Hannover - Wie braun ist der Maschsee?

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  • Andrew.derLuchs
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    • 02.11.2009
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    #1

    Hannover - Wie braun ist der Maschsee?

    23.02.2012 / Hannoversche Allgemeine Zeitung - Simone Benne

    Hannover - Wie braun ist der Maschsee?

    Wenn Landschaften auf ihren guten politischen Ruf achten müssten – der Maschsee hätte nicht viel zu verlieren. Angelegt wurde der künstliche See von 1934 bis 1936 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Nazis. Vielen gilt er schon deshalb als Kind des NS-Ungeistes, das von der demokratischen Gesellschaft nach 1945 trotz seines Geburtsfehlers gewissermaßen adoptiert wurde. Der Bauhistoriker Sid Auffarth hingegen hat jetzt eine Lanze für den See gebrochen: „Dieser ist nicht halb so braun wie sein Ruf“, sagte er bei einem Vortrag im Historischen Museum.

    Tatsächlich reichen die Pläne für einen künstlichen See im Überschwemmungsgebiet Aegidienmasch bis ins 19. Jahrhundert zurück. Eine Kommission brachte bereits 1910 den Namen „Masch-See“ ins Spiel. Pate für die Pläne standen die Hamburger Außenalster, die schon anno 1190 als Norddeutschlands größter Mühlenteich angelegt wurde, und die barocke Karlsaue in Kassel. Damals lehnte Stadtdirektor Heinrich Tramm das Projekt ab – es erschien ihm zu teuer. Oberbürgermeister Arthur Menge hingegen kämpfte von 1927 an vehement für den See, dessen Bau das Bürgervorsteherkollegium 1932 beschloss. Vor der Machtergreifung der Nazis also, die das populäre Projekt dann propagandistisch ausschlachteten.

    An der Säule der Fackelträger-Skulptur ist der Reichsadler noch heute zu erkennen, das Hakenkreuz wurde ausgekratzt. Doch unterm Strich verteidigt Auffahrt die Bauten am Seeufer gegen den Vorwurf, allein der NS-Ästhetik entsprungen zu sein. „Mit der vom Freimaurer Fritz Beindorff gestifteten Skulptur waren die Nazis teils nicht einverstanden, da sie keinen hochgerüsteten Krieger zeigte“, sagt er. Die Handbewegung des Fackelträgers, oft als heimlicher Hitler-Gruß interpretiert, deutet Auffahrt als „verhaltene Heilsbringergeste“. Der Bildhauer Hermann Scheuernstuhl kreierte wohl auch die Putto-Figur auf dem nahen Musikpavillon, die eine ähnliche Handbewegung macht: „Eine spielerische Antwort auf den Fackelträger“, sagt Auffarth.

    Der Pavillon am Nordufer, das dank seiner Palmen ans Mittelmeer erinnere, sei mit seinen schlanken Säulen „zutiefst bürgerlich“ ausgefallen, sagt der Bauhistoriker. Den Aussichtsturm am Strandbad schuf der schon in den zwanziger Jahren erfolgreiche Architekt Robert Borlinghaus im sachlich-funktionalen Design. Auch dessen Eingangstor sei kein großer Portikus, wie die Nazis ihn bevorzugt hätten, sagt Auffahrt. Das Jachthaus am Seeufer wurde gar vom Bauhaus-Schüler Carl Bauer entworfen. Und die von Georg Kolbe erschaffene Skulptur „Menschenpaar“ sei in einem Stil gehalten, der bereits in den zwanziger Jahren gängig gewesen sei, sagt Auffahrt: „Ein bürgerliches, traditionalistisches Verständnis von Architektur hat sich in Hannover in der NS-Zeit sehr lange gehalten.“

    Ganz ins Konzept der Nazi-Ästhetik passen hingegen die martialischen Löwen, die Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker für die Löwen-Bastion schuf. Doch auch hier hat Auffarth eine ironische Brechung ausgemacht: Am Gitter zu den Füßen der brachialen Tierskulpturen sind Fischfiguren zu sehen, die sich geradezu putzig ausnehmen – sie wirken wie ein spöttischer Kommentar. Vor allem sei der See jedoch ganz ohne jene Achsen gestaltet worden, wie NS-Stadtplaner sie meist bevorzugten, sagt der Bauhistoriker: „Die Achsen am Maschsee erinnern noch am ehesten an die abstrakten Bildkompositionen des modernen Künstlers Kasimir Malewitsch.“

    Historische Ansichts- und Postkarten zum Maschsee in Hannover --> http://bit.ly/y8e1fu
  • Andrew.derLuchs
    Landesfürst


    • 02.11.2009
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    #2


    Hannover-Maschsee - Gesamtansicht | 15. September 1939

    Die Karte darf weiter verwendet werden - mit Hinweis auf den Besitzer!
    © Postkarten-Archiv | www.postkarten-archiv.de

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    • Andrew.derLuchs
      Landesfürst


      • 02.11.2009
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      #3
      20.07.2010 | © NDR | Norddeutscher Rundfunk

      Zwischen Nazi-Vergangenheit und Naherholungsgebiet


      Der Maschsee in Hannover ist 2,4 Kilometer lang, hat eine Breite von 180 bis 530 Metern und ist nur rund zwei Meter tief. Er wurde in der Zeit zwischen 1934 und 1936 geschaffen. Damit das Wasser des künstlichen Sees nicht versickern kann, wurde der Grund mit einer Ton- und Lehmschicht abgedichtet. Zusätzlich liegt zum Schutz dieser Schicht noch eine acht Zentimeter dicke Kiesdecke darüber. Heute ist der Maschsee nicht nur ein beliebtes Wassersport- und Naherholungsgebiet, sondern auch ein verpachtetes Fischzuchtrevier. Gefangen werden Karpfen, Schleie, Hechte, Barsche, Plötzen und Karauschen. Traditionell werden zu Weihnachten und Silvester Karpfen am See verkauft.

      Maschsee soll Überflutungen eindämmen



      Für Ruderer ein Genuss, für Stadtplaner ein Gräuel: Die überflutete Maschsee. (© Historisches Museum Hannover)

      Schon 1876 hatte der Architekt Theodor Unger der Stadt Hannover Pläne präsentiert, wie den Überschwemmungen der Flüsse Leine und Ihme nach der Schneeschmelze im Harz begegnet werden könnte. Die Altstadt und die nahe gelegenen Stadtteile hatten ständig mit Überflutungen zu kämpfen. Aber erst Jahrzehnte später wurde der Plan des Maschsees - unter anderem wegen fehlenden Geldes und technischer Schwierigkeiten - im Rahmen nationalsozialistischer Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen verwirklicht. Die technischen Probleme löste 1925 Otto Franzius, Professor an der Technischen Hochschule Hannover. Mit der Planung wurden die Bauräte Karl Elkart und Fritz Behrens betraut. Am 21. März 1934 machte der damalige Oberbürgermeister Arthur Menge den ersten Spatenstich. Die Nationalsozialisten nutzten das See-Projekt für ihre Propaganda und priesen es als bedeutsame "völkische Tat".

      Niedriger Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen



      Mühsame Handarbeit: Arbeitslose beim Bau des Maschsees 1935. (© Historisches Museum Hannover)

      Mehr als 1.600 Arbeiter, überwiegend Arbeitslose, hoben 780.000 Kubikmeter Boden für das Seebecken aus. Getrieben von der Not nahmen sie schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne in Kauf. Nach der Logik der Nationalsozialisten durfte der See nicht mit schwerem Gerät ausgebaggert werden, sondern nur zumeist mühsam mit der Hand - damit es möglichst viel Arbeit für möglichst viele Menschen gibt. Das Wochengehalt der Arbeiter lag bei 15,50 Reichsmark. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Butter kostete damals fast 3,2 RM, ein Kilogramm Rindfleisch knapp 1,5 RM. Weil die Arbeiter auch noch Arbeitskleidung und -gerät selbst mitbringen mussten, lagen die gezahlten Löhne bei Verheirateten unter den gültigen Unterstützungssätzen. Das Arbeitsamt fühlte sich deshalb bewogen, dem Maschsee-Vorhaben nach Möglichkeit nur ledige Arbeitslose zuzuweisen.

      Nazi-Propaganda bei Eröffnung



      Volksauflauf bei der Einweihung des Maschsees am 21.05.1936.
      (© Historisches Museum Hannover)

      Am 26. November 1935 wurde die ausgehobenen Fläche geflutet - damals noch mit Leinewasser, das über eine Filteranlage in das höhergelegene Seebecken gepumpt wurde. Die Einweihung des Maschsees fand am Himmelfahrtstag 1936 statt. Mehr als 200.000 Schaulustige säumten die Ufer. Die Veranstaltung begann mit einem Massenaufmarsch der Nationalsozialisten. Zudem nahmen 6.000 Sportler an einem Sternenmarsch sowie Abordnungen von Behörden und der Wehrmacht teil. Am Eröffnungstag ging auch das erste Maschseeschiff in Betrieb. Wenig später beauftragte die Stadt die Hannoverschen Verkehrsbetriebe üstra, zwei weitere Schiffe auf dem 5,6 Kilometer langen Rundkurs verkehren zu lassen.

      See vor feindlichen Piloten getarnt



      Trotz Tarnung schlugen während des Zweiten Weltkriegs mehr als 110 Bomben auf dem Grund des Maschsees ein.
      (© Historisches Museum Hannover)

      Schon dreieinhalb Jahre nach der ersten Fahrt musste die Maschsee-Flotte die Schifffahrt auf dem See vorerst einstellen. Im Zweiten Weltkrieg verschwand 1940 der Maschsee vorläufig unter Flößen aus Weidengeflecht, die das Gewässer vor feindlichen Bomberpiloten tarnen sollte. Vergeblich: Mehr als 110 Bomben schlugen auf dem Seegrund ein. Die Maschsee-Flotte wurde zerstört. Drei Jahre nach dem Krieg nahm die üstra den Betrieb auf der "flachen Wanne" wieder auf. Seit 1962 kommt das Wasser von den südlich gelegenen Kiesteichen, weil das Leinewasser zu schmutzig geworden war. 1986 wurde das erste Maschseefest gefeiert. Insgesamt 70.000 Besucher kamen an 24 Tagen.

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