Zeitzeugenbericht aus dem Schwarzwald, 2. WK

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    • 15.11.2010
    • 18
    • SBK/Ba-Wü

    #1

    Zeitzeugenbericht aus dem Schwarzwald, 2. WK

    Hallo zusammen,

    bin zufällig drübergestolpert, falls es Euch auch interessiert:



    Hier noch der Inhalt für die Klickfaulen... :-)

    Interview mit Dietrich Zeller, geboren am 10.04.1930

    F: An was erinnerst du dich noch, betreffend Umzüge der Nazis in Schramberg?
    A: Ich habe in Schramberg damals zwar Umzüge erlebt, aber ich war ja vor dem Krieg erst 9 Jahre alt. All das fand nur vor dem Krieg statt. Auf den Umzügen bin ich, ich war ja noch ein kleines Kind, mitmarschiert und trug schon als 4jähriger eine Uniform. 1940 waren keine großen Parteiumzüge mehr, aber ich kann mich erinnern, dass davor viele Umzüge waren.

    F: Warum waren die Menschen so begeistert von den Umzügen und den restlichen Aktivitäten?
    A: Die Motivation war auf jeden Fall Begeisterung. Es gab beispielsweise Fackelzüge. Da wurde dann am Rathausplatz angetreten, auf Kommando die Fackeln entzündet und anschließend zum Kriegerdenkmal marschiert. Ja, und die Jugend war natürlich mitgerissen, das war was Besonderes.
    Als der Krieg ausbrach und alle eingezogen wurden, die meisten zumindest, war das natürlich vorbei.
    Das Schramberger Parteibüro der NSDAP befand sich übrigens im Hause Dellinger. Das ist heute das Backsteinhaus Vogelmann.

    F: Musstest auch du Arbeitsdienst leisten?
    A: Man wurde zu allem gezwungen, z. B. am Sonntagmorgen zum Dienst anzutreten.
    Der Dienst wurde natürlich so angelegt, dass ein Kirchenbesuch unmöglich war. Aufgrund dessen besuchte ich die Frühkirche, die um 8.00 Uhr anfing. Der reguläre Gottesdienst begann um 10.00 Uhr, der Dienst um 10.30 Uhr, sodass es nicht möglich war die beiden miteinander zu verbinden.


    F: Gab es in der Familie jemanden, der mit den Nationalsozialisten näheres zu tun hatte?
    A: Mein Onkel war auch in der Partei, Siegfried Kummer („Kummer Sigger“). Er war vor dem Krieg stellvertretender Bürgermeister und politischer Sonderkommissar Schrambergs. Im Amt löste er die ansässigen Vereine auf, beziehungsweise integrierte sie in den Nationalsozialismus soweit das möglich war.
    Beim Röhm-Putsch spielte der Onkel Sigger auch eine Rolle. Er war damals in der SA und man sagte, dass ein Maschinengewehr im Haus gewesen sei, woran man erkennen kann wie weit solche Ereignisse Wellen geschlagen haben, sogar bis nach Schramberg.

    F: Hatte die Tatsache, dass er Mitglied der NSDAP war irgendwelche Konsequenzen für ihn?
    A: Nach dem Krieg natürlich schon. Nicht nur, dass er in der SA war, er war ja politisch überaus aktiv gewesen. Das hatte selbstverständlich einige Konsequenzen zur Folge.
    Er musste sich beispielsweise nach dem Krieg ein Jahr von Schramberg fernhalten bis sich die Lage beruhigt hatte. So lange war er in Villingen als Röntgenassistent tätig. Die Franzosen haben ihn praktisch in Villingen vor den eigenen Leuten geschützt. Man hat zur damaligen Zeit gesagt, dass in Schramberg Kommunisten auf ihn lauern würden.

    F: Und danach ist er wieder nach Schramberg zurückgekehrt?
    A: Ja, danach ist er wieder nach Schramberg. Dort wurde er natürlich, wie alle die in der Partei waren, entnazifiziert.


    F: Kannst du mir etwas über den Aufbau der HJ berichten?
    A: Die Umzüge beispielsweise waren im Allgemeinen alle vom Jungvolk über die HJ organisiert.
    Es existierten verschiedene Disziplinen, aus welchen man nach der eigenen Interessenlage wählen konnte: Stamm-HJ, Motor-HJ, deren Mitglieder später in den NSKK (Nationalsozialistischer Kraftfahrkorps) übernommen wurden, Flieger-HJ, der ich angehörte und deren Angehörige anschließend in den NSFK (Nationalsozialistischer Fliegerkorps) übernommen wurden. All diese Formen waren natürlich bis ins Kleinste durchorganisiert.
    Es gab auch noch die Jungmädel und die Folgegruppe BDM (Bund Deutscher Mädel. Die jungen Männer kamen zum Arbeitsdienst, wo sie als kostenlose Arbeiter auf der Autobahn usw. eingesetzt wurden.

    F: Kannst du etwas über deine Zeit in der HJ berichten?
    A: In der Flieger-HJ wurde man auf einem Schulgleiter, ein kleines Segelflugzeug, geschult, aber als Minderjähriger musste man von zu Hause die „Verzichtserklärung“ unterschreiben lassen. Dies bedeutete, dass die Eltern im Falle eines Unfalls bei der Flugschulung auf Schadensersatz verzichteten, damit der Staat abgesichert war und nicht den Invaliden versorgen musste.
    Meine Mutter hat die Verzichtserklärung nicht unterschrieben, mein Vater war an der Front, und so konnte ich nicht fliegen. Meine Schulkameraden, die dabei waren, absolvierten am Wartenberg bei Donaueschingen ihre ersten Flüge und machten den Flugschein A.
    Da ich ja nicht mit zum Fliegen durfte, leistete ich normalen Dienst und betrieb Modellbau. Aber recht bald war schon alles zu Ende.
    Ferner existierten zur damaligen Zeit die SA (Schutzabteilung), sowie die SS (Schutzstaffel), welche mit der Waffen-SS, die „Schwarze SS“ genannt aufgrund ihrer schwarzen Uniformen, nichts zu tun hatte. Die ganz große Elite bestand aus den so genannten politischen Leitern, die das Ganze organisiert haben.

    F: Kamen bei der HJ auch eindeutig antisemitische öffentliche Aktionen vor? Kannst du dich an ein Beispiel erinnern?
    A: Die HJ von St. Georgen, zu dieser Zeit befand ich mich aber in Triberg, trat kurz bevor die Franzosen in St. Georgen einmarschierten, zusammen, marschierten auf den Kohlbühl und gaben die Parole „Juda verrecke!“ aus. In Triberg habe ich so etwas allerdings nicht erlebt.



    F: Hast du etwas vom Widerstand der KPD und SPD in der Region mitbekommen?
    A: An was ich mich gut erinnern kann, das war 1939, nachdem der Krieg bereits ausgebrochen war, kreiste hier die „Graf Zeppelin“ über Schramberg, Sulgen und St. Georgen, obwohl – von Hitler persönlich ausgesetzt – Flugverbot herrschte.
    Ich habe nachher erfahren, dass ein Peilsender, man sagte von den Kommunisten, existierte und das mit diesem Gegenpropaganda gemacht wurde gegen die NSDAP. Der Zeppelin hat ihn gepeilt und festgestellt, dass es in Schwenningen einen Fabrikkamin gab, in welchem sich die Antenne befand, von der gefunkt wurde. Soviel ich weiß sind anschließend einige Verantwortliche festgenommen worden.
    Viele, die nicht konform gingen mit der NSDAP und beispielsweise in der SPD waren oder gar in der KPD waren, hat es ja auch getroffen mit KZ oder anderem. Diese wurden festgenommen und kamen in so genannte Konzentrationslager, von denen es geheißen hat, sie werden dort isoliert, damit sie nichts für den Feind und gegen Deutschland unternehmen könnten. Dass es aber Vernichtungslager waren, das hat man eigentlich zu dieser Zeit nicht gewusst.

    F: Weißt du etwas über Schramberger Gruppen? Haben diese eher im Verborgenen agiert?
    A: Ja, vor allem die SPD. Sie wurde ja auch verboten und deren Anführer verhaftet. Obwohl, manche sind zur NSDAP, aber bei dieser Angelegenheit ist man sich nicht vollständig sicher wer dazugehörte.
    Nur die Hartgesottenen sind standhaft geblieben und haben gekämpft. Straßenkämpfe gab es jetzt in Schramberg eher nicht, aber es gab schon harte Auseinandersetzungen und nach solchen wurden viele von der SPD eingesperrt.
    Die Nazis hatten ja 1933 die Macht übernommen und daraufhin die Macht auch ausgeübt. Und der Kummer Sigger war berüchtigt, dass er die Vereine in Schramberg aufgelöst hat, dazu gehörten nicht nur beispielsweise der Gesellenverein, sondern auch die anderen Parteien.

    Na ja, und dann kam der Krieg und es fielen ja auch auf Schramberg Bomben.


    F: Du meinst den Tierstein?
    A: Ja, richtig. Die Firma Junghans hatte ja u.a. Zünder und Borduhren für den Krieg hergestellt. Das Werk selbst wurde nicht bombardiert, wahrscheinlich weil amerikanisches Kapital mit drinsteckte.
    Da war auch irgendwie eine Familie Gloggauer ,“ Gloggauer“, eine jüdische Firma, darin verwickelt. Wie schon gesagt, das Werk wurde nicht bombardiert, aber sie haben den Transport am Bahnhof bombardiert , besser gesagt bombardieren wollen, jedenfalls fielen auf den Tierstein Bomben, die eigentlich für den Bahnhof bestimmt waren. War wohl leichter zu treffen.

    F: Kannst du vielleicht noch etwas zu den Bombenangriffen sagen?
    A: Na ja, jeden Tag sind – auch über Schramberg – tausend Flugzeuge geflogen, die unterwegs waren nach Friedrichshafen zum Beispiel, an dessen Angriff ich mich noch erinnern kann, oder nach Ulm, das war dann nachts.
    Ich habe auch gesehen wie sie Stuttgart angegriffen haben, mit tausend Maschinen. Diese sind über uns weggeflogen und die Flag, die hier stationiert war, hat natürlich geschossen. Der ein oder andere wurde auch von ihr runtergeholt, manche sind hier in St. Georgen abgestürzt, zum Beispiel in Langenschiltach in einen See; wir sind natürlich hingelaufen und haben uns angeschaut wie sie die Leute aus dem Wasser gezogen haben.
    Da war viel um Schramberg herum und soweit ich weiß war in Sulgen auch eine Flag. Der Nutzen war natürlich eingeschränkt, wenn es 20, 25 Flugzeuge waren, hatten die Flags natürlich großen Nutzen, aber bei 1.000 …

    F: Du warst ja im Internat. Wie hast du da dort den Krieg erlebt? Du lebtest dort ja relativ abgeschottet? Weswegen bist du überhaupt ins Internat gekommen?
    A: 1943 kam ich ins Internat in die Schwarzwaldschule nach Triberg. Hier in St. Georgen gab es kein Gymnasium, nur eine Mittelschule, und meine Mutter wollte, dass ich eine Oberschule besuche und deshalb kam ich nach Triberg ins Internat. Da habe ich einiges erlebt, auch an Bombenangriffen.
    Einmal haben sie am Kapellenberg einen „Teppich gelegt“, welcher dem Bahnhof galt. Es waren zweimotorige Marauder, welche die Bomben abwarfen, in Schramberg waren es übrigens auch Marauder, höchstwahrscheinlich am gleichen Tag.
    In Triberg erlebte ich auch Angriffe von Jagdbombern, die Bomben abgeworfen haben und mit Bordwaffen auf alles, was sie gesehen haben, schossen. Vor allem auf Lokomotiven, welche dann alle in Sommerau auf dem Abstellgleis standen. Selbst auf Kühe schossen die Jagdbomber. Eine Kuh auf die Weide zu führen war fast unmöglich.

    F: Zu welchem Zweck? Damit die Menschen keine Milch mehr hatten?
    A: Tja, den totalen Krieg … Den wollten wir und den haben sie uns gegeben.
    Sie hatten freie Jagd. Das waren die so genannten „Rotschwänzle“ oder „Max und Moritz“. Sie kamen am früh morgens und schauten ob etwas ist, und wenn sie etwas gefunden hatten, kamen die Thunderbolt und warfen Bomben.
    Ich habe auch einen Bombenangriff direkt vor mir erlebt, bei welchem zwei Bomben vor mir in die Wiese einschlugen. Da die Wiese schräg den Berg hochging und sich oben Wasser- und Gasleitungen befanden, welche getroffen wurden, stand alles sofort in Flammen und gleichzeitig kam ein Sturzbach von oben herunter. Auf mich flogen Steine und ins Haus, etwa fünf Meter neben mir, durchbrach ein Felsbrocken die Hauswand. Ich stand mittendrin, sah die Schatten der beiden Bomben und wie das gesamte Erdreich auf mich zukam.
    Das war im Krieg das „tollste“ Erlebnis, übertroffen einzig als sie mich an die Wand stellten, mit drei Maschinenpistolen auf mich zielten und ich dachte, jetzt drücken sie ab. Das war das Schlimmste.


    F: Wie hast du die Einnahme durch die Franzosen erlebt?
    A: Als die Franzosen kamen da war ich nicht in Schramberg, sondern in St. Georgen, das am 20. April 1945 eingenommen wurde. Zuvor gab es eine große Schlacht um die Stadt.
    Schramberg wurde wahrscheinlich etwas später, Triberg erst am 24. April, von den Franzosen besetzt.
    Am 21. April war dann der deutsche Gegenschlag mit der Waffen-SS in St. Georgen.
    Die haben bei dieser Gelegenheit die Russen, die zuvor geplündert hatten, sich in den Geschäften bedienten usw., eingesammelt, haben sie erschossen und alle in einem Massengrab verscharrt.
    Bei uns zu Hause waren allerdings keine Plünderer.

    F: Weißt du noch wo das ungefähr war?
    A: Nein, ich weiß nicht mehr wo das war. Die Russen haben das Grab auch Monate später geräumt und die Leichen exhumiert, nachdem die Geschichte publik geworden war, und nach Russland zurückgebracht.

    F: Gab es solche Plünderungen auch während des Krieges?
    A: Nein, während des Krieges gab es hier eigentlich gar keine Plünderungen. Man konnte die Haustür offen lassen, weil jeder Einbrecher und Plünderer, der sich die dunklen Häuser und Straßen, verdunkelt wegen des Luftschutzes, zunutze gemacht hat, sofort standrechtlich erschossen wurde, sobald sie ihn geschnappt hatten. Da wurde also nicht geplündert und eingebrochen.
    Ich weiß aber von Leuten, die es trotzdem probierten und alle erschossen wurden.
    Und ich weiß von einem, der den Londoner Rundfunk abgehört und den Leuten davon erzählt hat, auch er wurde erschossen.
    Ein anderer war im Urlaub von der Front zu Hause, der Vater eines meiner Schulkameraden, versteckte sich im Haus und ging nicht mehr zurück an die Front. Bei einer Hausdurchsuchung haben sie ihn gefunden und standrechtlich erschossen.
    Die Leute waren verzweifelt … Er wollte nicht mehr, aber da wurde kurzer Prozess gemacht.

    F: Wie war die Situation als das Gebiet von den Franzosen besetzt war? Konnte man zu dieser Zeit ungehindert das Haus verlassen?
    A: Nein, nein. Als die Franzosen kamen, das war am 20. April, herrschte sofort Ausgehverbot.

    F: Und warum?
    A: Da sie Angst hatten vor dem Werwolf, vor Partisanen. Diese gab es ja in größeren Städten, wo sich die HJ formierte und mit Panzerfäusten, Handgranaten, Maschinenpistolen, was noch da war, bewaffnete.
    „Wer aus dem Haus geht, wird erschossen.“, hat es geheißen. Dies bedeutete Androhung der Todesstrafe. Es lockerte sich nach ungefähr einer Woche. Nun durfte man nach Eintritt der Dunkelheit bis zum Morgengrauen nicht mehr das Haus verlassen, es herrschte folglich Ausgehverbot über Nacht. Es war auch durchaus möglich, dass man von den Franzosen kontrolliert wurde.
    Es waren auch viele Marokkaner und Algerier hier, allerdings in der Unterzahl.

    F: Waren die Besatzer denn „nett“, sofern man das sagen kann? Verhielten sie sich noch menschlich?
    A: Na ja. In Deutschland gab es ja vier Besatzungszonen: Es gab die russische, die englische ganz im Norden, die amerikanische und bei uns die französische Zone.
    Selbst auf meinem Auto stand noch FB, Französisch Baden. Die französische Zone war nach der russischen die miserabelste. Am besten ging es den Menschen in der amerikanischen Zone, bei den Engländern war es einigermaßen, aber die Russen und die Franzosen waren am schlimmsten.

    F: Wie hat sich das beispielsweise geäußert?
    A: Die Franzosen räumten damals Fabriken leer, holten die Maschinen ab, am Bahnhof hier - in Schramberg ebenfalls – auf Tieflager geladen, und hier in St. Georgen speziell ein Jahr lang stehen lassen, bis sie verrostet waren.

    F: Weißt du irgendetwas über Juden hier zur damaligen Zeit?
    A: Damals hat es in St. Georgen keine Juden gegeben, wie es in Schramberg war, weiß ich nicht.
    Aber ich habe in Stuttgart Juden gesehen, die einen gelben Stern tragen mussten, aber zu der Zeit waren die meisten schon abtransportiert, denn es waren nur noch sehr wenige. Da hat es anfangs auch geheißen sie kämen erstmal in Konzentrationslager und nach dem Krieg kämen sie wieder raus, von Vernichtungslagern hat hier kein Mensch was gewusst.


    F: Wie war die Situation in den Geschäften, vor allem die Lebensmittelversorgung? Gingen die Bestände dort merklich zurück? Gab es Einschränkungen?
    A: Am Anfang gab es ja gleich Lebensmittelkarten. Man konnte genug Brot für den täglichen Bedarf kaufen. Bei den Nahrungsmitteln stand dann auf den Karten z. B. „Nährmittel“; da konnte man wählen, z. B. Grieß, Reis, Mehl, Haferflocken …Pro Woche bekam man 2 Eier und 100 g Fleisch pro Person. Die Marken musste der Händler aufkleben und die Scheine mussten abgegeben werden. Das war alles sehr streng geregelt. Es war nicht teuer, billig kann man sagen, aber es gab alles nur rationiert.
    Bei Kleidern war es anders, da wurden Bezugsscheine eingeführt. Man musste zum Rathaus und sagen „Ich brauch ein Paar Schuhe, ich habe jetzt 36, brauch aber 38, die alten passen mir nicht mehr.“, dies wurde kontrolliert und es gab einen Bezugsschein für ein Paar Schuhe. Oder für eine Hose, einen Mantel …

    F: Kam es aufgrund dieser Rationierungen auch zu Problemen? Dass es Lieferengpässe gab oder manche Produkte einfach nicht mehr vorhanden waren?
    A: Ja, zum Schluss schon. Aber nicht im Krieg. Man kann sagen bis Anfang 1945 war das alles geregelt und danach hat es geheißen „Das gibt’s nicht, jenes gibt’s nicht“. Am schlimmsten war es nach dem Krieg, da hatte man gar nichts.


    F: Gab es auch Flüchtlinge, die vor dem Krieg, bzw. vor den Feinden, hierher geflohen sind? Wenn ja, was hast du davon mitbekommen?
    A: Ja. Es fing an ca. 1941/42, 43 vor allen Dingen. Ab dann kamen sie von überall her: von Berlin, Hamburg, vom Ruhrgebiet waren viele hier, aus Essen, Düsseldorf, Köln … Ein Teil von ihnen ist nach dem Krieg hier geblieben.
    Diese Leute hatten natürlich alles verloren, sie waren fast immer ausgebombt, also nicht dass sie vor den Bomben geflohen sind, sondern ausgebombt. Die hatten nichts mehr, das Haus war vernichtet und dann haben sie bei Null hier wieder angefangen.
    Und dann kamen die anderen Flüchtlinge, aber erst später. Die, die aus Dresden kamen, das waren die letzten, die kamen zum Teil barfuß. Die hatten gar nichts, alles restlos verloren.
    Ja, und denen musste man natürlich auch helfen, da hat man alles Mögliche gemacht. Wir mussten z. B. auch einige Kleider abgeben: Mein Vater musste einen Anzug abliefern, Bettwäsche, Schuhe, … obwohl nichts mehr da war und man nichts kaufen konnte.
    Nachdem die anderen am Drücker waren, ging es den Nazis natürlich schlecht, die mussten vieles abgeben, dies geschah auch im Zuge der Entnazifizierung.
    Ich weiß noch, 3, 4 Tage nachdem die Franzosen hier etabliert waren, da standen die „Roten“ auf der Rathaustreppe und haben gewartet bis sie was wurden, Bürgermeister oder sonst was. Der Glenz z. B., ein guter Mensch, aber auf der Rathaustreppe ganz oben. Der Hutter-Sepp ist nachher Polizist geworden. Ich will keine weiteren Namen nennen.
    Der Bürgermeister der Nazis war ja abgesetzt, da musste ein anderer Bürgermeister der SPD her.

    F: Und wo haben die Flüchtlinge dann gewohnt? Es waren ja schon ziemlich viele.
    A: Im Dritten Reich während des Krieges mussten Leute, die große Wohnungen hatten, Zimmer oder eine Mansarde abgeben. Bei den Bauern im Stockwald wurden sie auch einquartiert, weil die ja Platz hatten.
    Es gab schließlich kein Holz oder andere Baumaterialien mehr und die Arbeiter, die Bäume hätten fällen können, waren im Krieg oder schon gefallen.


    F: Wie stand es mit den Verbindungswegen zwischen den kleinen Städten oder Dörfern hier? Gerade Schramberg und St. Georgen?
    A: Nach Schramberg fuhr damals ein Postauto. Dieses fuhr, so viel ich weiß, zweimal, vielleicht sogar dreimal am Tag. Am Morgen brachte es die Arbeiter, fuhr früh in Schramberg los, über Tennenbronn, wo zahlreiche zustiegen und schließlich am Bahnhof in St. Georgen wieder ausstiegen. Das Postauto fuhr dann wieder zurück über Langenschiltach und Tennenbronn und hielt in Schramberg an der Post. So bin auch ich einige Male nach Schramberg gefahren.
    Damals existierte in Schramberg noch ein Bahnhof von wo aus man nach Offenburg und Freudenstadt fahren konnte.

    F: Wie war die Verbindung später, als das Postauto nicht mehr fuhr? Wie lange fuhr es noch?
    A: Das Postauto fuhr bis in die 60er Jahre, dann hat sich das mit der allgemeine Motorisierung nicht mehr gelohnt, da fast jeder einen eigenen fahrbaren Untersatz besaß.


    F: Hast du Korruption oder ähnliches, die Polizei betreffend, mitbekommen?
    A: Die Polizei im Dritten Reich agierte nicht immer korrekt. Häufig wurde manipuliert.
    Mein Vater, der als Soldat in den Krieg wollte um Deutschland zu helfen, wurde zuerst, da er schon älter war nicht genommen, sondern zur Polizei geschickt. Er übte den Dienst des Hilfspolizisten in einer Ortschaft in der hiesigen Gegend aus und eines schönen Tages kam es zu einer Messerstecherei zwischen einem Polen, der als Fremdarbeiter einem Bauern zugeteilt war, und einem deutschen Knecht. Mein Vater und sein Vorgesetzter, der Polizeimeister, nahmen dort das Protokoll auf. Der Bauer gab zu Protokoll, der deutsche Knecht sei schon immer ein fauler Unruhestifter gewesen und sei mit dem Messer auf den Polen, ein fleißiger Arbeiter, losgegangen. Als mein Vater das Protokoll unterschreiben sollte, welches vom Polizeimeister geschrieben war, war der Tatbestand umgekehrt dargestellt. Daraufhin sagte mein Vater, „Nein das stimmt nicht, es ist umgekehrt von statten gegangen.“ Der Polizeimeister erwiderte, er solle jetzt unterschreiben so wie er das hingeschrieben habe. Mein Vater verweigerte die Unterschrift, weswegen er anschließend vom Polizeidienst ausgeschlossen wurde. Er hat genau gewusst, wenn er das unterschreibt, kommt der Pole an den Galgen. Die Nazis haben in solchen Fällen kurzen Prozess gemacht. Er hat ihm also dadurch praktisch das Leben gerettet.
    So wurde mein Vater bei der Polizei degradiert und ging dann, zum Glück, an die Front. Dort konnte er unter anderem als Dolmetscher eingesetzt werden, als Zugführer in der Normandie usw.
    Dies war kein Einzelfall, denn der NS-Staat war durch und durch ein Unrechtsstaat.

    F: War es bei uns öfters so, dass Leute wegen solcher Lappalien umgebracht wurden?
    A: Ja, recht häufig. Im Allgemeinen setzte sich das Volk auch nicht für den Verhafteten ein, sondern brüllten „Bravo!“, „Aufhängen!“ oder ähnliches.


    F: Hast du mitbekommen ob sich jemand in der Kirche auch kritisch zum NS-Staat geäußert oder ihn unterstützt hat?
    A: In der katholischen Kirche habe ich nichts vernommen. Um Hetze oder ähnlichem gewahr zu werden, war ich noch zu jung. Allerdings gab es in St. Georgen zwei evangelische Pfarrer, also zwei evangelische Gemeinden. Pfarrer Thieringer war in der Partei, zu dieser Gemeinde gehörten die Nationalsozialisten, Pfarrer Bösinger war ein Gegner des NS-Staats und hatte eine dementsprechende Gemeinde. Die beiden waren sich spinnefeind.


    F: Wurdest du gegen Ende des Krieges auch eingezogen?
    A: Zuerst wollte mich die SS rekrutieren. Anfang 1945 kamen SS-Offiziere ins Internat und luden mich vor. Sie sagten mir, sie wollen mich in der SS haben aber ich antwortete, „Ich gehe nicht in die SS, ich gehe zu den Fliegern.“. Damals kamen gerade die ersten Düsenjäger, welche mich faszinierten und auf welche ich mich von der Flieger-HJ aus schulen lassen wollte. Der Offizier sagte daraufhin zu mir, „Wir brauchen keine Flieger, wir brauchen SS.“ und ich erwiderte, „Ich gehe nicht.“. „Warum nicht?“ „Weil ich nicht zur SS, sondern zu den Fliegern gehe.“ Das ging solange, bis ich als Feigling entlassen wurde.
    Dies war die Folge eines Besuches meines Vaters, der zu mir gesagt hatte: „Geh nie zur SS. Frag mich nicht warum, aber geh nie zur SS.“ Das war für mich das Evangelium.
    Nach 8 Tagen kam die Wehrmacht und lud mich ins Schwarzwaldhotel zu Kaffee und Kuchen ein. Und das 1945 – da schwoll mir schon der Kragen. Der Oberst sagte, er hätte meine Zeugnisse gesehen und diese seien sehr gut. Die waren nie sehr gut, aber das habe ich nicht gesagt. (lacht)
    Er meinte ich solle zur Wehrmacht und dort Offizier werden. Ich sagte, ich ginge nicht zur Wehrmacht. Mein Vater sei in der Wehrmacht, aber nicht in der Etappe, sondern an der Front. Ein Wunder, dass er mich nicht erschossen hat.
    Folglich ging ich also auch nicht zum Militär, sondern besuchte weiterhin die Schule in Triberg, bis sie geschlossen wurde, da der Direktor ebenfalls Parteimitglied war.
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