Deutsche Geschichte in Russland

Einklappen
X
 
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge
  • Schreck
    Ritter


    • 28.06.2005
    • 469
    • Hessen

    #1

    Deutsche Geschichte in Russland

    Hallo zusammen,
    da ich mich schon sehr lange mit Familienforschung beschäftige und aus diesem Grund auch kürzlich eine Reise nach Moldawien unternommen habe, möchte ich Euch ein wenig teilhaben lassen an deutscher Geschichte und den Eindrücken, die ich während meiner Reise gesammelt habe.
    Die Reise an sich, die Fotos und auch die Thematik könnten in viele Bereiche dieses Forums passen, aber als Überschrift trifft es "Historisches und Geschichte" immer noch am Besten .

    Ende des 18. Jahrhunderts wurde in Deutschland ein Erlass und Aufruf der Zarin Katharina bekannt.
    Sie warb um deutsche Auswanderer, die sich in Russland eine neue Existenz aufbauen sollten. Viele Regionen im zaristischen Russland lagen Brach und konnten nicht effizient bewirtschaftet werden, weil es an Bevölkerung und Kenntnissen mangelte. Katharina versprach ein zinsloses Darlehen, Land und für die ersten Monate eine finanzielle Unterstützung. Zudem waren die Nachkommen für Jahrzehnte vom Wehrdienst und von jeglicher Besteuerung befreit.
    Damit traf sie die deutsche Bevölkerung, gerade im süddeutschen Raum ins Herz.
    In Teilen Süddeutschlands grassierte in diesen Jahren eine Hungersnot nach der anderen, viele Missernten und schlechte Sommer waren einerseits, die französische Besatzung und damit die Einquartierung von tausenden von Soldaten andererseits ursächlich. Zudem wurden viele wehrfähige deutsche Männer in den besetzten Gebieten in die französische Armee einberufen und starben für eine fremde Sache.
    Somit goss Katharina sozusagen Öl aufs Feuer und setzte eine Auswanderungswelle nach Osteuropa in Gang, die mal mehr mal weniger stark, 50 Jahre lang anhalten sollte.
    Es bestanden viele verschiedene Reiserouten, hauptsächlich über Polen oder Ungarn bzw. Galizien. Einige Familien siedelten schon an der Reiseroute an, der
    Großteil allerdings zog weiter nach Osten, zum Teil sogar bis hinter den Ural. Die Reise war gefährlich und anstrengend, nicht wenige Familien starben schon auf der Reise komplett aus.
    Im Folgenden gehe ich nun auf ein Dorf speziell ein, das aber für hunderte anderer Ansiedlungen in Russland beispielhaft ist: GLÜCKSTAL

    In Russland endlich angekommen, erfolgte sobald wie möglich eine Zuteilung von Wohnraum und Land. Doch schon während der ersten Jahre zeichnete sich eine unerwartete Situation ab, die zuständigen Behörden gingen von einer allmählichen Vermischung der deutschen Einwanderer mit der ansässigen Bevölkerung und damit auch der Kultur und Bräuche aus. Daran dachten die Deutschen aber keineswegs.
    Sie sprachen weiterhin deutsch, lehrten Deutsch und pflegten deutsches Brauchtum. Nur das Notwendigste wurde auf russisch gelernt, z. B. zum Handeln und für den Umgang mit der Authorität.
    Nach vielen Problemen mit der heimischen Bevölkerung und dem Drängen der Deutschen nach einem zentralen Anlaufpunkt, wurde schliesslich dazu übergegangen den deutschen Auswanderern zu gestatten ein eigenes Dorf zu gründen.
    Etwa 10 Kilometer östlich von Grigoriopol, dem ersten Zielort in Russland wurde ein kleines Tal mit Flüsschen für besonders geeignet erachtet, man fand auch sofort den passenden Namen.
    Glückstal.
  • Schreck
    Ritter


    • 28.06.2005
    • 469
    • Hessen

    #2
    Die Reise

    Hier das erste Kapitel des Reiseberichts.

    Mitte August stand für mich ein Erlebnis besonderer Art an, ein Besuch des Geburtsortes meines Großvaters. Er wurde 1917 in Glückstal/ damals Ukraine geboren, als Nachfahre deutscher Kolonisten, die Anfang des 19. Jahrhunderts aus vielen Gebieten Deutschlands auswanderten und im damaligen russischen Reich zahlreiche Kolonien gründeten.
    Wir flogen von Frankfurt nach Kischinew/ Moldawien. Moldawien liegt zwischen Rumänien im Westen und der Ukraine im Osten, oberhalb des schwarzen Meeres. Dort hatten wir uns im Vorfeld durch einige glückliche Zufälle ein kleines Privathotel gemietet, der Transfer vom Flughafen war auch schon im Vorfeld organisiert worden, durch eine Schülerin meiner Tante die vor Ort Bekannte hat.
    Der Flug, sowie die gesamte weitere Reise verlief in jeder Hinsicht überraschend problemlos, womit niemand von uns im Vorfeld rechnete.
    Nach einer kleinen Stadtrundfahrt, bei der uns die markantesten und wichtigsten Punkte kurz gezeigt wurden, ging es wieder zurück ins Hotel, duschen und die mentale Vorbereitung auf den nächsten Tag.
    Gegen Mitternacht, hörte ich im Halbschlaf ein leises Rumpeln, ähnlich eines weit entfernten Güterzuges. Innerhalb weniger Minuten steigerte sich das Rumpeln zu einem Getöse und Gekrache wie ich es bis jetzt nur einmal im Leben erlebt habe, dass war in Thailand bei einem tropischen Wirbelsturm dessen Ausläufer uns damals streiften. Trotz allem habe ich aber noch nie vorher so viele Blitze auf einmal niedergehen sehen, unvorstellbar was da für eine Energie am Werk gewesen sein muss. Zudem Regentropfen, so groß wie mein Daumennagel. Innerhalb kürzester Zeit stand die große Strasse an der unsere Unterkunft lag, knietief unter Wasser. Erst im Morgengrauen ließen die Unwetter nach.
    Am nächsten Tag hörten wir von unserem Fahrer, das in der Nähe von Kischinew ein Damm gebrochen war und die Unwetter die die ganze Nacht tobten in Rumänien 16 Landkreise komplett unter Wasser gesetzt hatten und tragischerweise über 20 Menschen das Leben gekostet haben. Bei unserer Rückkehr nach Deutschland stellten wir fest, dass über diese Unwetterserie sogar in den deutschen Medien ausführlich berichtet wurde.

    Früh um acht Uhr ging es mit einem gemieteten Taxi in Richtung Glinnaja (ehem. Glückstal) auf den Weg.
    Auf der Fahrt machte der Taxifahrer einen kleinen Umweg um uns den Fluss Djnestr aus einer besonderen Perspektive zu zeigen (zufällig lag auf diesem kleinen Umweg, eine russische Ferienanlage, in der er sich nach freien Plätzen für das nächste Wochenende für sich und seine Familie erkundigte….osteuropäische Verhältnisse eben :o)).
    Kurz nach diesem, trotz allem sehr interessanten, Zwischenstopp, wurde unser Fahrer plötzlich recht unruhig und bat mich meine Digicam wegzupacken. Gleich darauf wurde mir auch klar warum: Glückstal liegt in einem recht schmalen Streifen um den Djnestr, der von Russland, der Ukraine und Moldawien beansprucht wird, genannt TRANSNISTRIEN. Vom Völkerrecht allerdings nicht anerkannt, strebt diese Teilrepublik nach Unabhängigkeit.
    Die Bevölkerung, zum größten Teil „importierte“ Russen, die nach dem Krieg durch die UDSSR dort zwangsweise angesiedelt wurden, wollen zurück unter russische Verwaltung. Offiziell gehört dieser recht schmale Streifen zu Moldawien. Anfang der 90er Jahre wurde in diesem Gebiet heftig gekämpft, wobei jede Partei erhebliche Verluste verzeichnen musste. Uns war diese Situation im Vorfeld nicht bekannt, trotz eingehender Recherche über geographische Lage und der damit einhergehenden Rahmensituation, hatten wir keine Informationen, dass Glückstal in Transnistrien liegt.
    Nach der moldawischen Passkontrolle, bei der wir einfach durch gewunken wurden, passierten wir eine art Niemandsland von 5-6 Kilometer Länge. Während dieser kurzen Fahrt konnten wir uns eine kleine Vorstellung von der Heftigkeit der vergangenen Kämpfe machen. Rechts und links der Strasse sah man viele zerstörte Häuser und Gehöfte, einige Laufgräben, Deckungsgruben für Panzer und Fuchslöcher. Leider war in diesem Gebiet fotografieren absolut verboten. Wer sich ein wenig mit der russischen Exekutive auskennt, weiß dass man es dann auch auf jeden Fall besser sein lässt.
    Nichtsdestotrotz kamen wir nach kurzer zweimaliger Kontrolle (russisch, ukrainisch) unbehelligt auf offizielles transnistrisches Gebiet. Nach ca. 10-15 Kilometern erreichten wir den Ort Grigoriopol, die Hauptstadt dieses Kreises, hier mussten wir erst mal moldawische Lei in transnistrische Rubel umtauschen. Nach kurzem Aufenthalt zum Umtausch und einem Tee, ganz nach russischer Art (eine große, öde Halle ähnlich einer Betriebskantine aus den 50 er Jahren diente als Caféhaus-Ersatz, leider war auch hier fotografieren nicht erwünscht) und einer ganz kurzen Foto-Exkursion ging es weiter zum eigentlichen Ziel, die deutsche Kolonie Glückstal.
    Fortsetzung folgt…



    Hier eine kurze Erläuterung der Bilder:

    Bild 1) Der grösste Teil unseres Gepäcks bestand aus Geschenken. Viele Süßigkeiten und Nahrungsmittel die in Moldawien nur sehr schwer, sehr teuer oder überhaupt nicht zu bekommen sind.

    Bild 2) Kischinew, die meisten LKW stammen aus den 50er und 60er Jahren und werden mit Gas betrieben, auch wenn wenige dieser Fahrzeuge recht neu erscheinen, ist doch wenigstens das Modell aus dieser, wie soll ich sagen...Ära
    Bild 3) Eine typisch orthodoxe Kirche in Kischinew, sakrale Bauten sind in den meisten Fällen sehr ordentlich und gepflegt....was man vom Rest eher nicht behaupten kann...sorry aber so ist es nun mal.

    Bild 4) Ein typisches sozialistisches "Wohnsilo", wobei das noch eine super Eindruck macht, im Gegensatz zu sehr vielenm Anderen.

    Bild 5) Leider schlecht zu erkennen, aber das Wasser stand bis über das untere Drittel der Fahrertür
    Angehängte Dateien

    Kommentar

    • Schreck
      Ritter


      • 28.06.2005
      • 469
      • Hessen

      #3
      mehr Fotos

      Bild 1) "Skyline" von Kischinew, sozialistische Silos soweit das Auge reicht.

      Bild 2) Folgen der schweren Unwetter, überspülte und zugeschwemmte Strassen,auf der Rückfahrt konnten wir einen Schneepflug bei dem Versuch beobachten der Lage Herr zu werden.

      Bild 3) Rechts und links der Strasse überflutete Felder und Wiesen.

      Bild 4) Ausserhalb des Kischinewer Tales: Russische Weite wie sie auch viele deutsche Soldaten nach dem Krieg immer wieder beschrieben.

      Bild 5) Auf der Fahrt von Kischinew nach Glückstal überquert man den Dnjestr, die Lebensader des Gebietes. Ein sehr eindrucksvoller Fluss, mit stark erodierten Ufern, die für sehr viele Flüsse in Russland typisch sind, u. a. auch für die Wolga, Don, usw.
      Angehängte Dateien

      Kommentar

      • Schreck
        Ritter


        • 28.06.2005
        • 469
        • Hessen

        #4
        und die letzten fürs erste

        Bild 1) Typisches Arbeitermosaik, wie man es auch aus der ehemaligen DDR kennt, das Bild wurde in der Kreisstadt Grigoriopol gemacht. Dort findet man sowas an jeder freien Ecke.

        Bild 2) Eines der typischen Transportmittel auf dem Land, ein Bus Baujahr ca. 1950...

        Bild 3) Die russische Version einer Heldengedenkstätte. Mütterchen Russland trauert um ihre verlorenen Söhne, eine sehr häufig zu sehendes Symbol im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg

        Bild 4) Das zweithäufigste private Verkehrsmittel seht ihr hier....ich meine das Fahrzeug mit Verbrennungsmotor im Hintergrund. Das häufigste Verkehrsmittel auf dem Land ist das Pferdefuhrwerk gemeinsam mit dem Fahrrad.


        Eine Fortsetzung des geschichtlichen Hintergrundes, des Reiseberichtes und mehr Fotos kommen demnächst. Für die nächsten Tage könne ich mir eine Tipppause (tatsächlich mit drei "p" )....

        Viele Grüsse,
        Schreck
        Angehängte Dateien

        Kommentar

        • Wilhelm
          Heerführer

          • 08.09.2002
          • 1053

          #5
          .

          Schöner Bericht !

          gruß

          Wilhelm

          Kommentar

          • A4 Rakete
            Heerführer


            • 14.03.2005
            • 1432
            • NRW

            #6
            Hallo Schreck, danke für den interessanten Bericht.

            Wirklich sehr informativ.

            Und die Fotos sind ebenfalls klasse.

            Gruss A4 Rakete
            semper prorsum - numquam retrorsum

            Kommentar

            Lädt...