Irrfahrt, Teil 3, Roman

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  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #1

    Irrfahrt, Teil 3, Roman

    Teil 3


    Blick auf den Armcomputer: etwas unterhalb 40 Meter. Die D12 ist mit 225 bar (kalt) übervoll – ich habe ausreichend Zeit. So war es an der Oberfläche und ich stehe noch grundsätzlich am Anfang des Tauchgangs.
    Okay, dann etwas absinken, damit sich das Netz an den Stufen/Ventilen leicht strafft; löse ich einzelne Maschen so schnellen sie eher nach oben, als dass sie in der Gegend herumtreiben und sich erneut verheddern. Ich habe verdammtes Glück, viel ist nicht auszutütern und es gelingt mir recht unspektakulär in einigen Minuten - die mir aber zu Stunden werden. Ich halte mich mit der linken Hand dabei an einem Metallteil fest, zwischen zwei Fingern ist die Leine geklemmt – bloß nicht die Tarierung verlieren! Aus dem Wing aussteigen muss ich Gott sei Dank nicht! Das Ergebnis ist zufrieden stellend und täuscht über die Gefahr an sich hinweg, sodass ich beschließe, nun mein wimmerndes Bleilot zu bergen. Ich sehe, dass die Leine in einer Luke verschwindet. Hier, unmittelbar auf dem Schiffsdeck (oder ähnlichem) ist die Sichtweite auf etwa drei Meter gestiegen und in der Luke an sich liegt sie noch darüber. Ich kann mein liebes Bleilot sehen - danke der Lampe. Jacket anblasen und es zügig heraufholen. Ich will hier weg – zumindest für heute! Mit Lot und daran befestigter Leine tauche ich zurück – unterhalb an dem verhassten Netz vorbei. Nun leuchtet meine Kowalski das Teil von vorhin an. Einige Sekunden nehme ich mir und erkenne eine Kanone. Nun egal, ich war wohl eh in die falsche Richtung unterwegs. Ich halte mich jetzt leicht rechts, sodass ich unweigerlich beim Höhersteigen auf die fixe Muring treffen muss – der Winkel! Und so ist es auch. Meine Leine schlägt leicht nach links aus und zeigt mir somit die Vertikale der Muring an. Die leichte Strömung hat dafür gesorgt, dass sich meine Leine nicht an einem Wrackteil verschlungen hat, sie ist während des Rückweges beinahe straff geblieben. Ich habe sie nicht aufgeschossen, damit ich mich nicht zu guter letzt in ihr verfange.
    Das Lot wird immer „schwerer“ in meiner Hand. Ich kann mich hier an der Muring in relativer Sicherheit wiegen und hole den gelben Hebesack hervor. Das Lot ist schnell eingeklinkt und der Sack neutral angeblasen. Mein Kopf ist leer, noch schießt mir nichts ein, ich konzentriere mich auf die notwendige minimal mögliche Deco. Ich will jetzt nach Hause…

    Oben an der Oberfläche sind meine Luftblasen für meine Freundin nur im Bereich Hebesack sichtbar, den ich ab 6 Meter an die Oberfläche lasse. Damit ist für sie die Situation erst einmal hinreichend und wie besprochen. Denn die orangefarbene Boje ist viele Meter davon abgetrieben. Der Schwimmkörper der Muring liegt auf 6 Meter und für die 3,5 Meter Deco wähle ich den gelben Sack und lasse mich treiben.
    Mein Kopf zeigt sich an der Wasseroberfläche, gefolgt von einem Rundumblick – wo wohl das Boot sein könnte. Nicht weit weg! Ich gebe jetzt das „große Okay-Zeichen“ und bekomme die gleiche Antwort.
    Sicher und gekonnt manövriert sie das Boot seitlich zu mir, sodass ich nach zwei Schwimmzügen an die seitlich achtern angebrachte Hühnerleiter gelange. Ich reiche ihr die Flossen hoch, dann klettere ich hinauf. Als ich auf dem Schlauch knie, spucke ich den Regler aus: „Hardcore! Ein reiner Hardcore-Tauchgang! Null Sicht!“
    Sie sagt nichts …

    Breitbeinig stehe ich noch im geschlossen gehaltenen Trocki, mit Sonnenbrille und Basecap auf, … mit in die Hüften gestützten Fäusten auf der Luke 1 unseres Bootes und blicke starr auf die See. Der Motor ist aus. Das Boot wankt leicht, etwas Wind ist aufgekommen und die See kräuselt sich.
    „Was sollte das mit dem Scheiß-Netz ... hääh? Was sollte das? Los! Sag`s mir!“ Brülle ich die See an. „Was habe ich getan? Hääh? Wo warst du?“ Fahre ich fort.
    „Nichts hast du getan. Eben!“ Antwortet mir das Meer. „Behalte die Grenzen im Auge! Ich war da. Es ist nichts passiert. Heute ist nichts passiert. Behalte die Grenzen im Auge … behalte die Grenzen im Auge … behalte die Grenzen im Auge … „ Die Stimme wird immer leiser, bis sie gänzlich verstummt.
    „Haaa … ääh … hrrg … hast du das eben gehört? … Die Stimmen?“ wende ich mich aufgeregt meiner Freundin zu und zeige nach vorne – über den Bug auf die See.
    „Ja, dein Gebrüll habe ich gehört! Drehst du gerade durch? Und was ist mit dem Netz gewesen?“ fragt sie auch etwas lauter.
    „Nichts … gar nichts. Da war ein Netz im Weg! Mehr nicht. Scheiß Sicht da unten.“ Wende ich mich ab und beginne den Tauchdampfer aufzurödeln.

    „In den Hafen? Oder noch büschen Boot fahren?“ frage ich lakonisch. „Der Tag ist noch jung!“
    „Ja, lass uns noch ein wenig Boot fahren. Ich möchte mal Banyuls vom Meer aus sehen. Und dann kannst du mir in Ruhe deinen Tauchgang erzählen.“ Erwidert sie nun hübsch lächelnd.
    „Ja gut. Ich suche mal die Position der „Astrèe“ auf dem GPS raus, dann können wir den Dampfer mal überlaufen … und die „Saumur“ auch … und an die Klippen zur „Pytheas“ fahren. Mal sehen, was der Fishfinder dazu sagt.“
    … das Netz scheint doch recht schnell in Vergessenheit zu geraten …
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #2
    Als erstes Fahren wir die „Pytheas“ an. Der Spot ist nicht tief; 3 bis 24 Meter. Doch das Wasser ist grün und trübe. Es reizt mich nicht unter diesen Bedingungen. Wir fahren in die Bucht von Banyuls und sehen einer Beginnertruppe beim Abkippen vom Schlauchboot an einem ufernahen Unterwasserfelsen zu. Ich erzähle lückenlos von meinem Tauchgang.
    „Lass uns heute Abend hier abhauen. Die Sicht ist für die nächsten Tage restlos im Arsch, und so viel Zeit zum Warten haben wir nicht. Und außerdem willst sicher auch du mal wieder Tauchen. Vorher aber noch die „Astreè“ überlaufen – okay?“
    Ja! Ist okay so. Hier … fahr du!“ antwortet sie mir.
    Mit langsamer Fahrt nähern wir uns der unweiten und recht küstennah gelegenen Wrackposition der „Astrèe“.

    „Astrèe“:
    Frachter, 3500 t.
    Im Dezember 1942 von den Deutschen beschlagnahmt und unter italienischer Flagge laufend. Einsatz Tunesien. Aus Ägypten kommend am 01.Mai 1944 vom englischen U-Boot HMS Untiring nahe dem Hafen Port Vendres torpediert und versenkt.
    Tiefe Grund: 45 Meter, intakt, Bug weggebrochen – nahe dem Hauptteil liegend.
    (frei übersetzt aus dem Französischen, Quelle: www.scubadata.com)

    Wir erblicken an der vermeindlichen Position einen Tauchdampfer, und an der „Saumur“ liegt auch einer!
    Der an der „Astrèe“ lädt gerade seine Jünger wieder ein.
    „Hää .. die waren aber nicht lange im Wasser – was?“ werfe ich grinsend in die Runde ein, sehr wohl noch wissend wie es gerade da unten aussieht.
    „Ich fahr mal an den Kanister!“ ergänze ich nach geraumer Zeit und nachdem das Schraubenwasser vom Tauchdampfer zu sehen ist. „Alle sind da an Bord. Jetzt sind wir dran!“ Fahre ich fort.
    „Gehst du runter?“ fragt meine Freundin leicht besorgt aber wohl wissend um meine Gedanken. Sie kennt mich eben und weiß wie es in mir aussieht.
    „Ich weiß noch nicht. Ich überlege noch … mal sehen!“

    Der Ausschlag ist ebenso riesig wie an der „Alice Robert“ und es reizt mich.
    „Geh doch! Ich weiß doch was sonst heute Abend oder morgen oder erst Recht übermorgen los ist … wenn wir wieder in Cavalaire sind!“
    „Ja … ich gehe runter! Du hast Recht. Spätestens Übermorgen bin ich am Kotzen – wenn ich das jetzt und hier nicht mache. Ich weiß nun was los ist – da unten. Und außerdem waren die Affen eben da unten, und was die können kann ich auch! Wenigstens unten gewesen sein … mehr habe die in den fünf Minuten auch nicht vollbracht.“ Meine Arroganz ist grenzenlos. Ich erschrecke wenigstens noch selbst über mich. Und das Meer? Was wird das Meer dazu sagen? Ist das Meer nun immer noch auf meiner Seite trotz meiner Arroganz und Ignoranz? Das Netz ist längst vergessen – wenigstens für diesen Augenblick. Und Augenblicke später erneut das letzte Wort meiner Freundin vor meinem Abkippen. Und wieder der gleiche Klang ihrer anklagenden und fragenden und wegsteckenden und etwas mit Angst gefüllten Stimme bei dem Wort „JETZT“. Sie hat wie immer das letzte Wort zu mir gesprochen – vor meinem Abtauchen zu einem Wrack und das lautet lakonisch „JETZT“.

    Die Oberflächenpause war nicht sehr lang – vielleicht eine Stunde. Hier sollte nicht so viel schief laufen. Die Deco ist jetzt schon heftig wegen Zeitzuschlag und dabei bin ich gerade erst beim Abtauchen …


    *** Ende Teil 3, Fortsetzung folgt ***



    Rechtlicher Hinweis:

    Dieser Roman - auch in Teilen - ist urheberrechtlich geschützt! Die
    Tauchgänge haben in der Realität so nie stattgefunden. Keine Haftung aus
    Nachahmung! Es wurden keine Gegenstände aus dem Meer/Wracks geborgen. Die Personen, die Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

    Tauchen ist grundsätzlich lebensgefährlich!


    (c) Rene Heese 2007
    Zuletzt geändert von diverhans; 19.06.2007, 18:06.
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

    Kommentar

    • Dirk.R.
      Heerführer


      • 25.12.2004
      • 6906
      • Dorf

      #3
      lächel..

      nach der nachtschicht , liest sich das noch entspannter....!

      danke , für den input .

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      • intravenoes
        Ritter


        • 04.10.2005
        • 428
        • Riedenburg

        #4
        Ganz großes Kino Rene, hab jetzt alle Teile durch! Deine Storys sind echt die besten, les ich verdammt gerne!
        Ich seh dich immer förmlich vor mir bei deinen Abenteuern, echt gut geschrieben!
        Bitte mehr davon!
        Chris

        Kommentar

        • diverhans
          Ridderkreuzträger &
          Ritter


          • 03.11.2005
          • 443
          • BW

          #5
          Jau, dann haut mal rein .. Tei 4 und 5 eben eingestellt.
          Danke euch fürs Lesen.

          Lg., Rene
          ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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