Irrfahrt, Teil 4 und 5, Roman

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  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #1

    Irrfahrt, Teil 4 und 5, Roman

    Irrfahrt


    Teil 4:

    Wieder tauche ich hinab in das grüne Wasser, lasse die fixe Muring durch „O“-förmig aneinander gelegten Daumen und Zeigefinger meiner rechten Hand gleiten. Ich tauche verhalten ab, aber deutlich schneller. Keine eigene Leine, sondern eine Muring verheißt subjektiv irgendwie mehr Sicherheit und die anderen waren ja eben auch schon da … unten. Nur dass ich mit der „Restluft“ von vorhin abtauche macht diesen Tauchgang nicht sicherer. Die reale Grundzeit ist streng kalkuliert; mehr als zwölf Minuten plus etwas Reserve darf ich nicht bleiben.
    Der schwarze Schatten des Wracks ist diesmal auszumachen und kurz darauf sehe ich sie – die „Astrèe“! Gott sei Dank, die Muring ist an den weitläufigen Mittschiffs-Aufbauten befestigt. Ich erkenne sogleich eine Gitterstruktur die nur von Aufbauten in dieser Art und Weise herrühren kann und so ist es dann auch. Die hölzerne Decke ist weggefault und das Decken-Skelett gibt große Penetrationsmöglichkeiten preis und bietet eine angemessene Orientierungsmöglichkeit – trotz der schlechten Sichtverhältnisse. Im Aufbau erkenne ich eine Sichtverbesserung auf vielleicht 3 Meter. Da die Gitterstruktur - wie üblich – rechtwinklig und parallel zu Schiffsmittellinie verläuft, wage ich es, mich von der Muring zu entfernen. Schnell bin ich augenscheinlich an einer der Schiffsseiten; dabei habe ich die quer verlaufenden Streben gezählt. Ich lasse mich absinken und befinde mich nun in einer der Arkaden – die unweigerlich zum Bug oder zum Heck führen; eine Richtung wird gewählt und vorsichtig los geschwommen. Ich komme an einem Niedergang an, der wohl gleichzeitig das Ende der Aufbauten ist – ich vermute, ich bin Richtung achtern getaucht. Ich kenne mich mit den Strukturen der alten Dampfer verdammt gut aus, doch vermag ich die Richtung nicht zweifelsfrei festzustellen. Ich tauche ein kurzes Stück zurück und wage mich nun in die eigentlichen Aufbauten. Trennwände aus Metall sind teilweise erhalten, aber auch zum Teil großflächig durchrostet. Am intakten Boden liegt viel feiner Mulm und reichlich Gegenstände. Einige hebe ich auf und stelle dabei viele Holzteile, aber auch vieles aus Eisen fest. Die Sicht verschlechtert sich zusehends, da ich meiner Leidenschaft nicht widerstehen kann. Schnell noch bei „guter“ Sicht ein Blick in die Richtung aus der ich gekommen bin – zur Lagepeilung denn hier ist oben zu. Ich werde es strickt vermeiden mich zu drehen oder zu wenden. Luft aus dem Wing und leicht schwer gemacht setzen meine Knie auf – Körperachse mit Kopf in Richtung Ausgang. Bei 50 Watt habe ich den Umständen entsprechend die optimale Sicht. In Null-Komma-Nichts ist die Sichtweite auf wenige Zentimeter geschrumpft … und die Zeit rinnt und die Deco wächst ins scheinbar Unermessliche …
    „Da! Messing! Das da ist doch Messing!“ Brubbele ich in meinen Regler.
    Verdammt – ich habe wirklich Messing gefunden! Das ist ganz klar „grüner Span“ und die Form sehr schön! Die Freude ist riesig. Der Hebesack wäre übertrieben – das Sammelnetz reicht allemal. Schnell das gute Stück aus der Tasche hervor geholt, entfaltet, aufgerissen, Messing rein, Klettverschluss zusammengedrückt, Karabiner an D-Ring und ab dafür – nach Hause, … reicht für heute!
    „Klongg“ … das war eine der ersten Stufen beim Durchhuschen der ersten durchrosteten Wand – sie ist eher breiter als höher - in völliger Dunkelheit; denn es bringt nichts mit eingeschalteter Lampe hier rauszutauchen. Bei völlig zugemulmter Sicht sieht man eher in Dunkelheit den helleren Schein des Ausstieges als wenn man die Lampe eingeschaltet hat – das machen einige anders. Ich tauche so, auch wenn ich heute eher keinen „hellen Schein“ gesehen habe. Aber dennoch: Nicht so schnell Junge! Eine der beiden brückenlosen Flaschen sollte jetzt nicht ausfallen. Zur Sicherheit sofortiger Reglerwechsel als Kontrolle. Ich muss nach links, dann einige wenige Meter gerade aus, dann höher – durch das „Stahlgitter“ und dann wieder nach links und zählen. Ich sollte nun auf die Leine treffen. Wenn nicht, bin ich auf jeden Fall auf der richtigen Strebe.
    In der Arkade ist die Sicht wieder besser, und der Rest klappt auch als ich nahezu punktgenau auf die sich hell abhebende Leine stoße. Da ich sie sehe tauche ich die Leine bereits schräg nach oben an – bringt zwar nur Bruchteile von Sekunden, aber hier jetzt noch rumeinern kann ich mir nicht erlauben.
    Auf einundzwanzig Metern der erste Stopp und Blick auf alle Anzeigesysteme; ich stehe gut da…
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #2
    Der Kopf durchbricht die Wasseroberfläche, augenblicklich folgt das „große Okay“. Das schneeweiße Rib ist ganz in der Nähe und die Freundin schaut bereits in Richtung Kanister.
    „Geil! Das eben war einfach nur geil! Das ist Wracktauchen … büschen kurz aber immerhin! Hier nimm dat mal!“ Ich reiche ihr mein breits ausgeklipstes Sammelnetz. „Heb dir aber keinen Bruch! Dat is` schwer … und lass dat nicht fall`n … verdammt!“ Grinse ich sie über beide Ohren an – meine Stimme ist dabei recht gesenkt und noch hänge ich bis zum Hals im Wasser. Sie lächelt mich nur an und nimmt mir das Netz behutsam ab. Ihr Blick weicht nicht von meinem strahlenden Gesicht; sie weiß – alles ist gut gelaufen und sie freut sich für mich.

    „Geiler Dampfer! Ich hab nicht viel gesehen, aber ich war drin … nicht tief, aber in den oberen Aufbauten drin! … Die scheißen sich hia in die Hosen … bei dieser dauerhaften Scheiß-Sicht … zu wühlen, sonst hätte ich dat da nicht jefund`n.“ Fahre ich begeistert fort, als ich aus meinem Gerät aussteige. „Ich muss hier wieder her! Versprich mir in die Hand, das wir Ende Juli hier wieder her fahren und wir laden jetzt den Dampfer auf und fahren nach Cavalaire … D u s c h e n ! Da scheint die Sonne, da ist das Wasser klar und wir können viele Fotos machen und du kommst bei jedem Tauchgang mit … versprochen!“ Ergänze ich aufgeregt.
    „Ja! Lass uns den Dampfer aufladen. Über das andere reden wir noch! Wir haben da nur eine Woche – nicht zwei.“ Lächelt sie zurück.
    „Och nöö … komm … bitte! Von dem einen habe ich die Mastspitze gesehen und bei dem anderen bin ich durch ein Scheunentor großes Loch durch … dat war doch nix! Und guck hia …“ dabei zeige ich auf das Sammelnetz „… der ganze Boden ist voll davon … überall liegt was rum … und im Sommer soll hier deutlich bessere Sicht sein … da kommst`e einfach mit runta!“ hole ich nun zum ersten mal Luft. Mein Mund ist immer noch offen und wartet auf ein Einlenken meiner geliebten Freundin.
    „Mal sehen!“ Zu mehr lässt sie sich bei aller meiner Begeisterung nicht hinreißen und dann:
    „Och man … ich will auch mal Tauchen! Du weißt genau, dass ich hier nicht mit reinspringe!“
    „Ja … hast ja Recht; wir fahren jetzt sofort nach Cavalaire. Da wartet eine heiße Dusche auf deine schönen blonden langen Haar und deine samtweiche Haut. Und strahlend blaues klares Wasser. Ich kann die „Togo“ zwar nicht mehr sehen, aber wir gehen an die „Togo“ und machen zusammen brillante Fotos … versprochen. Und ich gehe mit dir an die „Rubis“. Also komm … Boot aufladen! Fahr du; ich war Tauchen.“ Beende ich meinen Endlossatz mit beinahe dem gleichen Inhalt.

    In Port Argelès laufe ich bereits um 11.30 Uhr recht stolz ein. Meine Freundin hatte kurz zuvor lächelnd um „Ablösung“ gebeten. Gestern sind wir noch auf der Mole spazieren gegangen und heute sind es die anderen die uns anschauen. Natürlich habe ich noch meinen Trocki an; der Reißverschluss ist geöffnet und die Halsmanschette über den Kopf gezogen. Jeder soll sehen, dass ich Taucher bin … dass ich von der „Alice Robert“ und von der „Astrèe“ komme. Mein speckiges, salzverkrustetes und ehemals dunkelblaues Basecap ziert meine Birne, aber die coole Sonnenbrille tront diesmal oben auf dem Schirm. Denn jeder soll meine strahlenden Augen sehen. Leise schnurrt der Viertakter und für alle sichtbar weht am Navibügel die Alphaflagge in „gedient-schmutzig“ weiß-blau. Ich gönne mir jetzt einfach diese Einbildung; es war knapp an der „Alice Robert“ und recht erfolgreich an der „Astrèe“ wenn auch viel zu kurz … und die Wurst steckt immerhin noch im Arsch und nicht im Schlüpfer. Und die Einsicht? Wo ist die Einsicht? Wo steckt die Einsicht denn? Behalte die Grenzen im Auge – hat sie gesagt …

    Wir füllen nun noch die Flaschen – lautet das nächste Vorhaben. Der erste Franzmann macht auf wichtig und schaut sich meine neue gebrauchte 12er mit der rostigen 1998 recht genau an. Der zweiten Tauchbude ist das zwar nicht egal, aber da ich diesmal die weiße ce2005er gleich neben die gelbe 1998 auf der Sackkarre platziere, fällt die rostige Zahl nicht sogleich auf. Zum einen hatten wir gestern schon mit konkret diesem Mann einen Smalltalk und zum anderen lenke ich mit dem noch vorhandenen Aufkleber der „EU-Tauchflasche“ ab. Zudem kann ich den Mann mit dem Gebrabbel über den Deutschen Gewissenhaften TÜFF zu labern, sodass er bereitwillig beide 12er füllt. Ich setze noch einen drauf und radebreche, er möge mich nicht mit 210bar heiß abfrühstücken. Er zieht einen Winkel seiner Oberlippe nach oben und holt ein Wasserbad ran. Ich lange ihm dafür – so wie Enzo dem Jack – auf die Schulter, denn auch ich bin deutlich größer.

    Ab zum Strand wie Minuten zuvor versprochen. Der Dampfer ist auf dem Trailer fest verzurrt und alles andere reisefertig. Meine Freundin lag doch vor unserem Taucherdasein so gerne bratend in der Sonne rum. Es ist schließlich auch mal Urlaub – statt Abenteuerreise.
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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    • diverhans
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      Ritter


      • 03.11.2005
      • 443
      • BW

      #3
      Teil 5:

      Es kommt Wind auf und meiner Freundin wird es zu kalt am Strand. Ich bin fest eingeschlafen und träume von der auf der „Alice Robert“ vorhandenen Schiffsglocke und dem Kompass. Behutsam werde ich geweckt und weiß nicht wo ich bin.
      „Scheiße … Wind! Wir haben verpennt! Wir wollten doch noch raus!“ Blicke ich kerzengerade und verwirrt auf.
      „Nein, du warst schon unten. Wir wollen jetzt los nach Cavalaire. Mir ist kalt.“ Erwidert sie. Ich blicke mich schlaftrunken um: „Buoooh-nee! Mir ist auch kalt … los weg hier!“ Ich bin nun hell wach! Mir gegenüber – ziemlich nah – sitzt eine Alte recht breitbeinig da und fett wie Methusalem und mit freiem Oberkörper; die Brüste schlaff wie auch die Bauchlappen. Beides verschmilzt zu einer undefinierten Masse. Und sie lächelt mich an.
      Ich stinke wie die Pest. Die Kaltwasserdusche hier am Strand kommt gerade recht. Sicher – auf für mich könnte das Duschwasser etwas wärmer sein – nach eben gehabten Ausblicken, aber man muss Prioritäten setzen.
      „Wat du immer so daran findest – am Herumliegen am Strand.“ Erwähne ich beiläufig beim nochmaligen Umdrehen zur Alten und dann sind wir in Begriff endlich zu gehen.
      Es ist erst 14 Uhr, lange kann ich demnach nicht geschlafen haben.

      Ich habe Genickstarre vom nach rechts gucken jetzt auf der Autobahn, denn dort ist das Meer. Meine Freundin schläft auf der hinteren Sitzbank. 130 Sachen ziehe ich durch und habe in Verbindung mit dem Einsatz der Lichthupe auf der linken Fahrbahn recht freie Fahrt. Einige Trucks hupen kurz, bevor ich sie passiere; andere winken freundlich aus dem geöffneten Fahrerfenster und wiederum andere bemerken mich erst gar nicht, da sie sich die Fußnägel schneiden oder fernsehen. Der einachsige Trailer läuft sauber und ohne zu schlingern hinterher; die Fahrbahn ist im guten Zustand und so kommen wir recht zügig vorwärts.

      „Kommst du mal … bitte! Kommst du mal wieder nach vorne? Ich brauche einen Copiloten … jetzt hier demnächst vor Marseille!“ Etwas Besseres fällt mir nämlich nicht ein – meine Freundin zu wecken und auf meine Gedanken vorzubereiten, die ich während der stundenlangen Autobahntour hatte schmieden können.
      „Sag mal…“ fahre ich fort „… was hältst du davon wenn wir einen Abstecher nach Carro machen … liegt auf der Strecke. Du könntest dir ein gemütliches, verträumtes Fischerdörfchen ansehen!“
      „Wohin?“ Fragt sie mit erhobener Stimme.
      „Nach Carro!“
      „Sag mir lieber wie der Dampfer heißt. Dann kann ich eher etwas damit anfangen.“ Erwidert sie spontan.
      Ich bin enttarnt und kratze mir den Kopf: „Es ist die „Kleber“; knapp einhundert Meter lang, 1901 gesunken, Passagierdampfer …“.
      „Ja, Kleber … ich weiß! Davon sprichst du schon seit drei Jahren.“ bestätigt sie. „Dann weiß ich auch wo Carro ist … drei Meter daneben mündet die Rhône und du glaubst ich springe da bei der Sicht ins Wasser? Und irgend so`n Schlepper mit 2 Schornsteinen auf etwa 40 Metern liegt da auch noch – nur der Vollständigkeit halber und falls du`s vergessen hast.“ Sagt sie folgerichtig und fachlich korrekt – außer dass ich `s nicht vergessen habe - aber ohne mich anzusehen.
      Ich bin sprachlos und weiß nicht was ich darauf antworten soll.
      „Aber ... “.
      „Schon gut! Sag mir lieber wo die Karte ist.“ Unterbricht sie mich.
      „Hinten – in der großen Rolle.“
      „Ich meine nicht deine Seekartensammlung, die den halben Bus einnimmt, sondern die Straßenkarte!“ Übertreibt sie mir nun zugewendet.
      „Hinter mir, Fahrersitz, Tasche an der Rückwand.“
      „Da sind die anderen Seekarten – die gefalteten – drin!“
      „Dann kaufen wir eben eine. Ich habe keine mit.“ Antworte ich bereits auf der Einfahrtspur einer Tanke.

      Ankunft Carro, gegen 19 Uhr. Etwa 12 Katzen begrüßen uns am Meer. Eigentlich wollten wir uns nur mal nach der Wasserqualität hier in Carro blicktechnisch erkundigen, doch diese müssen erst einmal alle versucht zu streicheln werden. Ich muss meine Freundin regelrecht ans Wasser tragen; sie kommt kaum von den lieben Tierchen los.
      „Hmm … das sieht ja gut aus!“ Sagt sie erfreut zu mir. Ich werde den Teufel tun und ihr widersprechen. Wir müssen etwa 10 km rüber, Richtung West zur Rhône – mit dem Boot und wenn hier das Wasser klar ist, werden es „drüber“ trotzdem nicht mehr als drei Meter Sicht sein. Aber die Hoffnung stirbt zu letzt.
      Gott sei Dank liegen die Wrackreste der „Kleber“ nur in maximal 12 Meter Wassertiefe, sodass eigentlich keiner der Expeditionsgruppenmitglieder sich gruseln sollte.

      Tja … die „Kleber“; ich hatte öfter schon geplant von Marseille(!) aus mit dem Boot die mords-lange Strecke, die abenteuerliche Westwärts-Fahrt zu wagen, doch immer machte mir im vergangenen Jahr das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Der Spot ist so beschissen zu erreichen und die Sicht so scheiße und der Dampfer so unbekannt wie unspektakulär in der „Fachpresse der französischen Taucher“ beschrieben, dass ich mir hier einiges verspreche und auch in den Jahren vor unserem Boot schon überlegt hatte – wie ich da ran komme. Und morgen nun soll es soweit sein. Selbst wenn mir die Katzenarmee übernacht geschlossen in mein schönes Boot scheißt, wird es mir ganz sicher nicht den morgigen Tag verderben und das Wetter sieht heute Abend topp aus; wolkenlos, die Sonne lacht und beinahe windstill.
      Wir gönnen uns eine Pizza und fressen sie im bequemen Bus am Klapptisch restlos auf…

      Donnerstag, 31.05.2007, aufgestanden gegen 8.30 Uhr (irgendwann einmal muss auch ich schlafen – nachdem ich bis 02.00 Uhr in der Nacht über der entsprechenden Seekarte gebrütet habe und mit zwei Kursdreiecken, Stechzirkel und Bleistift, sowie Taschenrechner bewaffnet – dafür Sorge trug, dass dem Finden der Wrackreste ein 100%er Erfolg vorprogrammiert sei. Denn wirklich „geplant“ ist die „Kleber“ als solches nicht! Mein Französisch ist so grottenschlecht, dass das nächtliche Studium der Literatur die meiste Zeit verschlang).
      Das Boot wird an der erstklassig und großzügig bemessenen Slipanlage umgehend zu Wasser gebracht.
      Ich hatte meiner Freundin schönes Wetter versprochen: Der Himmel ist schwarz, der Wind haut ordentlich einen rein, die Welle geht so und es regnet; absolut perfekt um mit guter Laune bei meiner Freundin rechnen zu können. Ich höre von ihr jedoch keine Anklage, kein Wort des Zweifelns, kein Weinen; lediglich nur, dass ich konkret ihre Ausrüstung nicht zusammen bauen brauche. Darauf erwidere ich sicherheitshalber, dass sie mit warmem und wasserfesten Zeug`s nicht sparen sollte.
      ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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      • diverhans
        Ridderkreuzträger &
        Ritter


        • 03.11.2005
        • 443
        • BW

        #4
        „Janz-schöner Steam, wat?“ rufe ich meine vor dem Fahrstand sitzende Freundin an, ohne Antwort zu bekommen. Der starke Wind kommt aus Süd-Ost und wir laufen Raumschot mit der halb achterlichen See. Ich weiß was uns und dem Tauchdampfer die Rückfahrt bringen wird, meine Freundin hoffentlich nicht…
        „Sie mal … die schönen, fetten Frachter auf der Reede West! Geil wat? … Und da! Da ist ein Dreißigtausendtonner! … Und der da – der hat sogar noch Ladegeschirr! Dat is` selten … heutzutage!“ Rufe ich laut meine Freundin an, dem Versuch gleich – von den Gegebenheiten hier auf See abzulenken. Es schein mir zu gelingen; sie hat sich eben etwas bewegt – meine Freundin … oder es war ein ängstliches Aufzucken – eben – als ich mit Höchstfahrt und 30° Krängung vom Wellenkamm schräg geschnitten ins Tal gleite und somit mehr als genug Schub für den nächsten Wellenrücken habe um ihn in alter Seglermanier zu nehmen. Raumschot ist eben der Race-Kurs! Das war früher so und ist heute auch noch so! Und warum unnütz Zeit vertrödeln und Kraftstoff vergeuden, wenn das Wetter mitspielt!
        Der Rumpf – der Bug ist ideal geformt; wir können nicht Unterschneiden – und selbst wenn, dann haben wir immer noch den dicken Schlauch an sich der das verhindert.
        Einer der großen Frachter macht etwas Lee und die See ist für einen Augenblick recht friedlich.
        „Hast du noch irgendetwas vor? Willst du noch etwas machen; aufstehen, zu mir gekrabbelt kommen, was anziehen oder sonst etwas? Das wäre jetzt der Augenblick … dafür.“ Rufe ich meine Kleine erneut an. „Huhu!?!“
        „Jaa! Ich bin okay und alles ist gut!“ Bekomme ich nun endlich als Antwort.
        „Noch ein kleines Stück, dann sind wir da!“ Das ist meinerseits recht frech gelogen, denn erst zwei Drittel der Strecke sind rum.
        „Es kommt jetzt nach den Frachtern hier noch mal büschen Welle auf; aber nur kurz! Dann wird`s super-flach und die Welle ist praktisch verschwunden!“ Beruhige ich sie. Das wiederum ist klar wie Kloßbrühe – sogar auf dem Mittelmeer!
        Und es wird ruhig. Wir nähern uns langsam der Wrackposition. Ich beginne mir Sorgen zu machen, denn der Fishfinder „spricht“ von 10 Metern Wassertiefe und wir sehen bereits das Schwemmland der Rhône; es kann also nicht wirklich noch mal tiefer werden.
        Ich habe alles nach Europ50 berechnet und eingegeben um die Fehlerquote – die schnell mal viele Meter betragen kann, weites gehend gegen Null laufen zu lassen.
        Das GPS trillert; wir sind da … und … der Fishfinderausschlag ist zweifelsfrei - hier am Sandboden.
        „Jääh! Man! Das isser! … guck! Haste klasse jemacht – du Profi! Glückwunsch!“ Umarme ich meine Freundin – ich habe sie(!) das letzte Stück fahren lassen.
        „Okay! Dann fahr mal das Gebiet großflächig in engen Gittern ab! Ich will sehen wie der Dampfer oder besser die Reste liegen. Nich` dat ich noch den Maschienentelegraphen oder die Glocke verpasse!“ Wende ich mich von ihr ab um die Markierungsleine fertig zu machen. Ich stecke 20 Meter und nehme die „600 kg Leucht-Bombe“ als Schwimmkörper. Das ist auch nötig, denn selbst nur zweihundert Meter weiter ist sie wegen der Wellen kaum noch zu sehen...
        „Dat sieht ja richtich gut aus … man! Der Ausschlag ist zwar nicht hoch – nur etwa und auch nur an einigen Stelle 3-4 Meter hoch, aber alles zusammenhängend. Der Dampfer ist zusammen gebrochen, das ist mal klar … aber immerhin! Damit habe ich bei weitem nicht gerechnet.“ Werfe ich ein und beruhige sie weiter: „Wenn da unten nix los ist, die Sicht unter aller Sau ist - bin ich gleich wieder zurück. Und wenn nicht, dann mach dir mal keine Sorgen. Ich kann hier nur höchstens 12 Meter tief, und das Loch muss ich erst einmal finden. Es kann sein, dass ich auf dem Rückweg keine Zeit bezüglich der Suche nach der Leine verschwende und frei aufsteige.“
        Das Wasser ist dunkelgrün…

        „JETZT“ ruft sie und ich kippe ab.
        Zuerst halte ich nur das Gesicht ins Wasser; will die Sicht checken; und die ist unter aller Sau. Dann sehe ich, dass die Leine recht waagerecht verläuft und nahezu straff ist. Und das ist Strömung – auch unter aller Sau.
        Dann beginne ich den „Abstieg“ in den Mulm. So sonderlich „ehrlich“ erscheint mir mein Meer heute aber nicht. Der Gedanke ist kaum zu Ende gedacht, da stoße ich auch schon auf den schwarz-bräunlichen Schiffskörper. Zeiten und Luftvorräte nehme ich nicht, ich habe die pralle D12er aufgerödelt und bewege mich fern jeglicher Deco.
        Schnell wird noch die Leine reichlich außenbords verbracht und die Kompasspeilung genommen, damit ich sie beim Bergen nicht in das Wrack ziehe.

        Der Schiffskörper an sich ist intakt, die Freude darüber ist riesengroß. Ich befinde mich an einer der Schiffsseiten und entdecke daneben sogleich ein herausgerissenes Stück Außenhaut … mit … einem Bullauge! Das Messer wird aus der Scheide gezogen und gekratzt. Das Ergebnis ist zufrieden stellend, jedoch die Lage des Wrackteils nicht. Das Bullauge könnte nach dem Lösen in den darunter liegenden Kolk fallen und wäre unwiederbringlich verloren. Ich müsste 200 Jahre alt werden bis die Platte vielleicht zerbröselt ist oder mir reichlich Hebesäcke mit Tonnen von Tragfähigkeit kaufen. Zudem lenke ich mich vom Berge-Gedanken damit ab, dass ich eh nicht das passende Werkzeug mit auf die Reise genommen habe. Schließlich hieß es: Tehk Picktschers, nott tsinks – wir wollten mit der neuen Kamera arbeiten.
        Die Wracklage habe ich an der Oberfläche mit dem Kompass gepeilt und mir gemerkt. Ich tauche Richtung Nord und stelle nun fest am Bug angelangt zu sein. Dieser erscheint mir viel zu Spitz – bis ich feststelle, dass her horizontal „abgeschnitten“ ist. Das (spitze) Unterwasserschiff steht aufrecht im Sand und das Freibord liegt Steuerbord daneben auf die Seite gekippt – alles wie mit einem Laser durchtrennt.
        Nun folge ich der Schiffsmittellinie nach achtern. Ein Wirrwarr von Wrackteilen im Schiffsleib, bis ich zu den noch vorhandenen Strukturen der Mittschiffsaufbauten gelange. Ich kann sogar von „Penetration“ sprechen – so respektabel sieht es hier noch aus. Ich bin überwältigt.
        Im Zickzack geht es hin und her. Unmittelbar am Wrack habe ich sogar um die drei Meter Sicht und bin zufrieden. Alles ist im Grün erhellt; der Schiffskörper hebt sich prächtig ab.
        Es wird von Backbord nach Steuerbord und zurück gependelt, es wird hier etwas angefasst und da aufgehoben und dort gegraben – bis, ja bis ich an Steuerbord Mittschiffs etwas unter einer schweren Platte einen regelmäßig geformten Körper sehe! Und das ist immer etwas Gutes!
        Wieder klickt der Verschluss und das Messer gleitet aus der Scheide. Nun beginne ich zu kratzen, zu stochern, regelrecht schwer zu arbeiten – an dem guten Stück. Meine Kowalski leuchtet hin und wieder mal auf. Verdammt … das gibt`s doch nicht! Das ist ein etwa 300x200x200 mm großer Quader und der leuchtet rot! Eine kleine Truhe? Eine Schmuckschatulle? Ein Marmorpodest und dahinter die Statur … vielleicht?
        In Bruchteilen von Sekunden ist nun die Sicht auf wenige Zentimeter reduziert und die Arbeitsgänge forciert. Ich lege Pausen ein - rein darum um Frischwasser heranzuwedeln. Die Polygrip-Zange muss als Hebel herhalten.
        „Sonü Scheißä hia! Wieso habe ich kein ordentliches Werkzeug hia? … Pißkram! …. Scheiße … verdammte!“ Brülle ich real in den Regler.
        Den Bewuchs, die Verkrustungen und die Jahrzehnte immer mehr fortgeschrittene Verschmelzung zu einem zementartigem Material der „Korrosionsprodukte“ kriege ich beseitigt, doch ist das Teil verkeilt und verklemmt von schweren Schiffsblechen.
        Meine Armmanschetten sind brandneu und seit dem ersten Tauchgang vor Tagen nicht dich. Doch diese Rackerei sorgt Schub für Schub dafür, dass nun der Trocki beinahe geflutet ist. Kalt ist mir aber nicht – ich schwitze!

        Irgendwann gebe ich schweren Herzens und enttäuscht auf; bedecke die Stelle wieder und präge sie mir ein. Ich muss hier noch mal her!
        Es geht weiter zum Achterschiff. Auf die Uhr zu schauen fällt mir nicht mal im Ansatz ein. Das nächste Loch wird großflächig gegraben an einer vermeintlich Erfolg versprechenden Stelle – eine Tellerscherbe. Und dann hier noch was und dann da noch was…
        ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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        • diverhans
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          • 03.11.2005
          • 443
          • BW

          #5
          Nun bin ich beinahe am Achterschiff angelangt und erinnere mich an meine wartende Freundin. Prompt schaue ich auf die Uhr.
          „Scheiße-sonü-Scheiße!“ Brülle ich regelrecht in den Regler; es ist deutlich über eine Stunde seit ihrem „JETZT“ vergangen!
          Ich habe weiß Gott keine Zeit mehr um den Rest des einstigen stolzen Passagierdampfers zu erkunden … auch nicht um die Aufstiegsleine zu suchen. Sofort steige ich höher, stoppe auf 3,5 Metern dennoch zu einem Sicherheitsaufenthalt. Die Zeit vergeht nicht…
          Als ich den Kopf aus dem Wasser strecke und beim Rundumblick das kleine Spielzeugboot da in der Ferne erblicke, spucke ich hastig den Regler aus – noch bevor ich voll anblasen kann, denn jeder Meter ist jetzt kostbar:
          „Ööööh… … chrrr! Schreie ich bis zum Krächtsen in Richtung Spielzeugboot.
          Das Meer ist wieder einmal auf meiner Seite, schnappt sich den Brüller unterm Arm und trägt ihn rüber zu meiner Freundin – direkt in ihr zartes Ohr. Ein Augenlidschlag später hebt sich der Bug und senkt sich das Achterschiff von dem Spielzeugbootchen – es nimmt rasch Fahrt auf. Als ich meine Freundin als solches erkennen kann kommt von mir das „große Okay“…

          „Ich habe an der Boje gewartet und nach deinen Blasen geschaut … dann waren sie weg!“ Sagt sie leise und mit starrem Blick.
          Ich beginne nun den Tauchgang darzustellen und erzähle lückenlos – mit etwas verhaltener Begeisterung… mir ist nicht wohl.
          „Es hat zwischendurch sogar einmal die Sonne geschienen und dann wieder geregnet – so lange warst du weg. Erst habe ich noch deine Blasen wandern gesehen, dann nur noch an einer Stelle und jetzt zum Schluss rein gar nicht mehr.“ Unterbricht sie mich irgendwann einmal mit starrem Blick, versucht zu lächeln, und dann rinnt ihr eine Träne über die Wange – gefolgt von einer zweiten und ihr Mund verzieht sich bizarr. „Das können wir so aber nicht noch einmal machen … ja?“ Piepst es aus ihrer Richtung, dass ich es kaum verstehen kann. „Ich habe wirklich nicht auf die Uhr geschaut. Mist. Es tut mir mehr als Leid! Ich hab` hier wohl wirklich Scheiße gebaut! Na-ja…“ Rolle ich nun meine Ober- und Unterlippe nach innen in meinen Mund und nicke leicht dazu und schaue dazu in ihre feuchten Augen – die nun langsam wieder klarer werden – reine weibliche Beherrschung einer verständnisvollen Person: „Nein, hast du nicht! Wir(!) haben Scheiße gebaut … hätten es besser und wie sonst auch absprechen müssen!“
          „Nee, lass ma … dat ist mein Ding hier … mit dem Verlauf. Ich muss da mal wieder büschen teamer werden. Dat geht so nicht!“ Wende ich mich ab und lege das Tauchgerät flach auf den Bootsboden und beginne Vorbereitungen für die Heimfahrt zu treffen. Dann unterbreche ich jäh, gehe auf sie zu und nehme sie fest in den Arm: „Ich liebe dich Kleines! Ein paar kleine Sachen sind dauernd zu verbessern und andere geraten zeitweise in Vergessenheit ; ich meine nicht dich damit – sondern die Disziplin. Ich sollte mal wieder öfter bei meinen Alleingängen an dich denken … da unten, und wenigstens auf die Uhr schauen.“ Lächle ich sie an und bekomme eins zurück: „Ich liebe dich auch! Pass immer schön auf dich auf und denke an uns beide – wenn du da unten alleine bei deinen Wracks bist.“ Haucht sie…

          „Wollen wir die beiden anderen flachen Wracks an der Rhône, paar Meter von hier wenigstens noch überlaufen?“ Frage ich nach dem Einholen der Leine und während des Aufrödelns des Tauchdampfers und nachdem noch das ein oder andere besprochen wurde. Der Kippen im linken Mundwinkel ist durchgeweicht.
          „Dahinten kommt `ne Gewitterfront – lass uns nach Hause! Der Weg ist lang und mir ist arsch-kalt!“ Erwidert sie lakonisch.
          „Okay … dann mache ich jetzt auch nicht mehr den großen Schlepper auf vierzig … den mit den zwei Schornsteinen … meine ich!“ Grinse ich mit nassem Kippen beim Aufschießen der leinen zurück.
          „Ich weiß <wen> du meinst! Es reicht für heute … denke ich!“ Fliegt mir ein recht energischer Ton ihrerseits an den Kopf und danach kommt ein gewaltiger Windstoß vom Meer! Sofort schließe ich den Reißverschluss an meinem Mund bis in die letzte Ecke zu.
          Zwei, die ich nicht überstrapazieren darf und möchte: meine Freundin … und das Meer - ich blicke auf die aufgewühlte See und ein Schauer läuft mir kalt über den Rücken…

          Die Sturmfahrt nach Hause – zurück in den sicheren Hafen nach Carro – kann beginnen …


          *** Fortsetzung folgt ***


          Rechtlicher Hinweis:

          Dieser Roman - auch in Teilen - ist urheberrechtlich geschützt! Die
          Tauchgänge haben in der Realität so nie stattgefunden. Keine Haftung aus
          Nachahmung! Es wurden keine Gegenstände aus dem Meer/Wracks geborgen. Die Personen, die Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

          Tauchen ist grundsätzlich lebensgefährlich!


          (c) Rene Heese 2007
          ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

          Kommentar

          • diverhans
            Ridderkreuzträger &
            Ritter


            • 03.11.2005
            • 443
            • BW

            #6
            Hinweis!

            Möglich, dass der Rest des Romans u.U. etwas später erscheint, da ich meinen DSL-Anbieter wechsele. Möglich, dass das nicht reibungslos verläuft und ich zeitweise ohne Internetzugang sein werde. Bitte da um Verständnis, danke.

            Lg., Rene
            ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

            Kommentar

            • BoAndy1966
              Ritter


              • 13.04.2006
              • 336
              • Frankfurt

              #7
              Super, Rene.
              Meine Respekt. Eine tolle Geschichte. ich kann die weiteren Folgen kaum erwarten.

              Andy

              Kommentar

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