bildet der Band von: Foedrowitz, Michael,
                Luftschutztürme und ihre Bauarten 1934-1945, der sich ausschließlich auf
                Bau, Konstruktion und Nachkriegsschicksal der verschiedenen
                Luftschutzturm-Typen beschränkt.
                [29] Vgl. Frei, Norbert, Von deutscher Erfindungskraft oder: Die
                Kollektivschuldthese in der Nachkriegszeit, in: Rechtshistorisches
                Journal 16 (1997).
                [30] Oder wie sonst sind Sätze wie diese zu verstehen: "Heute, nach dem
                11. September 2001, gibt es keinen New Yorker, der jetzt die
                Schilderungen der Bombenopfer von Dresden und Hiroshima noch mit dem
                gleichen höflichen Desinteresse anhören würde wie vor dem Angriff auf
                die Zwillingstürme in Manhattan" (S. 133).
                [31] Ähnlich auch der Band zur Zerstörung der Edertalsperre, Die Nacht,
                als die Flut kam: "Dem deutschen Angriffskrieg folgte die Vernichtung
                durch die Alliierten" (Vorwort, S. 4).
                [32] Vgl. Overy, Richard, Die Wurzeln des Sieges. Warum die Alliierten
                den Zweiten Weltkrieg gewannen, Stuttgart 2000.
                [33] Am Rande sei bemerkt, dass hier im Übrigen die mit dem Buch von
                Friedrich angestoßene Re-Emotionalisierung des Gegenstandes ihre
                Forstsetzung gefunden hat: "Bombenterror", "Ausrottungsangriff"
                (Bahnsen, Stürmer) und "Mörder" (Huber) sind Vokabeln, die im Kontext
                der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Bombenkrieg wieder sagbar
                geworden sind.
                [34] Vgl. Boog, Horst, The Luftwaffe and Indiscriminate Bombing up to
                1942; Parks, W. Hays, Air War and the Laws of War, beide in: Boog, Horst
                (Hg.), The Conduct of the Air War in the Second World War. An
                International Comparison, New York 1992, S. 373-404; S. 310-372. Der
                Beitrag von Messerschmidt, Manfred, Strategic Air War and International
                Law (Ebd., S. 298-309), bleibt in seinem Urteil vieldeutig: Es habe kein
                "specific agreement banning air warfare" (S. 298) gegeben, dennoch sei
                der strategische Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung eine "blatant
                violation of international law" (S. 307) gewesen.
                [35] Büttner, Ursula, "Gomorrha" - Hamburg im Bombenkrieg, Hamburg 1993;
                Stargardt, Nicholas, Opfer der Bomben und Opfer der Vergeltung, in:
                Kettenacker (Hg.), Volk von Opfern, S. 56-71.


                Diese Rezension wurde redaktionell betreut von:
                Vera Ziegeldorf <ziegeldorfv@geschichte.hu-berlin.de>

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                Kommentar

                • cisco
                  Ratsherr

                  • 25.02.2003
                  • 253
                  • Köln

                  #9
                  Vor den hier u.a. angegebenen Büchern aus dem Wartberg Verlag kann ich nur abraten.
                  Im Schnitt 63 Seiten für 17.8 Euro, keinerlei Hintergrundinformationen, von irgendwelchen "Journalisten" lieblos zusammengestellte Zeitzeugenaussagen mit einigen Fotos. Eine Unverschämtheit!!!!

                  Gruß

                  Cisco

                  @Kapl

                  Warum verweist Du nicht mit einem link auf die Seite?
                  Sparst Du Arbeit
                  :lesender

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                  • kapl
                    Landesfürst

                    • 30.08.2002
                    • 719
                    • NRW. Ruhrstadt Essen. Kulturhaupstadt 2010

                    #10
                    Zitat von cisco
                    Vor den hier u.a. angegebenen Büchern aus dem Wartberg Verlag kann ich nur abraten.
                    Im Schnitt 63 Seiten für 17.8 Euro,
                    Wozu gibt es UBs und Fernleihen?
                    GA
                    KaPl
                    (vorerst) nur noch lesend. Schreibend? Woanders! Wo? pn!

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                    • cisco
                      Ratsherr

                      • 25.02.2003
                      • 253
                      • Köln

                      #11
                      @ kapl

                      Dem ist nicht zu widersprechen.
                      Die Kritik bezog sich aber auch auf den Inhalt.

                      Gruß

                      Cisco
                      :lesender

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