Der Schatz von Abukir 10.08.2000
Meisterwerke aus Marmor und Granit, goldener Schmuck und versunkene
Städte - vor der Küste Ägyptens entdecken Forscher antike Sensationen im
Meer
Die Lichtkegel der Taschenlampen, die über den Meeresboden streiften, scheuchten
Schwärme kleiner Fische davon. Suchend glitten die Taucher über den Grund, wühlten
zwischen Muscheln und Seesternen mit den Händen im Sand. Dann schalteten sie den
Unterwasser-Staubsauger ein. Sein Plastikrüssel schlürfte das Sediment gleich
haufenweise beiseite.
Schon bald stieß der Neopren-Trupp auf etwas Hartes. Ein langlicher dunkler Brocken.
Ein Frauen-Torso. "Unter den Ablagerungen konnte man die Formen ihres Körpers
erahnen", erzählt Franck Goddio, "die Spitzen ihrer Brüste, ihren wunderbar geformten
Nabel!" Die Männer baggerten weiter, und hervor kam eine Schönheit aus schwarzem
Granit. "Wir waren hingerissen", schwärmt der Expeditionsleiter, "eine der
wundervollsten Statuen, die ich je gesehen habe." Dabei hatte die steinerne Holde noch
nicht mal ein Gesicht. Kopflos lag sie im Sand. Wo ihr Haupt geblieben ist, weiß bis
heute keiner.
DIE BEUTE der Unterwasserjäger war eine Göttin: Isis. Sie schenkt Fruchtbarkeit und
behütet die Familie. Entdeckt hat ihr zweitausend Jahre altes Abbild der französische
Archäologe Franck Goddio in der Bucht von Abukir. Ein seichtes Gewässer an
Ägyptens Mittelmeerküste, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Alexandria.
Immer wieder hatte der 54-jährige Franzose, ein besessener Meereserkunder,
historische Quellen studiert, dann schipperte er monatelang über die Fluten und
horchte mit Sonar- und Magnetfeldgeräten in jeden Quadratmeter unter den Wellen -
bis tief in den maritimen Grund. Bereits im vergangenen Jahr hatte er Glück und fand
hier die Trümmer der Flotte Napoleons. Der eroberungslüsterne Feldherr wollte Land
am Nil. Doch Lord Nelson versenkte 1798 die Schiffe. Nun hat Goddio neue Objekte im
Flachwasser geortet, Skizzen angefertigt und Bojen gesetzt. Bald war klar: Da unten
schlummert eine Welt aus weit fernerer Zeit.
Mit einer Lizenz der ägyptischen Behörden und einem internationalen Team von
Wissenschaftlern, Seeleuten, Technikern und Tauchern ging Goddio Ende März unter
Wasser. Es war ein Ackern im Trüben. Denn die Abwasserfahnen aus Alexandria und
dem nahen Nil verwandeln das Meer zu Brühe. Ende Mai machte dann die
Planktonblüte alles so undurchsichtig, dass der Franzose nicht mehr gründeln konnte.
Nun will er im nächsten Frühjahr wiederkommen, wenn die See ein wenig aufklärt.
Schon die Ausbeute der paar Wochen Arbeit ist enorm. Sechs bis zehn Meter unter
der Meeresoberfläche, im Sand und Schlick des Bodens, fanden die Forscher Antikes
massenweise: Säulen und Amphoren, Statuen und Sphinxe, Münzen und Medaillons,
Obeliske und Steinplatten voller Hieroglyphen. Und Ruinen über Ruinen von Häusern
und Tempeln.
EIN GEHEIMNISVOLLES REICH, versunkene Kulturen. "Vieles davon in
bemerkenswert gutem Zustand", sagt Goddio. Als habe der Steinmetz eben den
Meißel zur Seite gelegt. Was zutage kam, wurde gesäubert, vermessen und
kartographiert. Kleinere Stücke hievte der Kran des Arbeitsschiffes "Princess Duda"
nach oben. Sie wurden zur Konservierung ins Labor nach Alexandria transportiert. Die
großen Brocken blieben unten.
Die erste der ergiebigen Fundstätten liegt zwei Kilometer vor der Küste. Auf einer
Fläche von 500 mal 700 Metern sind dort die Schätze verstreut. Die Taucher
entdeckten außer zahlreichen steinernen und metallenen Trophäen die Strukturen einer
ganzen Stadt. Ein Labyrinth kleiner Rinnsteine zieht sich an Häuserfundamenten
entlang. Weil in diesem Gebiet die Isis- Statue lag und auch ein marmorner bärtiger
Kopf des Gottes Serapis auftauchte - ebenfalls für Fruchtbarkeit zuständig -, sind die
Archäologen davon überzeugt, dass es sich um die Siedlung Menuthis handelt.
Es war der Vorort der einstigen Stadt Canopus, von der Reste noch auf dem Festland
liegen. Reich und schick - ein Samt-Tropez der Antike. Bekannt für seine Strände und
Villen, Badeanstalten und Bordelle. Hier herrschten so viel Luxus und ausschweifendes
Leben, dass der römische Schriftsteller Seneca den Ort "die Ausgeburt des Lasters"
nannte.
LAUT HISTORISCHER QUELLEN wurde Menuthis im 6. Jahrhundert v. Chr. erbaut und
war vor allem religiöse Kultstätte, Wallfahrtsort zu Isis, Göttin für vielerlei: für
Kindersegen, Leben, Winde und Meere. Den Überlieferungen zufolge genügte es, eine
Nacht in den Tempelmauern zu verbringen, um von Augen- und Hautkrankheiten geheilt
zu werden. Menschen aus der gesamten mediterranen Welt der Antike pilgerten
hierher, um diverse Orakel zu befragen. "Auch in den Serapis-Heiligtümern lief eine Art
psychosomatische Therapie ab", sagt Manfred Clauss, Professor für Alte Geschichte
an der Uni Frankfurt und Berater von Goddio, "Kranke und Geplagte machten in diesen
Tempeln ein Nickerchen und schliefen sich gesund. Zugleich arbeiteten dort
Priesterärzte, die Salben rührten und Kräuterdrinks reichten."
Das zweite Gebiet, in dem Goddio fündig wurde, liegt sechs Kilometer vor der Küste.
Auch dort schlummern unter Sediment und Algen die Reste einer ehemaligen Stadt -
auf einer Fläche von einem Quadratkilometer. Die Taucher entdeckten 90 Meter lange
Mauerwände, 150 Meter lange Kaianlagen, Tempel, gepflasterte Straßen und
Abwassersiele. Auch ein steinerner Sarkophag kam zum Vorschein. Archäologen sind
sich sicher, dass es Herakleion war, im 7. Jahrhundert v. Chr. erbaut. Menelaos, der
König von Sparta, so weiß die griechische Mythologie, habe hier nach dem Fall Trojas
mit Helena Station gemacht.
Die Stadt lag an der Mündung eines Nilarmes; kein Schiff, das den Strom befahren
wollte, kam an ihr vorbei. Saftige Zölle und immenser Warenumsatz machten den Ort
reich. Doch mehr und mehr versandete der Hafen durch den Nilschlamm, und so verlor
er langsam an Bedeutung. Als dann im Jahre 331 v. Chr. der Welteneroberer Alexander
der Große Alexandria gründete, lief der Handel über die neue Metropole.
Die einst so wichtigen Orte wurden später vom Meer verschluckt. Und offenbar gingen
sie nicht allein unter, sondern mit ihnen noch weitaus mehr bedeutendes Kulturland.
"Wahrscheinlich gab es hier ein Gebiet geschlossener Bebauung", sagt Historiker
Clauss, "einen Lindwurm aus Tempeln, Häusern und Hafenanlagen." Zehntausende
Menschen bevölkerten die Gegend.
Der amerikanische Geophysiker Amos Nur hat inzwischen das Areal untersucht und
glaubt, dass die Siedlungen durch Erdbeben zerstört wurden. Jahrhundertelang hat es
in dieser Region immer wieder gerumpelt. Durch die gewaltigen Erschütterungen gab
Meisterwerke aus Marmor und Granit, goldener Schmuck und versunkene
Städte - vor der Küste Ägyptens entdecken Forscher antike Sensationen im
Meer
Die Lichtkegel der Taschenlampen, die über den Meeresboden streiften, scheuchten
Schwärme kleiner Fische davon. Suchend glitten die Taucher über den Grund, wühlten
zwischen Muscheln und Seesternen mit den Händen im Sand. Dann schalteten sie den
Unterwasser-Staubsauger ein. Sein Plastikrüssel schlürfte das Sediment gleich
haufenweise beiseite.
Schon bald stieß der Neopren-Trupp auf etwas Hartes. Ein langlicher dunkler Brocken.
Ein Frauen-Torso. "Unter den Ablagerungen konnte man die Formen ihres Körpers
erahnen", erzählt Franck Goddio, "die Spitzen ihrer Brüste, ihren wunderbar geformten
Nabel!" Die Männer baggerten weiter, und hervor kam eine Schönheit aus schwarzem
Granit. "Wir waren hingerissen", schwärmt der Expeditionsleiter, "eine der
wundervollsten Statuen, die ich je gesehen habe." Dabei hatte die steinerne Holde noch
nicht mal ein Gesicht. Kopflos lag sie im Sand. Wo ihr Haupt geblieben ist, weiß bis
heute keiner.
DIE BEUTE der Unterwasserjäger war eine Göttin: Isis. Sie schenkt Fruchtbarkeit und
behütet die Familie. Entdeckt hat ihr zweitausend Jahre altes Abbild der französische
Archäologe Franck Goddio in der Bucht von Abukir. Ein seichtes Gewässer an
Ägyptens Mittelmeerküste, etwa 30 Kilometer nordöstlich von Alexandria.
Immer wieder hatte der 54-jährige Franzose, ein besessener Meereserkunder,
historische Quellen studiert, dann schipperte er monatelang über die Fluten und
horchte mit Sonar- und Magnetfeldgeräten in jeden Quadratmeter unter den Wellen -
bis tief in den maritimen Grund. Bereits im vergangenen Jahr hatte er Glück und fand
hier die Trümmer der Flotte Napoleons. Der eroberungslüsterne Feldherr wollte Land
am Nil. Doch Lord Nelson versenkte 1798 die Schiffe. Nun hat Goddio neue Objekte im
Flachwasser geortet, Skizzen angefertigt und Bojen gesetzt. Bald war klar: Da unten
schlummert eine Welt aus weit fernerer Zeit.
Mit einer Lizenz der ägyptischen Behörden und einem internationalen Team von
Wissenschaftlern, Seeleuten, Technikern und Tauchern ging Goddio Ende März unter
Wasser. Es war ein Ackern im Trüben. Denn die Abwasserfahnen aus Alexandria und
dem nahen Nil verwandeln das Meer zu Brühe. Ende Mai machte dann die
Planktonblüte alles so undurchsichtig, dass der Franzose nicht mehr gründeln konnte.
Nun will er im nächsten Frühjahr wiederkommen, wenn die See ein wenig aufklärt.
Schon die Ausbeute der paar Wochen Arbeit ist enorm. Sechs bis zehn Meter unter
der Meeresoberfläche, im Sand und Schlick des Bodens, fanden die Forscher Antikes
massenweise: Säulen und Amphoren, Statuen und Sphinxe, Münzen und Medaillons,
Obeliske und Steinplatten voller Hieroglyphen. Und Ruinen über Ruinen von Häusern
und Tempeln.
EIN GEHEIMNISVOLLES REICH, versunkene Kulturen. "Vieles davon in
bemerkenswert gutem Zustand", sagt Goddio. Als habe der Steinmetz eben den
Meißel zur Seite gelegt. Was zutage kam, wurde gesäubert, vermessen und
kartographiert. Kleinere Stücke hievte der Kran des Arbeitsschiffes "Princess Duda"
nach oben. Sie wurden zur Konservierung ins Labor nach Alexandria transportiert. Die
großen Brocken blieben unten.
Die erste der ergiebigen Fundstätten liegt zwei Kilometer vor der Küste. Auf einer
Fläche von 500 mal 700 Metern sind dort die Schätze verstreut. Die Taucher
entdeckten außer zahlreichen steinernen und metallenen Trophäen die Strukturen einer
ganzen Stadt. Ein Labyrinth kleiner Rinnsteine zieht sich an Häuserfundamenten
entlang. Weil in diesem Gebiet die Isis- Statue lag und auch ein marmorner bärtiger
Kopf des Gottes Serapis auftauchte - ebenfalls für Fruchtbarkeit zuständig -, sind die
Archäologen davon überzeugt, dass es sich um die Siedlung Menuthis handelt.
Es war der Vorort der einstigen Stadt Canopus, von der Reste noch auf dem Festland
liegen. Reich und schick - ein Samt-Tropez der Antike. Bekannt für seine Strände und
Villen, Badeanstalten und Bordelle. Hier herrschten so viel Luxus und ausschweifendes
Leben, dass der römische Schriftsteller Seneca den Ort "die Ausgeburt des Lasters"
nannte.
LAUT HISTORISCHER QUELLEN wurde Menuthis im 6. Jahrhundert v. Chr. erbaut und
war vor allem religiöse Kultstätte, Wallfahrtsort zu Isis, Göttin für vielerlei: für
Kindersegen, Leben, Winde und Meere. Den Überlieferungen zufolge genügte es, eine
Nacht in den Tempelmauern zu verbringen, um von Augen- und Hautkrankheiten geheilt
zu werden. Menschen aus der gesamten mediterranen Welt der Antike pilgerten
hierher, um diverse Orakel zu befragen. "Auch in den Serapis-Heiligtümern lief eine Art
psychosomatische Therapie ab", sagt Manfred Clauss, Professor für Alte Geschichte
an der Uni Frankfurt und Berater von Goddio, "Kranke und Geplagte machten in diesen
Tempeln ein Nickerchen und schliefen sich gesund. Zugleich arbeiteten dort
Priesterärzte, die Salben rührten und Kräuterdrinks reichten."
Das zweite Gebiet, in dem Goddio fündig wurde, liegt sechs Kilometer vor der Küste.
Auch dort schlummern unter Sediment und Algen die Reste einer ehemaligen Stadt -
auf einer Fläche von einem Quadratkilometer. Die Taucher entdeckten 90 Meter lange
Mauerwände, 150 Meter lange Kaianlagen, Tempel, gepflasterte Straßen und
Abwassersiele. Auch ein steinerner Sarkophag kam zum Vorschein. Archäologen sind
sich sicher, dass es Herakleion war, im 7. Jahrhundert v. Chr. erbaut. Menelaos, der
König von Sparta, so weiß die griechische Mythologie, habe hier nach dem Fall Trojas
mit Helena Station gemacht.
Die Stadt lag an der Mündung eines Nilarmes; kein Schiff, das den Strom befahren
wollte, kam an ihr vorbei. Saftige Zölle und immenser Warenumsatz machten den Ort
reich. Doch mehr und mehr versandete der Hafen durch den Nilschlamm, und so verlor
er langsam an Bedeutung. Als dann im Jahre 331 v. Chr. der Welteneroberer Alexander
der Große Alexandria gründete, lief der Handel über die neue Metropole.
Die einst so wichtigen Orte wurden später vom Meer verschluckt. Und offenbar gingen
sie nicht allein unter, sondern mit ihnen noch weitaus mehr bedeutendes Kulturland.
"Wahrscheinlich gab es hier ein Gebiet geschlossener Bebauung", sagt Historiker
Clauss, "einen Lindwurm aus Tempeln, Häusern und Hafenanlagen." Zehntausende
Menschen bevölkerten die Gegend.
Der amerikanische Geophysiker Amos Nur hat inzwischen das Areal untersucht und
glaubt, dass die Siedlungen durch Erdbeben zerstört wurden. Jahrhundertelang hat es
in dieser Region immer wieder gerumpelt. Durch die gewaltigen Erschütterungen gab
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