Irrfahrt, Teil 11 (lezter Teil), Roman

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  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #1

    Irrfahrt, Teil 11 (lezter Teil), Roman

    Irrfahrt


    Teil 11 (letzter Teil):

    Das Wetter scheint heute am letzten Tag unserer Reise – dem Samstag - ideal zu sein. Es ist früher Morgen und Cavalaire schläft noch. Der ein oder andere Angler bereitet sich auf seine morgendliche Ausfahrt vor und auf dem einen oder anderen Segler klappert die ungeschminkte Madam mit dem Frühstücksgeschirr. Sogar das Hafenklo hat noch geschlossen; es ist noch vor 7.30 Uhr … aber sonst ist Ruhe in dem Örtchen. Kein Windhauch ist zu spüren, keine Welle bäumt sich auf oder bricht gar. Die Sonne ist als einzige so richtig wach und lacht uns freundlich zu.
    „Na dann woll`n wa mal keine Zeit verlieren. Zähneputzen nach dem Tauchen.“ Eine Antwort bekomme ich nicht, doch bereitet meine Freundin ihren zugewiesenen Teil vor. Ich derweilen rödele für mich die D12er mit 225 bar kalt und für meine Freundin die D10er zusammen. Die Markierungsboje an 80 Meter Leine liegt nun fein säuberlich aufgeschossen auf der Backskiste.
    Ich habe noch sicherheitshalber einmal im Logbuch nachgeschlagen und meine Erinnerung bestätigt sich; ich habe momentan 135 Meter Gesamtlänge Ankergeschirr im Kasten. Diesmal werde ich alles, absolut alles rauslassen müssen. Die 70 Meter Reserveleine brauche ich bei dieser Witterung nicht anstecken.
    Es wird der tiefste gemeinsame Mittelmeertauchgang für zwei Abenteurer, die zudem ihr Boot unbewacht an der Wasseroberfläche stehen haben. Es ist schon ein Unterschied, ob man im Roten Meer auf gut 65 Meter Fischegucken geht, oder unter diesen Umständen einen Wracktauchgang mit Penetrationsmöglichkeit im Mittelmeer wagt und konkret ich eine große Verantwortung trage. In den Tauchflaschen ist schnöde Pressluft, die Reinsauerstofflasche ist leer und kann nicht mitgenommen werden. Alles muss klappen.
    „Abbruch/Auftauchen beim geringsten Anlass ohne Nennen von Gründen.“ Mache ich meine Freundin eher nervös, aber es muss ausgesprochen werden. „Ich bin beim Abtauchen bei dir und schaue mich minutiös um. Gib Zeichen, wenn etwas nicht in Ordnung ist und wir kehren sofort um!“ Ergänze ich. „Hast du das Fisheye aufgesteckt?“ Frage ich.
    „Ja. Kamera ist klar.“ Bekomme ich als Antwort von ihr, mehr aber auch nicht.
    „Wenn du da unten halbwegs klar im Kopp bist und mir dieses bestätigst, folge meinen Anweisungen zwecks Motiv-Wahl. Ich bleibe jedoch in deiner Nähe – verschwinde hin und wieder hinter deinen Rücken, damit mich das Fisheye nicht erwischt. Wie gesagt; zwei bis drei gute Fotos reichen – lass dir Zeit … und Großaufnahmen vom Heck. Bitte kein Viezeuch oder Moostierchen oder so`n Scheiß; den Dampfer … bitte … in seiner ganzen Pracht und Mystik!“ Lenke ich etwas tollpatschig von der allgemeinen innerlichen Aufregung ab und fahre fort: „Heute ist der Tag vor dem Herren! Alles passt; wenn wir heute nicht gemeinsam runter gehen, kriegen wir das Heck nie in Sepia, Schwarz/Weiß und/oder in Farbe!“ Ich bekomme keine Antwort, ich weiß im Ansatz, wie es in meiner Freundin aussieht. Ich weiß aber auch, wie sie sich „anschließend pestet“, wenn ich alleine gehen und voller Euphorie die Hühnerleiter erklimme und von meinen Erlebnissen in der Tiefe berichte … ich weiß es, denn es ist oft genug vorgekommen.

    Der Zündschlüssel wird herum gedreht, die Maschine springt sauber an und surrt nun leise vor sich hin.
    „Vorleinen klar?“
    „Vorleinen klar!“ Bekomme ich von ihr als Antwort.
    „Dann spring auf die Back … ab geht`s! Geh in die Knie, damit du beim Umsteuern nicht in den Kahn purzelst!“ Weise ich zum aber wiederholten Mal an, denn das wird einfach zu oft vergessen und dazwischen sollte jetzt nichts mehr kommen. Denn jedes kleinste Missgeschick könnte als schlechtes Vorzeichen gedeutet werden – von wem auch immer. Es muss einfach klappen – heute!
    Doch habe ich diesmal beim Ausklipsen der Muring achtern meine Hand flach über das Meer gleiten lassen, eine handvoll davon entnommen, das Wässerchen zum Mund geführt und ihm einen lieben Kuss gegeben. Keine Windstöße oder andere Warnungen habe ich vernommen. Es scheint der Tag zu sein, an dem ich es zusammen mit meiner Freundin wagen kann. Den Segen meines geliebten Meeres scheine ich wohl zu haben. Doch sollte ich mein Hirn mit in die Tiefe nehmen – ich gehe nicht alleine!
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #2
    Wir laufen halbe Fahrt. Das GPS-Gerät zählt rückwärts die Meter. Es herrscht Ruhe; keine Witze, auch das Hansekreuz ist mir heute egal.
    Die See ist spiegelglatt.
    Als ich nun den Gashebel zurück nehme meldet sich meine Freundin: „Und wenn du doch alleine gehst?“
    Wir tauchen schon recht lange zusammen und meine Freundin ausschließlich nur mit mir. Und ich weiß diesmal recht genau, was in ihrem lieben Köpfchen vorgeht.
    „Es ist der letzte Tauchtag, Kleines. Und ich weiß, dass dir hinreichend bekannt ist, dass dieser Spot seit vielen, vielen Jahren eine Herausforderung für mich und Wunschtraum zugleich gewesen ist. Und wir erinnern uns gut an die Begebenheit vor wenigen Jahren, als mich Marmor nicht auf das Boot der Tekkis gelassen hat und ich zum Vorschiff der „Togo“ musste und neidvoll mit angesehen habe, wie wenige hundert Meter weiter die Truppen zum Achterschiff abgetaucht sind und es mir das Herz zerrissen hat und ich mir ein eigenes Boot geschworen habe. Und ich weiß, dass dir hinreichend bekannt ist, dass ich erst ein einziges Mal hier unten war und ich mir diesen Tauchgang – zumindest einen einzigen – für diese Reise vorgenommen haben. Und somit kommen wir zum einen auf diesen letzten Tauchtag und zum anderen darauf, dass du konkret mir diesen Tauchgang nicht ruinieren willst! Sag mir, dass das so ist und wir gehen gemeinsam runter und können jederzeit abbrechen … ohne spätere Vorwürfe. Sag mir, dass deine Ohren schmerzen und wir bleiben oben, oder ich gehe alleine! Und jetzt du … bitte!“
    Sie lächelt nur und beginnt sich anzuziehen. Dieses als Antwort reicht mir.

    „Okay, dann hör zu: Wir haben absolute Flaute. Das ist in sofern ungünstig, dass ich eben keine Windrichtung bezüglich Ankermanöver habe. Kann sein, dass unser Dampfer nachher – wenn zwischenzeitlich Wind aufgekommen ist – mal eben recht weit weg von der Boje ist. Auch wenn es unnütz ist, ich lege dennoch dreißig Meter Schwimmleine mit Boje achtern aus. Ich werfe – wie immer – das Bleilot genau in das Wrack. Bedenke, dass ich vor jeder anderen Aktion das Bleilot frei räumen muss; allein darum, dass sich die dünne Leine nicht aufscheuert! Also sei nicht gleich sauer, wenn ich mich darum kümmere … du bleibst in meinem Blickwinkel!“ Kläre ich meine Freundin auf. Sie nickt.

    „Lass mich wieder ans Ruder. Heute muss alles perfekt sein.“ Und so löse ich meine Freundin ab und behalte den Fishfinder ununterbrochen im Auge. Ein Manöver folgt auf das andere. Nicht zu heftiges Umsteuern, sonst tillt wegen des Schraubenwassers der Fishfinder. Alles läuft sauber und ich habe die Idealposition. Ein kurzes Aufstoppen, dann Leerlauf und ich stürze nach Mittschiffs zur Backskiste; das Bleilot fliegt über Steuerbord und die Leine gleitet peinlichst geführt durch die hohle Hand. Meter für Meter spulen sie sich von den gelegten Schlingen auf der Backskiste ab. Endlos – schier endlos saust das Bleilot in die Tiefe und reißt dutzende Meter höherfeste Segelleine mit sich. Knapp 15 Meter bleiben nun prompt über; auch diese werden sorgfältig Meter für Meter ins Wasser gelassen – nun gefolgt von dem großen orangefarbenen Zylinder.
    „Jetzt noch den Anker raus. Du übernimmst!“ Weise ich meine Freundin an und sie steht sogleich hinter dem Fahrstand. Ich gebe eine sinnvolle Richtung vor – aus der der kommende Wind zu erwarten ist – und in diese ist zu steuern. Dann folgt das Kommando zum Aufstoppen. Der Stopper ist schnell gelöst - der Anker rauscht aus. Nachdem die dreißig Meter lange Bleileine zu Ende ist, gebe ich das Kommando: „Langsame Fahrt zurück! Achtern auf die Tonne … direkt d`rauf zu!“
    Auch hier führe ich die Ankerleine … und … lasse gut 130 Meter in der Summe auslaufen, bis das Ende der Leine am Auge im Kasten zerrt.
    Der Anker greift, doch ist heute kein Strömung und kein Wind und er wird demzufolge so oder so tragen.
    „Alles klar?“ Frage ich lächelnd in die Taucherrunde und bekomme nur von einem einzigen eine Antwort: „Alles klar!“
    „Na dann man los. So wie immer … nur heute eben büschen tiefer! Und schließlich warst du gerade erst im März in Ägypten auf 69, 7 Meter – dein Tiefster – weißt du noch?“ Erwähne ich ketzerisch und nebenbei.
    „Ja … eben drum!“ Antwortet sie nur lakonisch.
    Ab jetzt ist – auch wie immer – Funkstille bezüglich Unsachlichkeiten. Nur die gewohnten und barschen Fakten werden übermittelt; und – ich werde kein „Jetzt“ hören.
    „Okay – hinsetzen … Stück tiefer - los! Stillhalten! Ich mach das! … Arm hoch … So! Komm hoch – fertig“! Nun ergreife ich ihr Handgelenk und die Ventile.
    „Festhalten am Fahrstandbügel!“ Der Schrittgurt wird von mir in Position gebracht und nochmals das Offensein der beiden Ventile geprüft und die Regler sortiert.
    Ich ziehe ihr die Flossen an und reiche die Maske.
    „Alles frei hinter dir! Ab dafür!“ Augenblicklich kippt sie rücklings ab um mir nach der Rolle das Okay-Zeichen zu geben. Ich reiche den Klopper von Unterwasserkamera runter und sie hält sich nun an der längs ausgebrachten dicken Leine fest – wartet auf mich.
    Das Boot hat sich keinen Meter von der nahen Boje entfernt. Idealbedingungen.
    Mein Tauchgerät lehnt auf halb Acht auf der Backskiste. Ich verweile einen kurzen Augenblick mit in die Hüften gestützten Fäusten und blicke auf die ruhige See – ohne coole Brille und ohne „Wüstenfuchs-Mütze“.
    „Das ist jetzt kein Spaß – Junge! Du gehst nicht alleine. Das, was dir das wichtigste auf dieser Welt ist, kommt heute mit und hat sein Debüt! Sie wird abgelenkt durch die Kamera sein, aber genau eben das(!) musst du mit einkalkulieren!“ Sage ich zu mir selbst, ohne dass sich mein Meer belehrend einschalten muss. Und dann tanzt ein klitzekleiner Wirbel auf den Wellen lustig umher und ist sogleich wieder verschwunden…
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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    • diverhans
      Ridderkreuzträger &
      Ritter


      • 03.11.2005
      • 443
      • BW

      #3
      Ich tauche nach der Rolle neben der Boje auf – so dicht liegen wir.
      „Alles klar?“ Frage ich lächelnd, nachdem ich mich entschieden habe, nicht nur den Daumen zum Abtauchen nach unten zu halten. Sie nickt und möchte wohl heute nicht unbedingt den Regler noch einmal aus dem Schnabel nehmen.
      Ich gehe mit den Füßen voran die ersten Meter nach unten um den Blickkontakt nicht abreißen zu lassen; zumindest solange nicht, bis sie im eigentlichen Sinken ist. Nach etwa fünf Metern wende ich und beginne meinen Sinkflug in die Tiefe über Kopf – zügig, aber nicht dass der Regler stark zuppelt – die Grundzeit ist knapp bemessen.
      Auf dreißig Metern wende ich und schaue zurück. Meine Okay-Frage wird positiv beantwortet und sie taucht dicht hinter mir. Nun wird sich alle zehn Meter umgedreht. Alles ist in Ordnung. Die Sonnenstrahlen glitzern im tiefen Blau des weiten Meeres. Alles ist ruhig und still. Noch nicht einmal die Atemgeräusche vernehme ich. Es geht auf über 65 Meter Tiefe … zu einem wunderschönen, atemberaubenden Wrack; zu dem nur wenige hinab steigen – und wenn, dann mit größtem Aufwand an Tauchgerät und Flaschen. Wir haben unsere Hüften frei – frei zu unserer freien und uneingeschränkten Verfügung. Wir tauchen mit Pressluft und haben in vielen Jahren unseren Körper an die Tiefe adaptiert und lieben diese Freiheit der permanenten Verfügbarkeit von Luft und wir lieben die Toleranzen – welche uns die Pressluft ermöglicht. Wir berechnen die Deco auf der ersten Stufe und brauchen uns wenig an irgendwelche an der Oberfläche aufgestellten Pläne zu halten. Wir haben die Freiheit, operativ zu entscheiden. Wir gehen einfach Tauchen und genießen es – im Rahmen der streckbaren Grenzen von Pressluft. Und wir nehmen einen geringen bis nennenswerten Erinnerungsverlust in Kauf. Aber unsere Tauchgänge sind so ausgewählt und faszinierend, dass nur unwesentliche Dinge an der Oberfläche in Vergessenheit geraten. Wir sind sicher keine Helden der Tiefe, weil wir mit schnöder Luft runter gehen. Wir sind einfach nur Taucher – Wracktaucher. Wir kalkulieren mögliche Risiken ein und verhalten uns dementsprechend. Und – wir gehen einfach Tauchen. Und das ist für uns das wichtigste…

      Auf fünfzig Metern kommt die erwartete Sprungschicht. Ich weiß, sie ist nicht dick und darunter wird es wieder klarer. Doch wende ich diesmal vollständig um den Teufel der Oberflächlichkeit das Wasser schier abzugraben. Klar und deutlich kommt von meiner Freundin das Okay-Zeichen. Auch eine zweite gleichartige Frage wird positiv beantwortet und auch der von mir im Anschluss nach unten gerichtete Daumen wird wiederholt.
      Fünfzig Meter! Nur gestern und vor zwei Jahren war sie unwesentlich tiefer – auf genau dreiundfünfzig Meter - im Mittelmeer. Und nun geht es noch tiefer, noch dreizehn Meter tiefer und das ist hier in der Region schon ganz ordentlich und sie wird Fotos machen wollen und sich Mühe geben wollen. Und das darf ich nicht aus den Augen verlieren!

      Wir gehen weiter hinunter und passieren die Sprungschicht, welche alles nennenswert eintrübt und zunehmend verdunkelt. Meine Freundin folgt mir so dicht, dass ich sie förmlich in meinem Nacken fühlen kann. Ich lächele in meinen Regler…
      Ich habe sie mitgenommen auf die Reise … fern jeder Sporttauchtiefe … und zu einem mystischen Wrack, welches bizarr auf dem weiten Sandgrund des Mittelmeeres verbogen liegt. Und wir sind alleine; keiner stört oder gängelt.
      Die Abtauchleine beginnt eine Parabel zu schlagen; der Grund und das Wrack können nicht mehr weit sein. Plötzlich ist das Wasser beinahe glasklar. Auch scheint es wieder heller zu werden. Es dringen keine Sonnenstrahlen als solches mehr nach unten durch, doch ist das Wasser auch nicht grün! Wir sind im (Wrack) - Taucherhimmel angekommen … so muss es dort sein! Verdammt – ist das schön! Der riesige Schatten des abgesprengten Achterschiffes der einst stolzen „Togo“ ist deutlich auszumachen und unsere weiße Leine führt geradewegs hinein - in den Koloss aus einer längst vergangenen Zeit! Die Konturen werden klarer, die Details werden deutlich. Meine Freundin ist nun zwar etwas langsamer geworden, hält sich aber tapfer. Sie bestätigt mein Okay.
      Und immer dichter kommen wir an das Achterschiff heran und immer größer scheint es zu werden! Bis – ja bis wir wenige Zenzimeter über dem Meeresgrund schwebend vor ihm zur Ruhe kommen! Mit meiner Freundin ist Gott sei Dank alles okay, und sie scheint recht klar im Kopf zu sein. Ich schaue auf die Instrumentenuhren und checke die angezeigten Werte. Die verstrichene Grundzeit ist nicht außerhalb des Rahmens, eher noch eine Minute „zu früh“ als kalkuliert. Reglerwechsel. Dieses Kommando ergeht zur Sicherheit auch an meine Freundin. Ich gönne ihr noch eine Minute der Ruhe in Warteposition. Ich nutze die Zeit um nach geeigneten Stellen – außerhalb liegende Wrackteile – blicktechnisch zu suchen; wir haben etwa zwanzig Meter Sicht. Diese Teile soll meine Freundin zum Abstützen nutzen. Die Verschlusszeit ist sicher groß und ein Verwackeln mehr als möglich. Zudem sind es die besseren Fotos, wenn von unten nach oben fotografiert wird als andersherum. Und – wir sind eh nur noch wenige Zentimeter vom Meeresgrund entfernt und dort könnte man ohne weiteres auch bleiben…
      ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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      • diverhans
        Ridderkreuzträger &
        Ritter


        • 03.11.2005
        • 443
        • BW

        #4
        Mein Arm fordert meine Freundin auf mir zu folgen, was auch beherzigt wird. In über 65 Metern Tiefe bewegen wir uns mit Froschbeinschlag dicht über den feinen Sandboden zu einer auserkorenen Stelle mit einem aufragenden Wrackteil. Unmissverständlich weise ich meine Freundin an, hier „Platz zu nehmen“ und mit ihrer Arbeit zu beginnen. Ich habe umdisponiert: Da das Bleilot recht frei liegt - nehme lediglich die Kompasspeilung für die bestmöglichste Anfahrt-Position zum Bergen. Ein Durchscheuern der Leine ist unwahrscheinlich. Ich werde keine Minuten verschwenden oder meine Freundin mit meiner Abwesenheit nervös machen. Sie ist ruhig und konzentriert und so soll es auch bleiben.
        Die ersten Fotos von diesem Traumwrack entstehen. Kein Stein, keine Felsblöcke, keine Felsenwand oder Halde oder Seegras stören; alles ruht geheimnisvoll auf Sandboden der bei der kleinsten unachtsamen Bewegung zu feinsten Sediment mutiert. Das Umfeld ist von Trümmern übersät und weist deutlich die Richtung des Vorschiffes aus.
        Ich schwebe einige Meter seitlich neben ihr – außerhalb des Fisheye-Winkels. Ich bemerke, wie sie peinlichst im gleichmäßigen Takt zur Seite schaut und beruhigt weiter arbeitet, nachdem sie mich in ihrer Nähe – ungeteilt - weiß.
        Und so entsteht ein Foto nach dem anderen. Meine „Taktik“ bewährt sich, sodass meine Freundin „Vertrauen“ schöpft und weitere Perspektiven wagt – mich gar zum Posieren auffordert. Das nehme ich prompt an; weniger um selbstdarstellerisch erscheinen zu wollen, mehr – um dem ein oder anderen Foto etwas Leben einzuhauchen: Da wird mal penetriert, mal die 100er Kowa eingeschaltet und sich auch mal von der Freundin recht weit entfernt um scheinbar als Solotaucher an einem großen Wrack mitzuwirken. Doch zu keiner Zeit verliere ich meine Liebste aus den Augen! Ich bin permanent sprungbereit – wie ein Gepard kann ich notfalls in die Flossen treten und blitzartig beschleunigen. Denn schnellstmöglichstes Erreichen ist dann der Stunde Gebot! Jede ihrer Bewegungen behalte ich hinsichtlich Auffälligkeiten im Auge. Sie bekommt Gott sei Dank von meinen angespannten Nerven nichts mit. Und sie ist gelassen. Ihrerseits ein gekonnter und ruhig unternommener Reglerwechsel bestätigt mir in gewisser Weise ihre Klarheit trotz der Arbeit mit der Kamera und der beachtlichen Tiefe. Und die Kamera hat verdammt viele Knöpfe – das wäre für mich sicher zu viel des Guten. Ich bin beeindruckt…
        Fünfzehn Minuten Grundzeit sind eingeplant, zwanzig Minuten könnten verstreichen, danach wird der Tauchgang verdammt lang und letztendlich tendenziell problematisch. Reinsauerstoff ist auch nicht mit dabei; keiner von uns beiden hat heute und hier eine 2-Liter Butz davon unter dem rechten Flügel.
        Doch – ich muss gar nicht zur Umkehr mahnen. Sie ist recht nah bei mir und bekundet ihr Interesse nach Hause gehen zu wollen. Wir liegen so gut vor dem Limit, dass ich sie frage, ob sie sich an die Leine begeben möchte und ich derweilen für eine Minute einen kleinen Umweg durch das Wrack wagen kann. Das Wrack ist strukturell sehr gut erhalten, doch sind die Wände stark perforiert und die Sicht top. Ich kann und werde sie nicht aus den Augen verlieren und das stelle ich klar. Das Okay kommt und mein Teil des Tages, der Woche, des Jahres, der Jahre … kommt und ich kann durch dieses tiefe Wrack gleiten! Endlich! Verdammt – endlich! Endlich kann ich in meine kleine Welt hinein – in eine perfekte Welt! In eine Welt für nur noch kaum eine Minute lang! Aber es ist meine Welt und diese eine Minute ist es wert. Es ist wert dafür täglich zur Arbeit zu gehen und fleißig zu sein. Es ist Wert auf andere Annehmlichkeiten zu verzichten um Prioritäten zu setzen! Und meine Freundin ist in Bestform und bei mir … hier unten!
        Uns werden nicht viele Meter von einander trennen – weniger als ich zum Posieren entfernt war. Die Leine läuft nur in einem spitzen Winkel davon – nahezu parallel und hier noch beinahe waagerecht.
        Ich trete in die Flossen um schnell an das Wrack zu kommen – jede Sekunde zählt die ich länger in dem Achterschiff bleiben kann.
        Abbremsen! Abbremsen! Bloß nicht die Sicht herab setzen! Langsam gleite ich durch mein Element – nicht nur durch die Tiefe sondern zudem durch diese traumhafte Kulisse! Ich drehe mich wie ein Fisch um die eigene Achse … auf den Rücken und blicke nach oben, ich drehe mich auf die Seite und wieder auf den Bauch. Ich sehe meine Freundin. Ich sehe die vielen Teile auf dem Boden. Im Vorbeiflug ergreife ich eines davon, betrachte es und lasse es fallen. Heute ist kein Bergetauchgang; heute ist ein Genießertag und heute bin ich mit meiner geliebten Freundin hier. Ich sehe meine Freundin und schaue durch die hellen Perforationen hindurch und behalte generalstabsmäßig alles im Auge. Ich verzichte auf das ganze Wrack – ich war drin, ich bin zufrieden. An einer seitlichen Öffnung tauche ich aus und setze zum Sprint an. Reglerwechsel. Ab zu meiner Freundin. Sie ist nun einige Meter höher als ich und so kann ich die Leine schräge angehen. Der Blick geht nach unten; das Bleilot ist frei. Ich hole nun meine für den Anfang des Tauchganges angedachte Aufgabe nach: Leine greifen und zeitgleich das Wing anblasen. Sofort strafft sich die Leine und das Lot wird aus dem Wrack gehoben. Ich führe es einige Meter mit und lasse es dann behutsam nach unten gleiten – in der anderen Hand Knopfwechsel auf Luftauslass. Alles klappt hervorragend – mit einem Quäntchen Glück…
        ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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        • diverhans
          Ridderkreuzträger &
          Ritter


          • 03.11.2005
          • 443
          • BW

          #5
          Tiefenstopp. Dann langsam höher auf die erste Deco-Stufe und diese ist wieder einmal die 21 Meter Stufe. Dann weiter, Schritt für Schritt. Und dabei wird wiederholt das Okay-Zeichen abgefragt. Ich würde es hassen! Sicher – ich würde es hassen! Aber mich fragt Gott sei Dank keiner mehr! Gott sei Dank sind diese Zeiten insoweit rum, dass ich es mir aussuchen kann – gefragt zu werden. Und so soll`s auch bleiben … hoffentlich.

          Die ersten Fotos bekomme ich auf der 6 Meter Stufe zu Gesicht – auf dem großen Display der Kamera. Viel ist hier nicht wirklich zu sehen, aber immerhin – der erste Eindruck dieser vielen Fotos ist atemberaubend. Gott sei Dank haben wir das Laptop mit; ich kann es kaum erwarten in den Hafen zu kommen…

          An der Oberfläche angekommen, schaue ich mich zu erst nach unserem Dampfer um. Etwas Wind ist zwischenzeitlich aufgekommen, doch lag ich mit meiner Prognose recht gut und das Boot befindet sich noch ausreichend dicht an der Boje – nur wenige Schwimmzüge. Der perfekte Tag!

          „Und? Sag schon! Und? Wie war`s?“ Ist mein zweiter Text nach der obligatorischen und verbalen Okay-Frage beim Öffnen ihres Trockenreißverschlusses.
          „Ich bin sprachlos! Mein Gott … ist das geil!“
          „Was? Was ist geil? … Ordentlich einen in der Fratze zu haben oder wat?“ Verfalle ich in meinen üblichen leicht überheblichen Slang.
          „Das Wrack … der Tauchgang … die Atmosphäre da unten! Und irgendwie auch das Alleinsein ... da unten.“
          „Na dann ist ja gut! Ich dachte eher, ich kriege jetzt auf die Fresse und du gehst nie wieder mit mir runter.“ Erwidere ich, im Abwenden inbegriffen.
          „Das muss und kann ich sicher nicht jeden Tag haben ... aber heute war gut. Danke!“
          „Wenn das hier zur blinden Routine mutiert … dann höre ich auf mit dem Tauchen! Verlass dich d´rauf!“ Erwidere ich ernst und behalte den Teil mit den angespannten Nerven meinerseits für mich.

          Erst jetzt bemerke ich die uralte Motoryacht von Arnoldo dem Tekki. Und diesmal sind die es, die von der anderen Seite „neidvoll“ herüber blicken; diesmal sind es die anderen – die anderen Herzen die zerreißen! Meines ist voller Stolz und Zufriedenheit und voller Glück. Ich lache, ich lache ganz laut vor Freude und nicht etwa aus Überheblichkeit oder Arroganz oder Spott. Ich lache einfach vor lauter Glück und schließe meine offenkundige Freude mit einem lauten „Jääää…!“ und werfe meinen rechten Arm in Richtung Arnoldo. Ich war unten … und das zusammen mit meiner Freundin. Und wenn wir ganz großes Glück haben, dann sind auch zwei oder gar drei Fotos etwas geworden.
          Arnoldo sitzt wie immer oben - on top und genießt die Aussicht oder behält einfach den Überblick. Er winkt mit beiden Armen wild-freundlich zurück, steht auf und formt dann beide Arme zu jeweils einem riesigen „O“ an seinen Kopf. Ich hatte ihm schon vor Tagen gesagt, dass ich „morgen“ an das Achterschiff der „Togo“ will, doch das weiß außer uns beiden keiner…
          Leidenschaft, wo ist nur die Leidenschaft geblieben? Ich habe sie gefunden. Arnoldo wohl auch und er hat es nicht verlernt, mitzufühlen – sich mitzufreuen...

          Ein schöner, sehr schöner und recht erfolgreicher Tauchgang soll uns heute noch in einigen Stunden beschert werden. Er wird uns an die Reste „Pionner“ führen; auf sage und schreibe sechs bis acht Metern. Und es wird ein ebenso schöner Tauchgang werden, der über eine Stunde dauern wird und wir werden sogar schönes Finden. Gut, dass ich am Achterschiff auf Bergungen verzichtet habe. Das Meer hat mich nur unwesentlich später für eine selbstverständliche Vernunft belohnt. Aber – muss man denn immer beloht werden, wenn man sich lediglich und weitestgehend an Disziplin hält?


          *** Ende ***


          Rechtlicher Hinweis:

          Dieser Roman - auch in Teilen - ist urheberrechtlich geschützt! Die
          Tauchgänge haben in der Realität so nie stattgefunden. Keine Haftung aus
          Nachahmung! Es wurden keine Gegenstände aus dem Meer/Wracks geborgen. Die
          Personen, die Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

          Tauchen ist grundsätzlich lebensgefährlich!


          (c) Rene Heese 2007
          ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

          Kommentar

          • Dirk.R.
            Heerführer


            • 25.12.2004
            • 6906
            • Dorf

            #6
            !

            danke

            Kommentar

            • Mr.T
              Heerführer


              • 15.02.2007
              • 2653
              • Holzkirchen-Bayern
              • Teknetics Omega 8000 - Fisher F4 - Garrett Pro-Pointer

              #7
              Einfach schön zu lesen...hab´s genossen

              Grüße aus Bayern
              Mr.T
              Grüße aus Holzkirchen
              Mr.T



              Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.
              Albert Einstein

              Kommentar

              • Plato
                Heerführer


                • 24.01.2004
                • 5716
                • NRW, 40764 Langenfeld
                • Alles abgelegt: MD3006, MD3009, TRESORO-Cibola, XP G-MAXX, 2x Bergemagnet, Seek-Thermal Wärmebildkamera Compact XR Android

                #8
                Wie immer, vom Feinsten.

                Danke schön & Gruß,
                Stephan
                Sich nur halb so viel aufzuregen,
                bringt mehr als doppelt so viel Spass am Leben.
                Margareta Matysik

                Kommentar

                • B.-A. Ulrich
                  Anwärter


                  • 13.11.2005
                  • 16

                  #9
                  Cool, ich werde wohl auch noch Taucher. Echt spannend!

                  Danke und Gruß, Björn

                  Kommentar

                  • diverhans
                    Ridderkreuzträger &
                    Ritter


                    • 03.11.2005
                    • 443
                    • BW

                    #10
                    Dank

                    Ich danke allen für das Interesse und das Lesen, sowie Wünsche,
                    Kritiken und Lobe.

                    Lg., Rene
                    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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