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    Fdj-doku In Der Ard

    28. Juli 2009, 14:31 Uhr
    FDJ-DOKU IN DER ARD
    Bruderkuss im Blauhemd

    Von Christian Buß

    Manche waren aus Begeisterung für den Sozialismus dabei, die meisten aus Furcht vor Repressalien: Der ARD-Dokumentation "Freundschaft!" bringt erstmals umfassend die Geschichte der FDJ auf die Bildschirme - und zeigt, wie Jugendarbeit und Indoktrination Hand in Hand gingen.

    Weshalb man in der FDJ gewesen ist? "Zu 70 Prozent aus Opportunismus." Das sagt gleich am Anfang der ARD-Dokumentation "Freundschaft! Die Freie Deutsche Jugend" freimütig eine junge Frau, die heute an zentraler Stelle die Geschicke der Bundesrepublik lenkt. Der Interviewausschnitt stammt aus dem Jahr 1991, die junge Frau heißt Angela Merkel. Zu DDR-Zeiten war die heutige Bundeskanzlerin eines von bis zu 2,5 Millionen Mitgliedern der Freien Deutschen Jugend.

    Im Wende-Jubiläumsjahr 2009 ist es allerdings gar nicht mehr so einfach, eines der vielen Ex-Mitglieder vor die Kamera zu bekommen. Diese Erfahrung machten jedenfalls Lutz Hachmeister und Mathias von der Heide, die in der Dokumentation erstmals für das deutsche Fernsehen im großen Stil die Geschichte des Jugendverbandes nachzeichnen.

    Viele ihrer Anfragen an prominente Ostdeutsche seien abschlägig beschieden worden, so der Journalist und Filmproduzent Hachmeister ("Das Goebbels-Experiment"); offensichtlich hat man Angst davor, mit einer Organisation in Verbindung gebracht zu werden, die oft als "Hitlerjugend des Osten" bezeichnet wird.

    Dabei bemühen sich Hachmeister und von der Heide in ihrem 90-Minüter um historische Genauigkeit, berichten von der Gründung der Freien Deutschen Jugend im Exil 1936, von dem frühen Wirken ihrer West-Dependance in der Bundesrepublik und ihren Demonstrationen gegen die Wiederbewaffnung.

    Wie viel Idealismus und wie viel Ideologie steckte in der FDJ der frühen Tage? Die Filmemacher tasten sich langsam zu den Widersprüchen der Blauhemden vor.

    Schnell wird allerdings auch klar, dass die Jugendorganisation staatlich gesteuert wurde, um den "realen Sozialismus" ein Stück schneller voranzutreiben. So erinnert sich die Schriftstellerin Irene Böhme, wie sie in den fünfziger Jahren als FDJlerin in Schulen und Betrieben Stimmung gemacht hat: "Wir waren die Großfressen, die die Gleichaltrigen auf die richtige Bahn getriezt haben." Schließlich wurde der Jugendverband wichtiger Teil der SED-Kaderpolitik. "Es ging", so Böhm, "um den Austausch der Eliten."

    Dass ausgerechnet die ehemalige Sommerresidenz von Joseph Goebbels am Bogensee zur FDJ-Hochschule "Wilhelm Pieck" umfunktioniert wurde, passt da ins Bild. Dagmar Enkelmann, heute Bundestagsabgeordnete für die Linke, führt mit feuchten Augen durch die verwaisten Hallen am Bogensee, wo sie in den achtziger Jahren noch einer strahlenden Zukunft des Sozialismus entgegenzusehen glaubte.

    Einer ihrer Mitschüler war der westdeutsche Jungkommunist Adrian Geiges, heute Fernostkorrespondent des "Stern", der im Interview eher frustriert an den von der SED finanzierten Besuch der Kaderschmiede seiner ostdeutschen Genossen zurückdenkt. Jugendarbeit und Indoktrination, das zeigen Hachmeister und von der Heide sehr anschaulich, waren bei der FDJ oft eins.

    Umso erstaunlicher, wie schnell die DDR-Führung trotz ihrer massiven Einflussnahme den Kontakt zur Jugend verlor. Es wurde weiter gesungen und gewinkt, es wurde weiter marschiert und agitiert - linientreue Mini-Sozialisten aber produzierte das System in den Achtzigern immer weniger.

    Während die FDJ in inszenierten Paraden den Genossen Honecker und andere graue Eminenzen grüßten, fanden mehr und mehr junge Menschen im Punk ein Ventil für ihren Frust.

    "Ever get the feeling you've been cheated?" - jemals das Gefühl gehabt, betrogen worden zu sein? Diese berühmte Sinnfrage von Sex-Pistols-Sänger Johnny Rotten mag sich auch so manches demotivierte Blauhemd angesichts der vollkommen an der Realität vorbei agierenden SED-Altfunktionäre gestellt haben. Musiker von den Punkbands Sandow und Feeling B, der Vorläuferformation der Gruppe Rammstein, berichten davon, wie sie gegen das fast schon leichenstarre System aufbegehrt haben: Pogo gegen die Politkadaver.

    Diesem Zeitenumbruch und Generationenkonflikt widmen Hachmeister und von der Heide den letzten und spannendsten Teil ihrer Recherche, die zwischenzeitlich schon mal als hochbeschleunigter Dokubilderbogen daherkommt.

    Wie also fühlte es sich an, in einem sterbenden Staat nach Leben zu gieren? Politischer Mainstream und Punkrockuntergrund - das beides hätte in den letzten Tagen der DDR nicht weiter auseinanderliegen können. Trotzdem gab es Tausende Berührungspunkte. So erzählt der Regisseur Andreas Dresen ("Halbe Treppe"), wie er als junger Student mit Lothar Bisky, dem damaligen Leiter der Filmhochschule Konrad Wolf, gegen alle Widerstände einen Film durchgekämpft hat, in dem er ironisch beleuchtete, wie FDJ-Aufbauhelfer in Simbabwe sich eine kleine Mini-DDR errichtet haben: Das System als Karikatur, mehr fiel den jungen Kreativen in Ostdeutschland Ende der Achtziger nicht mehr ein.

    So mündet diese gelungene Dokumentation in der Erzählung vom großen FDJ-Paradoxon: Wie einem Staat, der über eine hochfinanzierte Freizeitorganisation vehement die Ausleuchtung und Lenkung seiner jungen Menschen betrieb, die Jugend vollkommen aus dem Blick geraten ist.

    "Freundschaft! Die Freie Deutsche Jugend": Dienstag, 22.45 Uhr, ARD
    URL:

    * http://www.spiegel.de/kultur/gesells...638687,00.html
    Zuletzt geändert von linux_blAcky; 28.07.2009, 19:30.
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