Zwei Seiten ein und derselben Medaille?

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  • Jürgen Zapf
    Ratsherr


    • 27.01.2005
    • 244

    #1

    Zwei Seiten ein und derselben Medaille?

    Hallo, Freunde des Schatzsucher-Forums,

    Bei meinen Recherchen zu den Flugplätzen der Luftwaffe 1934 – 1945 bin ich auf ein Geschehen auf dem Einsatzhafen Merzhausen (in Hessen, westlich von Usingen, heute Erdefunkstelle) gestoßen, das, je weiter ich es verfolgt habe, immer undurchsichtiger wurde:

    Adolf Dickfeld schildert die Geschehnisse in seinen Buch „Die Fährte des Jägers“ (erneut aufgelegt bei Bublies im September 2005) so:

    Am Himmel ziehen zahllose Verbände von „Boeing Fortress“, bewacht von „Thunderbolts“, „Tomahawks“ und „Lightnings“, gen Osten. Der Messtrupp der Vierling meldet: „Gegner fliegt gestaffelt Richtung 105 Grad, zwischen 4- und 6.000 Meter.“ Dann, denkt Hauptmann Noack im Splittergraben bei den anderen hockend, wird es uns wohl nicht erwischen. Am Platzrand erkennt er plötzlich seine kleine Familie, die, fröhlich winkend, sich nach Blumen bückt, als plötzlich im Tiefflug eine „Thunderbolt“ naht. Der Pilot sieht Noacks Frau und die Kinder, eröffnet das Feuer, und von vielen Einschüssen zerfetzt, sinken sie um. Die Vierlingsflak am Platzrand hat zur gleichen Zeit das Feuer eröffnet, trifft die amerikanische Jagdmaschine und zwingt sie nur wenige Kilometer hinter dem Platz zur Bauchlandung. Hauptmann Nock, halb wahnsinnig vor Schmerz über den Tod seiner Frau und seiner Kinder, stürzt in den nächsten Kübelwagen, jagt zur Notlandestelle des Amis, der inzwischen unverletzt die Maschine verlassen hat, und erschießt ihn auf der Stelle. Der Tote wird auf einen Wagen geladen und auf dem Friedhof beerdigt.
    Soweit, so schlecht! Der Krieg ist zu Ende, Gerd Noack bleibt in Merzhausen und beginnt an der Frankfurter Universität zu studieren. Es ist inzwischen 1946 geworden. Die US-Besatzungsarmee forscht u.a. nach gefallenen US-Soldaten und stößt in Merzhausen ganz per Zufall auch auf das Grab des „Thunderbolt“-Piloten. Einer der Einwohner dieses Dörfchens zeigt, gegen zehn Stangen Zigaretten, den ahnungslosen Ex-Hauptmann bei den Amis an, und nur wenige Stunden später wird Gerd Noack bei seiner Rückkehr aus Frankfurt verhaftet und nach Landsberg gebracht. Ein amerikanisches Gericht verurteilt ihn nur Wochen später wegen Kriegsverbrechen zum Tode durch den Strang. Er bekommt die bekannte rote Todeskleidung und wartet auf sein Ende. Monate vergehen. Eines Tages bietet sich ihm die einmalige Gelegenheit, in einem großen Müllcontainer zu verschwinden, wird an einem trüben Novembernachmittag zusammen mit anderen Müllbehältern aus der Festung Landsberg heraustransportiert und wenig später über eine Kippe entladen. Er ist frei! Noch in der Nacht helfen ihm Bauersleute aus dem roten Totenhemd und bringen ihn weiter. Er will so rasch wie möglich in die russisch besetzte Zone. Dort, bei seinen Eltern, glaubt er sicher zu sein. Doch die Behinderung macht ihm zu schaffen. Seine Beinprothese haben ihm die Amis in Landsberg abgenommen, und ohne diese ist alles viel schwieriger. Dennoch gelingt es ihm, an die Zonengrenze zu kommen. Der erste Schnee ist gefallen, und so tut er sich schwer, über die Berge nach Thüringen zu gelangen. Er ist schon über die grüne Grenze, wähnt sich bereits in Sicherheit, als ein westdeutscher Zöllner ihn stoppt. „Halt oder ich schieße!“ schreit der Mann in der grünen Uniform. Der Zöllner kommt auf Noack zu: “Was machen Sie hier, wissen sie nicht, dass hier die Zonengrenze ist?“ „Lieber Mann“, fleht Noack den Grenzer an, „ich bin gerade den Amis aus der Festung Landsberg entwischt. Bitte lassen Sie mich zum Iwan zu meinen Eltern herüber!“ Doch der biedere Beamte wähnt sich im Recht. Noack weiß sich, so glaubt er jedenfalls, im Recht. Es fällt ihm im Traum nun nicht mehr ein, anzuhalten, und als er sich anschickt, den rettenden Schneehang hinunterzurutschen, eröffnet der Westdeutsche das Feuer. Gerd Noack wird am Oberschenkel getroffen. Der Zöllner zerrt den schwerverletzten Mann wieder auf die amerikanische Seite und verständigt den nächsten Polizeiposten. Man bringt ihn in ein Krankenhaus, versorgt ihn und transportiert den Unglücklichen anschließend nach Landsberg zurück. Drei Tage später wird Hauptmann Noack von den Amerikanern auf eine Bahre gefesselt und am Galgen aufgehängt! Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Wo hört das Recht auf? Wo beginnt die Barmherzigkeit? Auch frage ich: Wie hättest du angesichts der Niedertracht und Feigheit, jenes amerikanischen Piloten gehandelt, der dir nur aus Langeweile oder gar aus Spaß das Liebste, deine wehrlose Frau und die Kinder, genommen hat?

    Soweit die Schilderung: ein klarer Verstoß gegen das Kriegsrecht, die absichtliche Tötung von Zivilpersonen durch einen Piloten wurde fast auf der Stelle mit einem Totschlag (?) (im Affekt) „geahndet“. Der Täter, der Ehemann, wurde von der US-Besatzungsmacht ergriffen, abgeurteilt und das Urteil wurde vollstreckt.
    Entsprach die Schilderung den Tatsachen?

    Hier begann die Suche nun spannend zu werden:

    Bei der Suche im Internet stieß ich unter wenigen anderen Angaben auf folgende:

    Unter den Link http://www.d-direkt-deutschland.de/totenehrung.htm auf einen Bericht der
    Deutschen Wochenzeitung vom 28.11.1975, S.7

    in dem auch eine Liste der auf dem Spöttinger Friedhof beerdigten in Landsberg Hingerichteten enthalten ist.

    Hier war kein Georg Noack aufgeführt, nur ein Hermann Noack (geboren am 4. Juni 1912, gehängt am 21. März 1947) Nun ja, Erinnerungslücke beim Vornamen könnte ja sein, aber stimmt dann die ganze restliche Erinnerung?

    Unter dem Link
    Hier gibt es: Politische Wochenschau, politische Theorie, Artikel und Berichte zu Themen rund um Überwachung, Repression, Wirtschaft, Soziales, Befreiungsnationalismus, Antiimperialismus, Zeitgeschichte und Literaturhinweise

    findet sich folgende Schilderung:

    „Der tragischste Fall war der des Ritterkreuzträgers Hauptmann der Luftwaffe Hermann Noack, der wegen angeblicher Beteiligung an einem Fliegerfall zum Tode verurteilt worden war und dem im November 1946 die Flucht aus Landsberg gelang. Als er über die Grenze in der Nähe von Hof in das von den Sowjets besetzte Mitteldeutschland flüchten wollte, schossen Grenzbeamte ihn nieder und lieferten den Schwerverwundeten an die Amerikaner aus. Die Ärzte mußten Hauptmann Noack ein Bein amputieren. Trotzdem schleppte Sergeant Woods, unterstützt von seinen Henkersgenossen Raleigh und Dennis, den Schwerversehrten am 21. März 1947 zum Galgen und hängten ihn samt seiner Tragbahre auf.“

    Hier ist aus Dickfelds beinamputiertem Hauptmann Gerd Noack der Ritterkreuzträger Hermann Noack geworden, dem die Ärzte nach der missglückten Flucht ein Bein amputieren mussten.
    In den Verzeichnissen der Ritterkreuzträger der Luftwaffe taucht weder ein Gerd noch ein Hermann Noack auf, auch in bisher erschienenen Listen erfolgreicher Jagdflieger ist keiner von beiden zu finden.

    Fragen über Fragen, die sich nicht einfach klären lassen.

    Stimmt die Geschichte von dem Geschehen in Merzhausen überhaupt? Wann ist sie geschehen? Es kann eigentlich nur im Frühsommer 1944 gewesen sein, wenn wirklich Blumen gepflückt wurden.

    Wegen welchem „Fliegerfall“ (Ermordung amerikanischer Luftwaffenangehöriger) wurde Hermann Noack zum Tode durch den Strang verurteilt?

    Wann verlor der hingerichtete Hermann Noack sein Bein?

    Soweit meine Fragen zum geschichtlichen Hintergrund und zum Wahrheitsgehalt der Schilderung von Adolf Dickfeld. Sollte jemand weitere Informationen haben, bitte ich, mir diese mitzuteilen.

    Geschichtlich interessanter noch wird diese Schilderung , wenn man sie mit einer anderen vergleicht.

    Ich möchte die Schilderung mit einer Frage überschreiben: „Zwei Seiten einer Medaille?“

    In krassen Gegensatz zu dem Schicksal von Noack steht die Charakterisierung eines anderen aus Buch und Fernsehen bekannten Soldaten. Ich meine hier den 1st Lieutenant Ronald C. Speirs aus „Band of Brothers“, dem erstmals 1992 erschienenen Buch von Stephen E. Ambrose und der späteren gleichnamigen Fernsehserie, die auch auf DVD erhältlich ist.

    Ich zitiere aus dem Original, um jedem Manipulationsverdacht vorzubeugen:
    Speirs was an officer with a reputation. Slim, fairly tall, dark hair, stern, ruggedly handsome, he cultivated the look of a leader, and acted it. One of his fellow D Company junior officers, Lt. Tom Gibson, described him as a “a tough, aggressive, brave, and resourceful rifle platoon leader.” His nicknames were “Sparky” (among his fellow officers) and “Bloody” (with the enlisted). He had led a bayonet attack and won the Silver Star in Normandy.

    Then there was the day in Normandy when Speirs was walking down a road by himself and passed a group of ten German P.O.W.s. They were under guard and were digging a roadsid ditch. Speirs stopped, broke out a pack of cigarettes, and gave one to each P.O.W. They were so appreciative he jumped into the ditch and gave them the whole pack. Then he took out his lighter and gave each one a light. He stepped back up on the road and watched them inhale and chat.
    Suddenly and without warning he unslung the Thompson .45-caliber submachine-gun he always carried and fired into the group. He continued raking back and forth until all the P.O.W.s were dead. The guard was stunned. Speirs turned and walked away.
    Soweit im Buch die Schilderung dieses Ereignisses, das auch in der Fernsehserie gezeigt wurde.

    Wie ging das Leben von Ronald C. Speirs weiter?
    Auch dies schildert Ambrose:
    He decided to stay in the Army. He made a combat jump in Korea and commanded a rifle company on the line in that war. In 1956 he attended a Russian language course in Monterey, California, and then was assigned to Potsdam, East Germany, as liason officer with the Soviet Army. In 1958 he became the American governor of Spandau Prison, Berlin, where Rudolf Hess was serving his life term. In 1962 he went to Laos with the U.S. mission to the Royal Lao Army.

    Bei Drucklegung des Buches 1992 lebte Speirs in den USA.

    Es möge sich jeder selbst seine Gedanken zu den beiden geschilderten Geschehen machen.

    MfG
    Jürgen Zapf aka zulufox

    P.S. Das Posting habe ich auch in andere Foren gesetzt.
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