"Schiff im Nebel", Teil 4

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  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #1

    "Schiff im Nebel", Teil 4

    „Schiff im Nebel“


    Teil 4


    Die Fanfare des ersten Portofino-Busses weckt mich. Dieses Geräusch ist so einzigartig, dass ich sofort weiß wo ich bin – sonst habe ich ja immer Probleme damit…
    Die See ist ruhig – nahezu spiegelglatt; die Sonne steht bereits über den Bergen und das auch schon ein Stück höher als mir lieb ist.
    Die Schiebetür fliegt auf und ich begebe ich zu der kleinen Bank direkt an die kleine Mauer, direkt am Meer. Die Beine sind übergeschlagen, mein Rücken ist bequem angelehnt und die gekniffenen Augen versuchen auf das weite Meer hinauszuschauen. Derweilen rödelt meine liebe Freundin den Bus auf und gesellt sich etwas später zu mir.
    „Nich` rum sitzen … hia! Wir müssen per Pedes zum Boot und das ist weit! Also los … komm!“

    Es herrscht bereits emsiges Treiben in St. Margharita. Wir schließen uns dem an und schrauben die Tauchausrüstung zusammen. Es gibt noch einen Kaffee, Brötchen und Eier – ich liebe Eier zum Frühstück – und Kakao.
    „Was machen wir heute?“ Lautet meine Frage bequem am Bootstisch frühstückend.
    „Geh doch an die „Genova“. Ich weiß doch wie gerne du das möchtest.“
    „Wat du neuerdings imma mit da „Genova“ hast? Der Pott liegt hia auf 61 Meter – gleich um die Ecke, jeder kennt ihn, jeder hat ihn vergewaltigt und ich war auch schon dort. Der liegt völlig im Mulm. Nur an wenigen Tagen ist dort gute Sicht. Ich gehe runter, stelle fest dass schlechte Sicht ist und ich nicht effizient sein kann, breche ab und die D12er ist angeschlagen und ein zweiter tiefer Tauchgang in der Grund- / Decozeit kaum zu bewerkstelligen. Und dann heute Nachmittag mit Stickstoff satt, noch über den Herrn Bernhard Dino klettern. Also, was möchtest du nun machen?“
    Es folgt Stille.
    „Gut.“ Sage ich „Dann gehen wir zusammen noch mal an die „Sestri KT“ oder an den U-Jäger auf knapp vierzig. Machen wir eben ein KT-Wochenend daraus.“

    Die Reedereiflagge steht wie ein Brett und die Gastlandflagge ebenso. Noch ist die große Alpha-Flagge nicht entfaltet. Mit dreimal Wahnsinnige folgen wir dem Richtungspfeil auf dem GPS-Gerät; Kurs „KT“.

    Irgend so ein „Fleck“ ist in unserer Richtung zu sehen; genau im Planquadrat laut GPS-Gerät.
    „Hey … EinsWehOh! Flottenkalender rausholen, Schattenriss abgleichen und identifizieren! Geben sie Signal: Alle Mann auf Gefechtsstation!“

    Arrrng-arrrng-arrrng-arrrng-…!

    „Hier Hää Kaleu! Ganz klar: Achtfünfziger Zodiak, altes Modell, liegt sehr tief im Wasser, hält gestoppt!“
    „Da wird vielleicht ein anderes Boot vor uns schon dran gewesen sein … EinsWehOh … und hat`s ihm nur halbherzig besorgt! Lassen sie Fangschuss vorbereiten! Und sicherheitshalber die Acht-Komma-Acht besetzen!“
    „Jawoll-Hää-Kaleu!“

    Beim Näherkommen bestätigt sich mein Verdacht: Es ist ein sehr tief im Wasser liegender Tauchdampfer, mit zehn Tekkis und einem Skipper an Bord. Das einzige was gerade noch so zu sehen ist – oberhalb der Wasserlinie, ist die Decksladung: die zehn schweren aufrecht stehenden riesigen Doppelgeräte und die wild umher springenden armen Menschen. Die vielen Stages in den Laderäumen müssen bereits überflutet sein. Der Dampfer hat nur noch wenig Freibord. Kommen jetzt Wind und Welle auf, säuft der Dampfer augenblicklich ab. Und keine Rettungsboote weit und breit.
    „Der hat genug EinsWehOh. Die sind erledigt. Fragen sie mal an EinsWehOh!“ Befehle ich mit leiser Stimme.

    „Nennn..en-siiie-iiihrennn-Schiffsssnaaamen-und-iiihre-Nationalität!“
    Elf Gesichter schauen nun bedeppert zu uns herüber.
    „Brauuu..chennn-Siiie-Hilllfe?“ Ruft mein EinsWehOh mildernd mit der Flüstertüte rüber.
    Aber erst als ich die große Alpha-Flagge entfalte, bricht drüben wildes Geschrei aus.
    „Man … dat sind ja Italiener …!“ Bestätigt mir mein EinsWehOh. Ich hatte es bereits vermutet…

    Meine Traumblase platzt, als meine Freundin mich anspricht: „Ich glaube da sind schon andere an der „KT“ dran.“
    „Ja, sieht wohl so aus. Genau eins fehlt an `nem Rudel!“ Ich klopfe mir grinsend auf die Schenkel: „Schade, ich hätte gerne mal `n Rudel Tekkis gesehen. Wieder nix! Oder sind `n Rudel nur sechs? Ist auch wurscht!“
    Ich fahre näher heran, bis auf Rufweite. Dann strecke ich meinen linken Arm aus und male mit dem Zeigefinger rechter Hand eine große virtuelle Uhr auf und kreise im Uhrzeigersinn.
    „Sprechen sie Englisch?“ Hallt es nun von drüber mit Frauenstimme herüber.
    Ich bekomme auf Anfrage mitgeteilt, dass die Truppe in etwa einer Stunde wohl wieder oben sein wird. Ich lege die rechte und flach gehaltene Hand an die Schläfe und verabschiede mich somit. In gehöriger Entfernung stoppe ich und stelle den Motor ab.
    „Und nu`?“ Frage ich „Wir verlieren eine wertvolle Stunde, und zudem klebt sich die Truppe garantiert gegenseitig die Maske zu und poltert zum Training in geschlossener Formation blind durch den Aufbau und mulmt dabei dermaßen rum, dass für Tage die Sicht restlos im Arsch ist. Und zudem legen sie bestimmt noch Unmengen an Riiiehls und Schpuuhls aus, in denen wir uns anschließend hoffnungslos verfangen werden. Ich denke, wir sollten Umdisponieren!“ Schlage ich vor und danach: „Wollen wir zusammen an den U-Jäger gehen?“
    „Ach lass ma`! Mach`du dann mal dein Ding. Ist schon okay.“
    „Nun gut.“ Antworte ich „Dann gib mir mal den Zettel mit den nunmehr acht unbekannte Wracks.“
    Die Seekarte wird ausgebreitet und die acht Positionen bezüglich der Tiefe abgeglichen.
    „Hier … das ist das einzig flache Wrack. Liegt in der Nähe vom Cap bei Portofino in freier See. Nur knapp 65 Meter. Aber … da habe ich irgendwie keinen Bock drauf. Ich denke, da waren schon welche dran; gute Sicht und recht flach. Ich nehmen den hier!“ Entscheide ich mich nach einiger Überlegung.
    „Hier der Zettel. Gib mir mal die Position „3“ durch. Ich programmiere das GPS-Gerät.“
    „Vierundvierzig Grad Nord …“
    Schnell tippe ich die genannte Position in das Gerät, speichere sie ab und gehe anschließend auf „Go to“. Wir müssen weit fahren – vielleicht xxx Kilometer schräge auf die freie See hinaus.
    „Wie tief liegt die Position denn?“ Fragt mich meine Freundin – momentan noch grinsender Weise.
    „Oooch … geht so … ist noch machbar.“
    „Das ist keine Antwort auf meine Frage!“ Erwidert sie nun etwas energisch.
    „Ich will nur mal gucken … ist eh zu ungenau … weiß ich nicht genau!“ Dabei kratze ich mir den Kopf.

    „Wie-tief?“ Fragt sie noch mal nach geraumer Zeit.
    „82 Meter … man!“
    Danach ist Ruhe, sie dreht sich lediglich um…
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #2
    Die Position ist erreicht. Ich plane östlich zu beginnen. So kann ich den 75 bis 85 Meterbereich eben erst einmal östlich abdecken. Der virtuelle Zeiger auf dem GPS-Gerät wird mir die Richtung der gespeicherten Position anzeigen und somit brauche ich keine Start-Tonne legen als Bezugspunkt. Jeweils 300 Meter plane ich zu fahren; in der Summe also 600 Meter als Seitenlänge und das in Schleifen auf und ab, zu etwa 10 Meter Versatzabständen. Das wiederum ergibt in die östliche Richtung betrachtet, mathematisch einunddreißig Fahrten. Reisegeschwindigkeit gleich sinnvolle 10 km/h.

    Die Sonne scheint und bedient meine Freundin, welche es sich auf dem Bauch liegend im Vorschiff gut gehen lässt. Ich derweilen schaue gespannt auf den Fischfinder, währenddessen der Viertakter angenehm schnurrt.
    Backbordkehre, Steuerbordkehre, Bachbordkehre, Steuerbordkehre, … die Zeit rinnt, Dekaden von Minuten vergehen; aber es bereitet mir Freude. Die See ist ruhig und genauso ruhig ziehe ich meine Bahnen – ganz für mich alleine … und … bin glücklich und zufrieden. Das Leben ist schön – man muss nur hingehen…
    Von meiner Suchmusterfahrt sicher angelockt (?) nähert sich ein kleines Anglerboot. In gehörigem Abstand wirft der einsame Mann seine Angel aus und lässt treiben. Ich habe unterdessen die 300 Meter Ostfahrt absolviert und keine Echo erhalten. Der Meeresboden ist platt wie eine Flunder.
    Nun beginne ich an der südöstlichsten Ecke den neunzig Grad Kurs dazu zu fahren und werde mich von der äußersten Ecke zur diagonal liegenden anderen äußersten Ecke bewegen, in eben solchen Schleifen. Damit habe ich am Ende dieser Fahrt die östliche Hälfte als Gitternetz vollständig abgegrast. Ist der Dampfer länger als 10 Meter oder sind Teile des Dampfers länger als 10 Meter, kann er mir bei sauberer Fahrt nicht entwischen. Und auf Wracks, welche kürzer 10 Meter sind habe ich eh nicht wirklich bock.
    Die erste Bahn läuft 270° - nichts.
    In meinem Kopf spult sich gerade „Rihanna – SOS“ als Ohrwurm ab. Ich schnippe dazu mit Daumen und Mittelfinger der rechten Hand, die linke führt das Steuerrad. Meine Hüften fangen an zu schwingen – bis ich sogar nahezu tanze. So etwas ist eben mein Rhythmus. Der Oberkörper ist bizarr nach vorn verkrümmt und meine Fratze entstellt. Ich sollte mir mal so`n IPot gönnen…
    Dann wieder eine harte Ruderlage mit einer Hand und coolem Gesichtsausdruck und 180° kehrt. Die Freundin liegt immer noch auf ihrem hübschen Bauch. Nun die zweite in 90° - nichts, dann die dritte, vierte – nichts! Und irgendwann einmal springt der Fishinder auf 65 Meter und sofort zurück auf 82. Zu sehen ist nichts, außer „Strippen“ und das sind auf jeden Fall Fische!
    „Verdammt! Hier sind Fische – viele Fische! Warum sollten hier Fischschwärme sein?“ Frage ich laut in den Raum. Doch meine Freundin rührt sich nicht.
    „Hier stimmt `was nicht. Hier wird ganz bestimmt bald was kommen; was, das weiß ich nicht – aber es wird kommen!“ Rede ich nunmehr laut mit mir selbst, da ich ja keine Antwort erhalte. Die Aufregung wächst. Ich habe das Gefühl, Kurs Nord steuern zu müssen. Doch bin ich diszipliniert und weiche von meiner Route nicht ab. Nur so könnte mir unter Umständen ein Erfolgt beschert werden.
    Es fällt sehr, sehr schwer wieder aus dem Fischschwarm herauszufahren. Gern hätte ich gewendet und wäre Schnecken gelaufen. Nein! Durchhalten! Die penibel getätigten Recherchen dürfen nicht umsonst gewesen sein, die viele Kohle darf nicht sinnlos ausgegeben sein, die verdammt viele Zeit darf nicht umsonst gewesen sein und die schlaflosen Nächte – die ich wach und übermüdet im Bett gelegen habe und an tiefe unberührte Wracks gedacht habe und mich immer mehr hineinsteigerte, sodass teilweise das Klingeln des Weckers gelöscht wurde – ohne geschlafen zu haben? Bis zum Ende – nach System!
    Endlich kann ich wieder wenden und da ist auch wieder der Fischschwarm. Ich muss diszipliniert bleiben! Diesmal wende ich über Backbord. Die Servolenkung ist super – ich fahre alles mit einer Hand. Und wieder der Fischschwarm. Ich zünde mir eine Zigarette an. Das muss jetzt so sein. Das Feuerzeug blitzt auf, keine Flamme. Ich lasse kurz die Lenkung los, forme die linke Hand zu einer Muschel um das Feuerzeuggas zu entzünden. Die Zigarette knistert – schein also geklappt zu haben...
    Mein Blick richtet sich wieder auf den Fishfinder. Das Echo springt von 80 auf 70 Meter. Mir stockt der Atem, denn die Weiß-Linie springt ebenfalls von 80 auf 70 Meter. Die nächste Sekunde wird mir zu Minuten. Wie in Zeitlupe lasse ich das Feuerzeug fallen – einfach fallen. Der eben angezündete Kippen hängt auf halb acht, meine Augen werden riesengroß. Die Kraft meiner Lippen lässt nach, sodass der Kippen lasch nach unten zeigt … und … ich ihn mir letztendlich aus dem Schnabel reiße und schleunigst über Bord werfe.
    „Ich-haaab-ihn.“ Brülle ich lauthals „Scheiße-verdammt! Komm schnell her – loß-man-schnell-steh-endlich-auf-man! LosLosLosLos-schnell! Ich halte das nicht aus! Scheiße-verdammt. Ich dreh`durch!“
    Meine rechte Hand fährt sich übers Gesicht, als wenn ich das Trugbild fortwischen könnte. Doch beim erneuten Hinschauen sehe ich auf Anhieb zehn Meter „Freibord“!
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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    • diverhans
      Ridderkreuzträger &
      Ritter


      • 03.11.2005
      • 443
      • BW

      #3
      „Hier! Übernimm du das Steuer! Und schau – dort ist das Kielwasser. Und so wenden, dass du genau wieder in dieses/unseres Kielwasser kommst. Bau ja keinen Scheiß!“ Weise ich meine Freundin – die nun ebenfalls am Fahrstand steht – an.
      „Hier ist das GPS-Gerät. Ist alles vorbereitet. Und wenn das Echo wieder auf dem Fishfinder abgebildet ist, drückst du sofort auf diese Taste hier.“ Und dabei Zeige ich auf die Mark-Taste.
      „Ist nicht schlimm, wenn du nördlich abdriftest – vielleicht sogar besser; aber auf gar keinen Fall südlich vom Kielwasser halten – nur nördlich – hörst du? Und … nur einmal d`rauf drücken und dann weglegen und ja nicht mehr anfassen – dat Teil!“ Ergänze ich mit Schaum vorm Mund.
      „Fahre dann hier Schnecken – selbständig! Und alles merken – hörst du? Und sprich mit mir! Ich mache derweilen die Markierungsboje klar – das dauert!“ Lasse ich meine Freundin mit diesem letzten Satz am Steuerstand stehen und eile an die Backskiste.

      „Scheiße! Schöner Scheiß! Jetzt habe ich tatsächlich einen von denen gefunden und muss jetzt mit Luft runter! Fünfundsiebzig mindestens – mit Luft – am Wrack – im Mittelmeer – und dann noch in diesen Mulm! Schöne Scheiße – verdammt!“ Rede ich lauthals vor mir her...



      *** Fortsetzung folgt ***


      © Rene Heese 2007


      Rechtlicher Hinweis:
      Dieser Roman ist frei erfunden. Die Gegebenheiten, die Tauchgänge haben so nie statt gefunden. Tauchen ist lebensgefährlich. Ich rate von Tauchgängen und Nachahmungen dringend ab. Keine Haftung aus Nachahmung!
      ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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