Irrfahrt, Teil 6, Roman

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  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #1

    Irrfahrt, Teil 6, Roman

    Teil 6:

    Das Vorschiff kracht ohrenbetäubend und dass es in meiner Seele weht tut in die Wellentäler, beziehungsweise in die nun im spitzen Winkel anlaufenden und angefahrenen Wellenkämme. Die Freundin steht in Lee neben mir am Fahrstand und ist ab der Hüft abwärts durchgeweicht. Sie zittert vor Kälte – hat sie doch nur die wetterfeste Jacke an und sonst „Straßenbekleidung“.
    „Mehr geht nicht Kleines! Sonst zerreist es das Boot! Der Dampfer kann eine Menge einstecken – aber das hier ist die Grenze!“ Spreche ich sehr laut. „Die Schraube darf nicht frei drehen; nur einen Moment und die Maschine ist im Arsch … dafür ist sie nicht gebaut und das können wir hier draußen ganz sicher nicht gebrauchen!“ Ergänze ich.
    Mir geht es gut, ich fahre das Boot im geschlossen gehaltenen Trocki – auch wenn der Unterziehe vom eben permanent eingepumpten Wasser an der „Kleber“ durchgeweicht ist.
    „Willst du dir auch deinen Trocki anziehen? Der ist schnell aus Laderaum 1 geholt.“ Frage ich sie.
    „Nein! Schon gut! Der Bus hat ja eine Standheizung … fahr lieber nicht so schnell und lass das Boot heile.“
    Ich versuche auszusteuern, aber es gelingt mir bei der gefahrenen Geschwindigkeit nicht immer. Von Luv kommt permanent Gischt über, denn für eine ausreichende Gleitfahrt auf dem achteren Kiel darf ich nicht schnell genug fahren und es geht auch einfach nicht - ohne springen zu müssen. Zu schnell / zu träge um auszusteuern und zu langsam um trocken zu bleiben. Aber auch eine Segelyacht hätte es nicht besser – wir befinden uns auf der Kreuz! Und da stampft auch schon eine mit mehreren Reffs in Groß und Fock und macht deutlich weniger Fahrt als wir. Ich grüße und bekomme ebenso eine Antwort … auch nur zwei Leute an Bord. Der Segler liegt verdammt auf der Backe und kommt nicht vorwärts.
    „Man … der soll nicht so knüppeln (hoch am Wind liegen)! Traveller ganz raus, und etwas raumer … man. Lass dat Boot doch lauuufen … man!“ Spreche ich laut zu mir selbst. Am Liebsten würde ich jetzt tauschen. Bei Schwerwetter war ich damals als Junge im Leistungssport gut und bei Flaute letzter. Und gleich nach der Wende bin ich zum Yachtcharter und raus auf die Ostsee – genau dann, wenn die anderen gerefft oder unter Maschine rein gekommen sind. Das waren noch Zeiten!
    Rrrrums!
    „Das ist nur die Doppel 10er in Laderaum zwei! Die habe ich nicht ausgeladen wegen des Schleppers; die macht gerade den Lukendeckel in den Arsch ... ich muss doch langsamer machen!“ Der Gashebel wird von mir zu weit zurückgenommen, das Boot bremst augenblicklich ab – es ist und bleibt eben kein Segelschiff – da bricht eine große Welle genau am Schlauch in Luv und im Dampfer schwimmt`s.
    „Dat Ding hier ist selbst lenzend. Drück aber mal dennoch up den Knopp der Bilgenpumpe … sonst läuft die Poop voll und das Gerödel da hinten drin wird nass!“ weise ich an. „Siehst du! Dat kommt vom Langsamfah`n!“ Ergänze ich schnell noch.
    Antworten bekomme ich keine, aber dafür prompte Ausführungen…

    Leise surrt die Maschine im Standgas im Hafen von Carro und bewegt das Boot Richtung Pier; gutes Boot, gute Maschine. Nur die Fransmann-Flagge – wie der Name unschwer eh verrät – ist leicht ausgefranst. Die Reedereiflagge ist noch nicht so lange im Einsatz und die Alphaflagge mehrfach stabil repariert. Wir sind eben stets im Großraum Marseille unterwegs und nicht auf dem Bodensee.
    Das Boot wird aus dem Wasser genommen und sogleich verladen. Die Freundin sitzt derweilen in Handtücher gehüllt im muschlig warmen Bus und lädt nach einiger Zeit zu Doseneintopf in Verbindung mit `nem Pott Kaffee.
    „Wieso ist euch Frauen eigentlich stets und ständig kalt?“ Grinse ich sie an beim Suppe-Löffeln. Endlich spricht sie wieder: „Du Kasperkopp!“
    „Na siehst`e … geht doch!“ Grinse ich nun noch mehr.
    Lediglich sechs Katzen schleichen um Boot und Bus und werden nun von einem Reisen-Handtuch mit „mietz-mietz-mietz“ gelockt. Vier davon hauen eher ab als dass sie dichter kommen und die verbliebenen zwei wundern sich über das sprechende Handtuch.

    Ankunft in Cavalaire sur mer gegen 18.30 Uhr, die beiden lieben Klodamen drücken und dreimal Küssen, Duschen! Danach in verdienter Weise mit reichlich Pastis in beiden Köpfen nach vielen Neckereien in die Heia.
    Der Zug steht derweilen elegant … und sauber eingeparkt auf unserem Stammparkplatz; der Bug des schneeweißen Bootes überragt majestätisch den zwei Meter hohen Bus und weist gen Norden. Die Sonne verschwindet allmählich hinter dem Bergmassiv; die Nacht bricht herein, aber davon bekommen die zwei Abenteurer nichts mehr mit. Kein Lüftchen weht und alles ist ungewöhnlich still…
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #2
    Freitag, 01.06.2007, Kindertag – mein Tag!

    Ein Woche ist fast rum. Wir stehen um 8.00 Uhr auf, „nochmals“ duschen und dann in die Stadt zum Bummeln und Einkaufen. Wir haben nur noch drei Stück 1,5 Liter Wasserflaschen. Das ist für Taucher deutlich zu wenig – an einem Tag.
    Der Wind frischt recht schnell und recht ordentlich auf; ich schlage einen Tag Urlaub vor. Schließlich ist es mein Tag und ich darf mir etwas wünschen. Lieber würde ich einen von den Plastikdampfern im „Strandshop“ haben wollen, aber es gibt nur einen Wunsch frei.
    Wir beschließen den Trailer samt Boot abzukuppeln und im aufgeräumten Bus nach Giens (Hyeres) zu fahren. Die „Michel C“ könnte man sich noch antun oder 2-3 andere Dampfer. Der Weg auf dem Wasser ist weit und der Kraftstoffverbrauch des Bootes hoch. Also Trailern und dazu brauchen wir eine recht nah gelegene Slipanlage. Alles wird mit allem verbunden und eine solche ausgemacht. Ein windiger aber sehr sonniger Tag.
    Als wir zurück sind ist der Wind immer noch so heftig, dass ich nur einen Tauchgang an der „Meumbru“ direkt vor Cavalaire – maximal noch an der „Togo“ für möglich halte. Doch letztendlich belassen wir es bei dem tauchfreien Tag. Logbuch schreiben.
    Der Wetterbericht an der Capitainerie sagt für morgen kaum Wind voraus…

    06.00 Uhr stehen wir heute am Samstag auf. Wir sind zum Fotoschuhtink hier und der frühe Taucher kriegt grundsätzlich an einem Massenspot die besseren Bilder. Der Tauchdampfer will ins Wasser und rüttelt bereits ordentlich am Bus.
    Ausfahrt zum Vorschiff (Hauptteil) der „Togo“.
    Der Dampfer ist durch Muring mit Oberflächenschwimmkörper markiert. Als wir eintreffen, nehme ich sofort die außergewöhnlich starke Strömung wahr. Der Wind liegt heute mal nicht parallel mit der Strömung was den ärgerlichen Schluss zu lässt, das ein Ankermanöver hier und heute sicher nicht reichen wird. Das dritte Manöver sitzt als gemittelte Variante von den beiden misslungenen zuvor; wir liegen recht dicht am weißen Plastikkanister.
    Eine dreißig Meter lange Schwimmleine mit orangefarbener Boje wird achtern ausgelegt. Zudem an den Bootsseiten von vorn bis achtern Halteseile befestigt. Die Griffe am Schlauchkörper sind zu hoch, und so bleibt für meine Freundin in Wartestellung beim Einstieg wie auch beim Ausstieg nur die Hühnerleiter zum festhalten. Eine unbedachte Bewegung ihrerseits oder eine Welle reichen, dass sie sich verletzt oder die Kamera mit dem großen Domport gegen das V4A schlägt. Und so habe ich immer hinreichend zu rödeln bevor ich Tauchen darf.

    Es ist nicht ihr Tag; sie hat unten - an den Aufbauten der „Togo“ angekommen - Schmerzen im Ohr, der Tauchcomputer Cobra lässt oben am Anschluss der ersten Stufe Luft und sie fühlt sich allgemein unwohl. Das wird nun am Wrack ausgetauscht. Ich kreuze die Unterarme, es geht zurück nach oben.
    Elf Fotos wurden lieblos gemacht und so sehen sie auch aus, als wir sie im Hafen mittags auswerten.
    Mein rechter Unterarm schmerzt stark.

    Nachmittags ist meine Freundin insoweit wieder fitt. Wir beschließen an die in 34 Metern liegende „Prophete“ zu gehen. Dazu wird noch im Hafen die Ausrüstung vorgerödelt. Ich tauche D10 und die Freundin D6. Die Fotoausrüstung soll „oben“ bleiben; der Tauchgang wird zu einem Grabungstauchgang deklariert.
    Beeilung ist angesagt; es ist schon recht spät und wir haben 19.30 Uhr Termin mit dem Zicklein zwecks Flaschenfüllen am Kompressor.
    Diesmal sind alle vorhandenen Flaschen bestehend aus vier 12er, vier 10er und der D6 für 25 Euro gefüllt worden. Ich gebe dreißig und erfahre dabei ihren realen Namen der mich irgendwie an die Post erinnert. Dann ins Bett.

    Sonntag, 03.06.2007:
    Um 9.00 Uhr aufgestanden mit sehr starken Schmerzen im rechten Unterarm. Nur „Biboproleth600“ kann mich nach geraumer Zeit überzeugen, heute grundsätzlich zu tauchen. Ich brauche eine geschlagene Stunde um fitt zu werden.
    Diesmal klappt der Tauchgang an der „Togo“, die Sicht ist mit etwa 15 Metern nach der vergangenen Woche ein Traum. 62 Minuten Gesamttauchzeit bei 50 Metern Maximal-Tauchtiefe sorgen für hinreichend viele Fotos. In der Mittagspause werden zwei neue und sturmfeste Basecaps angeschafft.
    Der Wiederholungstauchgang soll am Nachmittag an der „Espingole“, einem größeren Torpedoboot aus der Zeit des ersten Weltkrieges stattfinden. Für mich stellen sich die Wracks vor Cavalaire sur mer und Umgebung als mittlerweile unspektakulär dar; ich kann sie singen und weiß welcher rostiger Nagel an welchem Schamottstein liegt. Egal, Fotografieren und entspanntes Tauchen ist angesagt.
    Das erste Ankermanöver ist perfekt; etwa vier Meter liegt unser Boot vom Schwimmkörper entfernt, die See ist relativ ruhig und die Sonne lacht – wie auch meine Freundin.
    Ein Französisches Vierfünfziger kommt angerauscht, 3 Taucher sind erhobenen Hauptes an Bord – mit gespannten Gesichtern und Blickrichtung zu uns.
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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    • diverhans
      Ridderkreuzträger &
      Ritter


      • 03.11.2005
      • 443
      • BW

      #3
      Arrng…arrng…arrng…arrng… macht die Schiffsschnarre; alle Mann auf Gefechtsstation!
      „Die Acht-komma-acht besetzen! Loss-loss-loss! Und EinsWehOh … bringen sie die richtigen Leute an die Vierlingsflak … nicht die Pfeifen vom letzten Mal!“ Meine Miene ist ernst; ich bin erster an diesem Platz! Wende mich wieder meiner Arbeit zu – behalte aber das Vierfünfziger im Blickwinkel. Ein kurzer Blick auf meine „Reedereiflagge“ – sie ist deutlich sichtbar. Mal sehen was passiert! Ich sage erstmal nichts. Ich bin vorbereitet.

      „Sprechen sie Französisch?“ Hallt es von der anderen Seite herüber.
      „Nein“ Erwidert mein EinsWehOh.
      „Sprechen sie Englisch?“ Lautet die zweite Frage.
      „Ja!“ Ist die Antwort von meinem EinsWehOh.
      „Guten Tag! Wie viele Taucher?“ Wird nun in verständlichem Englisch gefragt.
      „Zwei!“ Kommt vom EinsWehOh.
      Jetzt mische ich mich ein, bevor noch die Wetterlage erörtert wird und man sich gegenseitig hart gekochte Eier im Tausch gegen Äpfeln anbietet. „Gib mal das Sprachrohr rüber!“ Fordere ich meinen EinsWehOh auf, und mit der Tüte vor dem Schnabel halle ich zum Französischen Boot hinüber:
      „Sie sind ein ziviles Französisches rotes Gummiboot, und ich bin größer, schneller, stärker motorisiert, besser gepanzert, erster am Platz und deutlich besser bewaffnet. Wir werden hier jetzt runtergehen und Unterwasseraufnahmen mit dieser Kamera …“ dabei hebe ich den riesigen Klopper von Unterwasser-Foto-Gedöns hoch „ … machen und dazu brauchen wir gute Sicht und nicht etwa euch!“
      Wider erwartend hebt der zivile Kapitän der Französischen Schaluppe seinen rechten Arm hoch und formt Daumen und Zeigefinger zu einem deutlichen „O“ und das Boot dreht ab.
      „Geht doch.“ Sage ich lakonisch mit gesenkter Stimme und bin dabei schon wieder beim Fummeln an den Tauchgeräten.
      „Danke … Vielen Dank!“ Wirft mein EinsWehOh winkend dem ablaufenden Boot noch verbal hinterher und erntet im Gegenzug ein freundliches: „Ist schon in Ordnung, kein Problem!“
      „Waaas-n-hia-loss? Woll-verückt-jeword`n-oda-wasss! … Meld`n sä sich heute ab`nd in der Kommandan`dn-Stubä … man!“ Schnarche ich den EinsWehOh an.
      „Jawoll Hää Kaleu, bidde um Verzeihung Hää Kaleu, kommt nich mä vor Hää Kaleu!“ Erwidert erschrocken der EinsWehOh.
      „Tret`n se weck man!“ Dabei läuft mir Geifer aus dem Mund.
      „Jawoll Hää Kaleu!“

      Aufgeweckt von dem freundlichen Anruf der Französischen Taucher - die den Motor jetzt in Leerlauf haben und Abstand halten - platzt meine Gedankenblase. „Guten Tag! Wie viele Taucher?
      „Guten Tag! Nur zwei!“ Erwidert meine Freundin.
      „Dann sind also keine Leute unten und wir können Anker werfen?“ Fragt nun ein anderer der Franzosen.
      „Wir möchten gerne Fotoaufnahmen vom Wrack machen. Was machen wir jetzt?“ Mische ich mich mit freundlicher Stimmlage ein und halte dabei das riesige Unterwassergehäuse mit Blitzarm und Blitz dran hoch. „Wir bleiben aber nicht lange unten!“ Ergänze ich.
      „Okay, dann hauen wir mal wieder ab. Kein Problem. Schöne Fotos und viel Spaß beim Tauchen!“ Wird von drüben gesprochen und mit dem Okay-Zeichen bestätigt.
      „Danke, das ist sehr nett von euch!“ Beschließe ich diese Begegnung. Es wäre sicher auch okay gewesen, wenn die Drei mit runter gekommen wären, oder gewartet hätten. Ich fordere sie dazu nicht auf, denn so ist es ebenfalls okay und es ist schließlich ihre Entscheidung.

      Wir beschränken diesen reinen Foto-Tauchgang auf lediglich 12 Minuten Grundzeit wegen der erheblichen Deco-Belastung. Ihr Trocki ist nun „restlos“ undicht – sie ist permanent nass und friert und mit dem Harndrang ist es nicht sonderlich gut bestellt. Zudem taucht sie die Restluft von der „Togo“ heute früh. Ich jedoch habe zur Sicherheit auf eine volle D10 umgebaut – wir wollen auf Tuchfühlung bleiben.

      Zicklein ist nicht an der Füllstation und Alman`s Telefonnummer nicht zu finden. Meine Freundin ist im Wechsel mit Füllstation und der Pier auf den Cityroller unterwegs um jemanden zum Flaschenfüllen zu finden. Gott sei Dank hat die Tekkbude jetzt auf und der freundliche Arnoldo macht die Flaschen voll – auf 225 bar kalt. Man kennt sich vom sehen – hier in Cavalaire und vom Grüssen auf dem Wasser – aber miteinander zu tun hatten wir direkt noch nicht. Schnell freunden wir uns an.

      Die ganze kommende Woche soll im Großraum Marseille Windstille bis allerhöchstens Stärke zwei sein – so der aktuelle Seewetterbericht.
      Das bringt mich wieder auf abenteuerliche Ideen …



      *** Fortsetzung folgt ***



      Rechtlicher Hinweis:

      Dieser Roman - auch in Teilen - ist urheberrechtlich geschützt! Die
      Tauchgänge haben in der Realität so nie stattgefunden. Keine Haftung aus
      Nachahmung! Es wurden keine Gegenstände aus dem Meer/Wracks geborgen. Die Personen, die Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

      Tauchen ist grundsätzlich lebensgefährlich!


      (c) Rene Heese 2007
      ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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