07. Juni 2009, 13:11 Uhr
GRENZEN DER KONJUNKTURPAKETE
Schluss mit der Abwrack-Orgie
Vor einem halben Jahr hat die EU ihr 200-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket beschlossen - doch wann die Regierungen ihre Ausgaben wieder zurückfahren wollen, darüber schweigen sie. Dabei ist eine Deckelung der Staatshilfe dringend erforderlich. Und zwar schnell. Ein Kommentar von Nicolaus Heinen
Frankfurt am Main - Europa wrackt ab. In den kommenden zwei Jahren werden mehr als drei Millionen Europäer ihre Autos verschrotten und durch neue ersetzen. Und damit nicht genug. An allen Ecken des Kontinents wird geteert, gebaut, investiert, saniert und konsumiert.
Die Ausgaben und Investitionen, die jetzt von der öffentlichen Hand gestemmt werden, machen inflationsbereinigt fast das Dreifache des Marshall-Plans aus - mit dem Unterschied, dass wir heute nicht die Trümmer eines Weltkriegs beseitigen, sondern die Folgen einer Krise bewältigen müssen.
Selbst die härtesten Verfechter der Marktwirtschaft haben erkannt: In der aktuellen Krise kann der Staat nicht nur die Zuschauerrolle einnehmen. Konjunktur ist auch Psychologie - und Konjunkturprogramme können in einer fundamentalen Wirtschaftskrise negative Erwartungen im Markt entschärfen und so einer selbsterfüllenden Prophezeiung entgegenwirken.
Gute Konjunkturprogramme gehen noch weiter. Sie gleichen nicht nur die kurzfristige Nachfragedelle im Markt aus, sondern machen das Land auch langfristig wettbewerbsfähig, etwa durch Investitionen in Infrastruktur und Bildung. So können sich die Gesamtausgaben durchaus amortisieren.
So weit die Theorie.
Die Praxis sieht leider anders aus. Wenn Politik außerplanmäßig Geld verteilt, ist es schwer, die einmal geöffneten Geldschleusen wieder zu schließen. Das führt dann zu einer dauerhaften Belastung der Haushalte. Die Qualität eines Konjunkturprogramms erkennt man deshalb erst an seiner zeitlichen Befristung: Sonst bleiben Defizite hoch, und es droht eine Schuldenspirale. Spätestens, wenn die Wirtschaft wieder läuft, muss die Staatsaktivität zurückgefahren werden. Das heißt konkret: Jedes Konjunkturprogramm braucht eine wirksame Exitstrategie.
Doch genau diese fehlt in Europa. Ein Blick auf die unterschiedlichen Konjunkturprogramme der EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass die Maßnahmen zwar rechtzeitig kamen und größtenteils greifen. Doch eine effektive zeitliche Begrenzung ist nicht zu erkennen.
Da ist etwa Deutschland mit seiner bunten Mischung an Maßnahmen im Umfang von über 80 Milliarden Euro. Fast jede Zielgruppe wird bedient: Eltern erhalten den Kinderbonus, und Arbeitnehmern kommt unter anderem die Absenkung der Krankenkassenbeiträge zugute. Arbeitgeber profitieren vom Kredit- und Bürgschaftsprogramm, und der Arbeitsmarkt wird durch eine großzügige Kurzarbeitsregelung entlastet. Darüber hinaus wird auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gefördert, durch Investitionen in Infrastruktur und Bildungseinrichtungen sowie die Förderung von Gebäudesanierung.
Die bevorstehende Wahl bestimmt die Politik
Solange die Krise bei den Bürgern noch nicht angekommen ist, erscheint jede dieser Maßnahmen als willkommenes Geschenk, das gerne mitgenommen wird. Das heißt im Umkehrschluss: Werden die Maßnahmen wieder gestrichen, wird das als Verlust wahrgenommen - für den im Wahljahr kein Politiker verantwortlich sein will. Subventionen sind dann kaum mehr abzuschaffen. Die verlängerte Abwrackprämie ist ein Paradebeispiel dafür. Eine Verlängerung weiterer Programme ist abzusehen.
Großbritannien geht einen pragmatischeren Weg: Die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2012 verschaffen dem Land ohnehin einen größeren Investitionsboom. Dadurch wird nun die private Nachfrage mit über 20 Milliarden Pfund (22,7 Milliarden Euro) gestützt. Die Mehrwertsteuersenkung um 2,5 Prozentpunkte ist bis zum Ende des Jahres befristet - aber auch hier werden schon erste Rufe nach einer Verlängerung bis ins Jahr 2010 laut.
Frankreich macht genau das Gegenteil. Steuererleichterungen für Arbeitnehmer sind nicht vorgesehen, dafür fließt ein Großteil der Mittel in über 1000 Projekte, die der Staat als strategisch wichtig erachtet, beispielsweise Infrastruktur und öffentliche Liegenschaften. Gleichzeitig gibt es Transfers an Unternehmen, etwa ein erweitertes Kurzarbeitergeld, vorzeitige Steuerrückzahlungen und bessere Abschreibungsmöglichkeiten sowie 1,8 Milliarden Euro Hilfen für den Hausbau- und Automobilsektor.
Auch hier wird es schwierig sein, diese Staatsausgaben wieder zurückzufahren - zu fragmentiert ist der Ansatz, zu einflussreich sind die Eliten der Empfängerseite. Dazu kommt: Gerade in Frankreich ist ein umverteilender, steuernder Staat seit jeher akzeptiert und gesellschaftlich erwünscht.
Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn dadurch die europäischen Haushalte nicht dauerhaft und massiv belastet würden. In der gegenwärtigen Lage ist das bedenklich, denn die Rezession sorgt für Steuerausfälle, und die öffentlichen Kassen ächzen unter dem demographischen Wandel.
Fatalerweise gibt es in Europa trotzdem unterschiedliche Auffassungen darüber, wie gute Haushaltspolitik auszusehen hat - und davon ist Deutschland direkt betroffen. Denn hohe Defizite untergraben langfristig das Vertrauen in den Euro. Und für den Fall, dass sich der fiskalische Schlendrian in Europa weiter etablieren sollte, liegen Pläne für eine gemeinschaftliche Euro-Anleihe schon in der Schublade. Für Deutschland bedeutet das erhöhte Refinanzierungskosten für die eigene Staatsschuld. Solide Haushaltspolitik in Europa als Leitkultur zu verteidigen ist daher in unserem ureigensten Interesse.
Paris will den Stabilitätspakt lockern
Das aber geht nur über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Bereits Ende April hat die Europäische Kommission vier Defizitverfahren gegen Mitgliedstaaten eingeleitet. Zeit zum Nachbessern haben sie, denn das Verfahren kann für bis zu drei Jahre ausgesetzt werden, im Einzelfall auch noch länger.
Doch auch diese Flexibilität reicht einigen Ländern nicht. So fordert Frankreich seit Anfang des Monats, krisenbedingte Ausgaben künftig aus der Defizitbemessung herauszurechnen. Es ist das gute Recht Frankreichs, die europäische Debatte nach seinen Vorstellungen dominieren zu wollen.
Doch wo bleibt die Stimme Deutschlands? Wo bleibt der öffentliche Aufschrei jenseits der Agenturmeldungen?
Trotz Rezession und milliardenschwerer Konjunkturprogramme müssen wir durchsetzen, dass an Haushaltsdisziplin auch künftig kein Weg mehr vorbeiführen darf. Politischer Druck wäre hierzu ein letztes Mittel - doch hier hat Deutschland ein Glaubwürdigkeitsproblem: Mit einer Rekordneuverschuldung im laufenden Haushaltsjahr und einer Schuldenbremse, die erst in einigen Jahren greift, sind wir leider kein Vorbild für gute Haushaltspolitik.
Spätestens im Herbst, wenn sich die neue EU-Kommission konstituiert, könnten die Karten neu gemischt werden. Vielleicht schafft es die schwedische Ratspräsidentschaft dann, dass sich die europäischen Staaten endlich koordinieren. Und darauf einigen, ihre Ausgaben schnell und effektiv zurückzufahren.
In der Tat, das wäre ein kolossaler Kraftakt - der leider nicht realistisch ist.
URL:
* http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,626331,00.html
GRENZEN DER KONJUNKTURPAKETE
Schluss mit der Abwrack-Orgie
Vor einem halben Jahr hat die EU ihr 200-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket beschlossen - doch wann die Regierungen ihre Ausgaben wieder zurückfahren wollen, darüber schweigen sie. Dabei ist eine Deckelung der Staatshilfe dringend erforderlich. Und zwar schnell. Ein Kommentar von Nicolaus Heinen
Frankfurt am Main - Europa wrackt ab. In den kommenden zwei Jahren werden mehr als drei Millionen Europäer ihre Autos verschrotten und durch neue ersetzen. Und damit nicht genug. An allen Ecken des Kontinents wird geteert, gebaut, investiert, saniert und konsumiert.
Die Ausgaben und Investitionen, die jetzt von der öffentlichen Hand gestemmt werden, machen inflationsbereinigt fast das Dreifache des Marshall-Plans aus - mit dem Unterschied, dass wir heute nicht die Trümmer eines Weltkriegs beseitigen, sondern die Folgen einer Krise bewältigen müssen.
Selbst die härtesten Verfechter der Marktwirtschaft haben erkannt: In der aktuellen Krise kann der Staat nicht nur die Zuschauerrolle einnehmen. Konjunktur ist auch Psychologie - und Konjunkturprogramme können in einer fundamentalen Wirtschaftskrise negative Erwartungen im Markt entschärfen und so einer selbsterfüllenden Prophezeiung entgegenwirken.
Gute Konjunkturprogramme gehen noch weiter. Sie gleichen nicht nur die kurzfristige Nachfragedelle im Markt aus, sondern machen das Land auch langfristig wettbewerbsfähig, etwa durch Investitionen in Infrastruktur und Bildung. So können sich die Gesamtausgaben durchaus amortisieren.
So weit die Theorie.
Die Praxis sieht leider anders aus. Wenn Politik außerplanmäßig Geld verteilt, ist es schwer, die einmal geöffneten Geldschleusen wieder zu schließen. Das führt dann zu einer dauerhaften Belastung der Haushalte. Die Qualität eines Konjunkturprogramms erkennt man deshalb erst an seiner zeitlichen Befristung: Sonst bleiben Defizite hoch, und es droht eine Schuldenspirale. Spätestens, wenn die Wirtschaft wieder läuft, muss die Staatsaktivität zurückgefahren werden. Das heißt konkret: Jedes Konjunkturprogramm braucht eine wirksame Exitstrategie.
Doch genau diese fehlt in Europa. Ein Blick auf die unterschiedlichen Konjunkturprogramme der EU-Mitgliedstaaten zeigt, dass die Maßnahmen zwar rechtzeitig kamen und größtenteils greifen. Doch eine effektive zeitliche Begrenzung ist nicht zu erkennen.
Da ist etwa Deutschland mit seiner bunten Mischung an Maßnahmen im Umfang von über 80 Milliarden Euro. Fast jede Zielgruppe wird bedient: Eltern erhalten den Kinderbonus, und Arbeitnehmern kommt unter anderem die Absenkung der Krankenkassenbeiträge zugute. Arbeitgeber profitieren vom Kredit- und Bürgschaftsprogramm, und der Arbeitsmarkt wird durch eine großzügige Kurzarbeitsregelung entlastet. Darüber hinaus wird auch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit gefördert, durch Investitionen in Infrastruktur und Bildungseinrichtungen sowie die Förderung von Gebäudesanierung.
Die bevorstehende Wahl bestimmt die Politik
Solange die Krise bei den Bürgern noch nicht angekommen ist, erscheint jede dieser Maßnahmen als willkommenes Geschenk, das gerne mitgenommen wird. Das heißt im Umkehrschluss: Werden die Maßnahmen wieder gestrichen, wird das als Verlust wahrgenommen - für den im Wahljahr kein Politiker verantwortlich sein will. Subventionen sind dann kaum mehr abzuschaffen. Die verlängerte Abwrackprämie ist ein Paradebeispiel dafür. Eine Verlängerung weiterer Programme ist abzusehen.
Großbritannien geht einen pragmatischeren Weg: Die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2012 verschaffen dem Land ohnehin einen größeren Investitionsboom. Dadurch wird nun die private Nachfrage mit über 20 Milliarden Pfund (22,7 Milliarden Euro) gestützt. Die Mehrwertsteuersenkung um 2,5 Prozentpunkte ist bis zum Ende des Jahres befristet - aber auch hier werden schon erste Rufe nach einer Verlängerung bis ins Jahr 2010 laut.
Frankreich macht genau das Gegenteil. Steuererleichterungen für Arbeitnehmer sind nicht vorgesehen, dafür fließt ein Großteil der Mittel in über 1000 Projekte, die der Staat als strategisch wichtig erachtet, beispielsweise Infrastruktur und öffentliche Liegenschaften. Gleichzeitig gibt es Transfers an Unternehmen, etwa ein erweitertes Kurzarbeitergeld, vorzeitige Steuerrückzahlungen und bessere Abschreibungsmöglichkeiten sowie 1,8 Milliarden Euro Hilfen für den Hausbau- und Automobilsektor.
Auch hier wird es schwierig sein, diese Staatsausgaben wieder zurückzufahren - zu fragmentiert ist der Ansatz, zu einflussreich sind die Eliten der Empfängerseite. Dazu kommt: Gerade in Frankreich ist ein umverteilender, steuernder Staat seit jeher akzeptiert und gesellschaftlich erwünscht.
Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn dadurch die europäischen Haushalte nicht dauerhaft und massiv belastet würden. In der gegenwärtigen Lage ist das bedenklich, denn die Rezession sorgt für Steuerausfälle, und die öffentlichen Kassen ächzen unter dem demographischen Wandel.
Fatalerweise gibt es in Europa trotzdem unterschiedliche Auffassungen darüber, wie gute Haushaltspolitik auszusehen hat - und davon ist Deutschland direkt betroffen. Denn hohe Defizite untergraben langfristig das Vertrauen in den Euro. Und für den Fall, dass sich der fiskalische Schlendrian in Europa weiter etablieren sollte, liegen Pläne für eine gemeinschaftliche Euro-Anleihe schon in der Schublade. Für Deutschland bedeutet das erhöhte Refinanzierungskosten für die eigene Staatsschuld. Solide Haushaltspolitik in Europa als Leitkultur zu verteidigen ist daher in unserem ureigensten Interesse.
Paris will den Stabilitätspakt lockern
Das aber geht nur über den Stabilitäts- und Wachstumspakt. Bereits Ende April hat die Europäische Kommission vier Defizitverfahren gegen Mitgliedstaaten eingeleitet. Zeit zum Nachbessern haben sie, denn das Verfahren kann für bis zu drei Jahre ausgesetzt werden, im Einzelfall auch noch länger.
Doch auch diese Flexibilität reicht einigen Ländern nicht. So fordert Frankreich seit Anfang des Monats, krisenbedingte Ausgaben künftig aus der Defizitbemessung herauszurechnen. Es ist das gute Recht Frankreichs, die europäische Debatte nach seinen Vorstellungen dominieren zu wollen.
Doch wo bleibt die Stimme Deutschlands? Wo bleibt der öffentliche Aufschrei jenseits der Agenturmeldungen?
Trotz Rezession und milliardenschwerer Konjunkturprogramme müssen wir durchsetzen, dass an Haushaltsdisziplin auch künftig kein Weg mehr vorbeiführen darf. Politischer Druck wäre hierzu ein letztes Mittel - doch hier hat Deutschland ein Glaubwürdigkeitsproblem: Mit einer Rekordneuverschuldung im laufenden Haushaltsjahr und einer Schuldenbremse, die erst in einigen Jahren greift, sind wir leider kein Vorbild für gute Haushaltspolitik.
Spätestens im Herbst, wenn sich die neue EU-Kommission konstituiert, könnten die Karten neu gemischt werden. Vielleicht schafft es die schwedische Ratspräsidentschaft dann, dass sich die europäischen Staaten endlich koordinieren. Und darauf einigen, ihre Ausgaben schnell und effektiv zurückzufahren.
In der Tat, das wäre ein kolossaler Kraftakt - der leider nicht realistisch ist.
URL:
* http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,626331,00.html
Kommentar