Irrfahrt, Teil 8, Roman

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  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #1

    Irrfahrt, Teil 8, Roman

    Irrfahrt



    Teil 8:

    Es sind zwei leichtere Boote; etwa vier Meter fünfzig lang und auf jedem Boot zwei Taucher. Ziemlich schnell nähern sie sich unserer Markierungsboje und stoppen beim Erreichen abrupt auf. Eine emsige Rödelei beginnt nun, verbunden mit einigen Bootsmanövern mittels Schraube; hin und wieder ein verstohlener Blick zu uns herüber … aber kein Wort.
    „Hmm … keine guter Kinderstube … die Truppe.“ Sage ich halblaut zu meiner Freundin. „Die hätten ja wenigstens mal guten Tag sagen können.“ Fahre ich fort.
    Ich stehe mitten im Boot – aufrecht - und beobachte nun das Treiben aufmerksam. Eine Frau erkenne ich, die anderen sind Männer.
    „Nun guck dir das mal an! … Die schmeißen ihre Anker in genau unsere Leine! … Was – wenn wir da noch Leute unten hätten? Merken die`s noch?“ Stelle ich fassungslos fest. In meinem Kopf rattert es; soll ich die Taucher anrufen und mich als deutsches Boot zu erkennen geben und sie zusammenscheißen? Soll ich denen den Tauchgang verderben und uns auch? Ich weiß, dass wir keine Leute da unten haben und ich verzeihe es den Urlaubern, denn wer ist schon perfekt. Und … vielleicht merken sie`s ja noch.
    „Ab! Wir gehen rein … bevor unser Tauchgang restlos im Arsch ist, weil die mit ihren Ankern unsere Leine raufholen und ich alles neu stecken muss – einschließlich der Ankermanöver fahren. Und wir auch nicht warten können bis die sich ausgeschissen haben – das Wetter für heute Nachmittag ist nicht optimal.“ Wende ich mich nun blicktechnisch ab und unserer Ausrüstung zu.

    Wir schwimmen rücklings die vielleicht knapp 100 Meter lange Strecke zu unserer Boje, welche in etwa zwischen den jüngst geparkten Booten liegt. Dabei erkenne ich deutlich eine Art „Kennzeichen/Nummernschild“ wie an deutschen Kraftfahrzeugen – jeweils rechts und links auf einer Tafel angebracht und notiere es mir gedanklich. Die Gäste sind bereits abgetaucht.

    Fast unten angekommen und meine Freundin hinter mir wissend, sehe ich unter uns die Gäste – zwei davon. Es sind die Frau und wohl ihr Freund. Sie hangeln sich an ihrer Leine entlang, die offensichtlich viel loser gesteckt ist als meine und was demzufolge auch erklärt, warum die beiden unter mir waagerecht dem Meeresgrund nahe, tauchen.
    „Anfänger!“ Denke ich. „Das mit der 3fachen Wassertiefe beim Ankern haben `se wohl schon gehört, aber am Ankerseil abzutauchen – bei der Wassertiefe und nicht am Spot ankommen, ist wohl eine neue Erfahrung.“ Brubble ich recht lustig gesinnt in meinen Regler.
    Ohne zu Erschrecken stelle ich nach einigen weiteren Schwimmzügen fest, dass sich meine Markierungsleine und die Ankerleine von eben diesem Pärchen kreuzen und winklig verlaufen. Ihre schwere Ankerleine liegt auf unserer – bergen sie ihren Anker, holen sie unsere Leine möglicherweise rauf.
    Nun gut; es stellen sich zwei Möglichkeiten bezüglich meiner weiteren Tauchgangsgestaltung dar: Ich tauche mein Bleilot an, schnappe es mir, bringe es um den Weg des Winkels am Grund zurück, hebe es über ihre Leine und tauche mit ihm in der Hand zum Wrack. Und wenn ich es eingegraben habe, kann ich bereits am Seil wieder aufsteigen - denn die Grundzeit ist verstrichen und ich kräftemäßig am Ende. Oder; ich tauche das Bleilot an, bringe es noch einige Meter an das Wrack, grabe es ein und habe noch einige Minuten mit meiner Freundin um Fotos wenigstens vom Achterschiff zu machen.
    Da das Taucherpärchen an der Kreuzung stutzt und diese auch noch „untersucht“ und uns in ihrem Nacken wahrnimmt – entscheide ich mich für Plan „B“, denn somit gehe ich davon aus, dass die Bergungsaktion einer Ankerleine und einer Markierungsleine mit Leichtigkeit an der Wasseroberfläche generalstabsmäßig von allen Beteiligten – sofern alle Betroffenen oben sind – besprochen und erfolgreich getätigt wird. Da man bekanntlich mit der Dummheit der anderen permanent rechnen sollte, werde ich die Gäste mal nicht wirklich aus den Augen lassen. Mein Bleilot ist ans Wrack gebracht, nun eingegraben und ich werde mich sicherheitshalber nicht sehr weit davon entfernen.
    Die Gäste tauchen einmal von achtern beginnend - entlang dem Wrack, kehren auf der entgegen gesetzten Seite zurück und tauchen jeweils ihre zugehörige Ankerleine an.
    Das ist das Stichwort für mich, nicht mehr zu posieren oder zu leuchten oder aus der Bildfläche zu sprinten oder meiner engagierten Freundin einfach nur freudig bei der Arbeit mit ihrer neuen Kamera zuzusehen. Ich lasse die Truppen nicht mehr aus den Augen!
    Zu meinem Entsetzen sehe ich, wie unser Pärchen einen Hebesack an ihrem Anker befestigt ... und ... ihn anbläst! Sofort sprinte ich zu meiner Freundin. Ich ergreife ihre Schulter, drehe sie zu mir. Meine rechte Hand ist zu einer imaginären Pistole geformt und meine ausgestreckten Mittel- und Zeigefinger zeigen auf sie – dann auf mich und dann schüttle ich 2mal heftig in Richtung der Leine meinen Unterarm aus. Es ist das Zeichen: Tritt in die Flossen Kleines, sofort nach Hause!
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #2
    Der Hebesack ist für`s erste nur neutral angeblasen; die Flunken des Ankers zeigen gen Oberfläche, er schwebt nahezu über dem Grund und ... er fängt an zu wandern – getrieben von der Strömung. Er wird sich so unter unsere Leine setzen. Natürlich kann ich abtauchen, den Sack ganz anblasen und somit frei nach oben schießen – aber wer weiß was ich damit bei denen anrichte?
    Wir gehen unsere Leine schräge nach oben vom Deck des U-Bootes kommend an und beginnen den Aufstieg. Je eher wir nun aus der Tiefe kommen um so deutlich kürzer wird die nötige Deco. Ich rechne mit dem Schlimmsten und hoffe auf das Beste - an den gesunden Menschenverstand des deutschen Taucherpärchens glaubend; nämlich mit dem Ankerbergen zu warten, bis auch wir uns wenigstens an der Wasseroberfläche zeigen.
    Wir machen noch einen Tiefenstopp – mein Job war 2mal sehr anstrengend – dann rauf zur ersten Decostufe. Wir werden noch von dem Pärchen gesehen, bevor die ihren „Nullzeit-Tauchgang“ beenden und austauchen. Gegenüber – an der Ankerleine des anderen Bootes scheint es einer mit der Deco ernst zu nehmen und hängt recht lange auf der
    4 oder 5 Meter–Stufe. Er schaut zu uns herüber und fragt nach geraumer Zeit ein Okay ab. Ich beobachte es aus dem Blickwinkel und antworte nicht um eventuell dadurch mögliche Missverständnisse erst gar nicht entstehen zu lassen. Wir haben es nicht gesehen und nicht geantwortet und somit ist für ihn unsere Situation „weiterhin unklar“. Ich schaue meine Freundin an und verbiete ihr zu antworten.
    Er taucht aus, als wir eben mal gerade auf der 6 Meter–Stufe sind, noch viele Minuten vor uns habend.
    Ich lasse meine konservativ gestaltete Deco durch den Kopf gehen, berechne sie neu um möglichst schnell aus dem Wasser zu kommen – Grundlage ist die geringst mögliche Deco meiner Freundin. Mein Blick derweilen ist leer und in Richtung Kopf meiner Freundin verlaufend. Nun abwechselnd nach unten und oben schauend, sehe ich, dass sich der Bug des Bootes direkt an unserer Oberflächenboje befindet und der Mann ins Wasser blickend mitten in seiner Arbeit verstrickt ist, ruckweise seine Ankerleine zu bergen. Diese ist nun senkrecht neben uns – verdrillt mit unserer Leine an der Oberfläche.
    Meine Freundin bemerkt diesen Zustand und beginnt mit steigender Tendenz nervös zu werden. Ich treffe eine Entscheidung: Ich zeige auf sie, führe meine rechte Hand waagerecht mehrmals gewohnt durchs Wasser, dann zeige ich auf mich und den Daumen nach oben und sofort wieder nach unten. Danach trete ich in die Flossen und sprinte an die Oberfläche.
    „Sag mal merkst du`s eigentlich noch? Hör sofort auf deinen Anker zu bergen!“ Rufe ich den grinsenden Mann schräg über mir an. Seine Gesichtszüge entfalten sich: „Ööh... mach ma` halblang ...“ Erwidert er darauf. Ich unterbreche ihn schreiend: „Was-Heißt-hier-Halblang-Du-verdammtes-Arschloch-hörst-augenblicklich-auf-mit-Ankerbergen-Wir-haben-unsere-Deco-zu-machen-Du-holst-uns-gerade-rauf-und-rammst-uns-deinen-Anker-in-den-Arsch!“
    Wenige Sekunden sind vergangen und ich sprinte zurück auf die Deco. Meine Freundin ist weg! Verdammt! Sie ist weg! Und das stelle ich erst jetzt im sechs Meter Bereich fest. Wo ist sie? Mein Blick gleitet zu erst in die Tiefe. Ich sehe sie nicht und ich sehe keine Blasen. Dann blicke ich dem Wahnsinn vor Sorge nahe, nach oben. Dort ist sie – an der Wasseroberfläche. Ich sehe nur noch etwas an mir vorbei schießen. Es ist der Hebesack mit dem Anker daran. Ich überschlage die Deco und stelle fest, dass meine Freundin grenzwertig betrachtet oben bleiben kann und sogleich ganz sicher keinen Deco-Unfall erleiden wird. Bei mir sieht es etwas anders aus, ich war deutlich tiefer und körperlich stark belastet. Mein Blick ist starr nach oben auf meine Freundin gerichtet. Sie ist direkt an der Boje und ihr Gesicht im Wasser. Ich frage das Okay ab und bekomme die gleiche Antwort von ihr und so sitze ich noch etwa eine viertel Stunde ab, verbunden mit einem permanenten Abfragen des Okay-Zeichens. Dann tauche ich aus.
    „Ist alles okay mit dir?“ Spreche ich sie an.
    „Ja! Alles okay! Diese dumme Sau!“ Antwortet sie prompt.
    „Verdammt ... was machst du hier oben?“ Frage ich sie vorwurfsvoll.
    „Ich habe unsere Boje hier oben ausgetütert und etwas vom Boot weggebracht! Und dann kam das Geschoss auch schon an! Ich habe den Sack mit Anker schon gesehen und unsere Leine verlief scheinbar durch den Anker!“
    „Du solltest auf Stufe bleiben ... verdammt!“ Mehr fällt mir nun im Augenblick nicht ein. „Okay, wir schwimmen zurück zum Boot. Mehr nachher an Bord! ... Wo ist unser Dampfer eigentlich?“ Schaue ich mich fragend nun um. Wir sind samt Boje ordentlich abgetrieben. Das Gezerre hat unsere Leine mitgerissen, das Bleilot wohl angehoben und unser Boot ist fern von Gut und Böse.
    „Schaffst du die Strecke? Wir schwimmen rücklings, Hand in Hand. Versuche dich nicht anzustrengen, ich werde dich weitestgehend ziehen. An Bord ist Trinkwasser und Sauerstoff zur Sicherheit.“
    „Ja, kriegen wir schon hin!“ Spricht sie und zeigt nun auf die beiden deutschen Boote, welche im Päckchen cirka einen guten Kilometer von uns entfernt treiben.
    „Die sind einfach abgehauen.“ Wird von ihr ergänzt und ich frage darauf: „Haben die noch was gesagt?“
    „Weiß ich nicht. Ich hatte dann das Gesicht im Wasser um nach dir zu schauen.“
    Als wir uns Richtung unser Boot bewegen machen sie Dampf auf und verpissen sich in Höchstfahrt.
    „Diese dummen Schweine ... erst im Abstand auf die Lauer legen und sich dann gänzlich verpissen wenn man gerade noch zu zappeln anfängt!“ Werfe ich in die Schwimmerrunde ein.
    „Du wolltest ja unbedingt mit denen zusammen runter!“ Wirft sie ein. „Hast doch gesehen, dass sie ihren Anker ohne Konversation in unsere Boje geschmissen haben.“ Ergänzt sie zu Recht.
    „Ja, habe ich gesehen! Doch hatte ich gerade in Ansätzen den Glauben an die Menschheit zurück gewonnen. Fehler sind dafür da, um daraus zu lernen. Und ich hatte die Truppen im Auge! Ohne Fehler keine Erfahrung! Und außerdem; freust du dich immer über Tauchergesellschaft ... beim Tauchen.“ Grinse ich sie nunmehr an. Sie lächelt zurück bis sie ihren ersten Krampf im Fuß bekommt...
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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    • diverhans
      Ridderkreuzträger &
      Ritter


      • 03.11.2005
      • 443
      • BW

      #3
      An Bord angekommen gibt es Wasser ohne Ende und reinen Sauerstoff bis die Butz alle ist.
      Durchaus möglich, dass ich auch hätte anders reagieren können oder sollen – auf der Deco. Doch habe ich in Hemmoor vor vielen Jahren mal einen angenommenen Panik-Aufstieg meiner Freundin verhindern wollen – es war seinerzeit ein Kampf „um Leben und Tot“ – ein Gezerre an ihren Beinen. Letztendlich ist es ein Missverständnis gewesen und seit her arbeiten wir stets daran, ein perfektes Team zu werden. Meine Freundin war am Anfang des Nervöswerdens und so habe ich eben diese Entscheidung getroffen. Ich werde in ähnlicher Situation ein nächstes mal vielleicht anders entscheiden. Wir diskutieren in Ruhe das Erlebte und lassen uns damit Zeit. Ich habe noch unseren Anker und die Boje zu bergen.
      „Wir müssen noch mal an die „Rubis“ und das gesamte Wrack fotografieren.“ Sagt sie abschließend. Und ich erwidere: „Gehst du mit mir noch Tauchen? Ich hatte eine böse Vorahnung, das Meer hat mich zweimal gewarnt und ich habe es wissen wollen und ... dich irgendwie...“ mir stockt der Atem „...in Gefahr gebracht!“
      „Ja, selbstverständlich gehe ich mit dir wieder Tauchen!“ Lächelt sie zurück.
      „Gut ... das ist gut!“ Erhebe ich mich und gehe beschämt zum Ankerkasten...
      „Und übrigens; ein Taucher muss immer damit rechnen, dass ihm einer einen Anker auf den Kopf schmeißt oder seine Leine hoch schießt. Wir hatten das vor etwa drei Jahren mal am Zerstörer „ Poursurvante“ auf 60 Metern – weißt du noch?“ Sagt sie und grinst lieb. Ich wende mich um und nicke bedächtig.
      „Es ist ein großes Torpedoboot und kein Zerstörer! … Ja.“ Sage ich „und das war der alte Jack selbst. Die aufsteigende Leine hat mich kalt an den Eiern erwischt und ich habe mich zudem mit meinem Bein drin verwickelt und wurde etwa 10 Meter mit nach oben gerissen und du hast rechtzeitig losgelassen. Ist alles eben nicht so schlimm. Was schlimm ist, ist die vorsätzliche Dummheit mancher Leute – aus welchem Land sie auch immer kommen mögen. Die Trottel hätten lediglich 20 Minuten an Zeit verloren, das wäre alles gewesen. Und; vielleicht hätte ich einfach nur bei dir auf Stufe bleiben sollen. Aber die einzelnen Ereignissen/Abläufen betrachtet, hatte ich es für genau so als richtig befunden zu handeln.“ Schließe ich nun das Thema endgültig ab. Eine geballte Faust fliegt noch in Richtung St. Tropez, dann kümmere ich mich um den Anker.

      Auf der Rückfahrt bei mäßiger Geschwindigkeit treffen wir noch Arnoldo am Achterschiff der „Togo“. Wir halten Abstand, aber fahren im Standgas bis auf Rufweite vorbei und Güssen. Arnoldo winkt ganz heftig – wir kennen ja uns jetzt persönlich.

      In Hafen schauen wir noch mal nach dem Wetteraushang.
      „Lust auf Marseille … auf die „Liban“ oder „Batavia“? Ist nicht tief und bringt bei guter Sicht klasse Bilder!“ Frage ich gerade heraus.
      „Hmm … könnte man eigentlich machen!“ Erwidert sie.
      „Komm, dann laden wir den Dampfer auf, machen alles reisefertig und reisen morgen in aller Frühe ab. Okay?“
      „Na los, dann komm!“ Ist sie spontan einverstanden und im Gehen hinterfragt sie: „Was hast du denn außerdem noch vor? Hää?“
      „Na ja, das Wetter soll für den Rest der Woche erstklassig sein – kaum Wind. Ich muss noch an die „Ker-Bihan“ und die „Miquelon“.
      „Die sagen mir was. Von diesen Wracks sprichst du nun schon geschlagene sechs Jahre. Ergo: Sicher keine einfachen Wracks!“ Schlussfolgert sie richtig.
      „Ja, das kann man wohl sagen; sie liegen tiefer 50 Meter, schlechte Sicht und zudem Mitten in der Einflugschneise der bis 30.000 Bruttoregistertonnen großen Schnellfähren. Die reißen dir sogar schon auf der 12 Meter Deco den Arsch ab.“ Und damit ist meine Überlegung von gestern Abend endlich ausgesprochen.

      Abends füllen wir wieder bei Arnoldo; das Zicklein ist nicht da und Arnoldo macht als Tekki wenigstens die Butzen richtig voll. Dann geht es in die Heia. Vorbereiten brauche ich bezüglich der Wrackpositionen nichts, denn alle „wichtigen“ Wracks vor Marseille habe ich mehrfach zu Hause hinreichend recherchiert und die genau möglichste Position im GPS-Gerät abgespeichert. Und Reservebatterien für das Gerät habe ich mehr als genug mit.
      ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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      • diverhans
        Ridderkreuzträger &
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        • 03.11.2005
        • 443
        • BW

        #4
        4.00 Uhr am Dienstagfrüh ist Abfahrt nach Marseille, das Boot ist 6.30 Uhr im Wasser im Vieux Port. Die Fähre nach Frioul ist gerade aufgewacht und macht etwas Stress; wir blockieren ihren Anleger. Alles ist ins Boot geworfen und liegt ungeordnet an Oberdeck. Fahrt aufnehmen und erst einmal hinüber in unsere kleine Bucht auf Frioul. Die See ist spiegelglatt, doch der Gestank unerträglich. Viel Müll treibt an der Oberfläche. Der Mistral hat in Verbindung mit einer ungünstigen Meeresströmung – wie im vergangenen Jahr gehabt – die ungeklärten Abwässer in die Bucht von Marseille treiben lassen. Ich habe wieder einmal Tränen in den Augen und verstehe die Welt im Jahre 2007 nicht mehr. Ich weiß was uns erwarten wird und bin auch darum traurig. Die Irrfahrt nimmt auch in dieser Hinsicht kein Ende…

        Selbst in unserer kleinen, gemütlichen und sonst so klaren Bucht kann ich den Grund kaum sehen. Wir rödeln alles auf und zusammen. Doch meine Freundin winkt ab, als ich ihr Tauchzeug in den Händen halte.
        „Lass gut sein. Ich gehe wohl eher nicht rein.“ Höre ich es aus ihrem hübschen Mund verlauten.
        „Ich baue deinen Scheiß zusammen und dann sehen wir weiter!“ Kontere ich.
        „Nein in soweit: Du gehst - wenn du willst - jetzt an deine Wracks! Das Wetter ist ideal, um diese Uhrzeit schlafen die großen Schiffe sicher noch und mit der Sicht – das musst eben du entscheiden. Ich bleibe oben und passe auf!“ Sagt sie sehr direkt zu mir.
        Ich schlage nicht aus: „Okay, wir überlaufen als erste die „Miquelon“. Sie ist größer als die „Ker-Bihan“ und mir neben der „Drome“ am wichtigsten. An der „Drome“ war ich schon einmal und an der „Miquelon“ noch nicht. Ein stattlicher Dampfer aus der Zeit des ersten Weltkrieges und vollständig intakt, aufrecht auf der Reede Nord liegend, etwa 55 Meter Tief.“
        „Na dann los … jibb Jass!“ Befiehlt mir mein Steuermann.
        Der Anker ist schneller oben als er fallen könnte. „Drei mal Wahnsinnige! Und losss!“ Weise ich erregt den Steuermann an! Meine Freude ist groß – endlich! Und beim Passieren Buchtausgang ertönt wieder das „Zerstörerer-Signal“: Hui…huiee…huuieeee…
        Der Anlauf beginnt…


        „So! jetze kriegste aba den Gesellenbrief. Guck da issa!“ Lobe ich meine Freundin und zeige auf den Fishfinder. Sie hat wieder einmal auf Anhieb das Wrack gefunden. Ich erblasse sichtlich vor Neid und bin stolz auf sie. Die Markierungsleine mit Bleilot und orangefarbenen großen Schwimmkörper ist fertig.
        „Okay … Wracklage ist auch klar! … So! Nun wieder ein Stück zurück … soo … aufstoppen-los-aufstoppen!“ Gebe ich Befehl an den Fahrstand, denn ich möchte unten keine Zeit verlieren und die Aufbauten mit dem Bleilot treffen – mittschiffs! Die Fähren sind blitzartig ran. Sie sind – wenn aus dem Hafen kommend – recht früh zu sehen und langsam. Jedoch verdeckt die große, hohe Insel „Ile Maire“ jedwede Sicht auf den Horizont. Die Schiffe kommen hinter der Insel aus der Abdeckung – quasi um die Ecke - hervor und sind in wenigen Augenblicken ran.
        „Die Hühnerleiter ausklappen nicht vergessen, und siehst du auch nur die Schnauze von so`m Teil, nimmst`e hier die Polygrip-Zange und gibst drei kurz drei kurz und drei kurz und dass in entsprechenden Intervallen. Je dichter er kommt, desto höher die Frequenz. Und bleib bis zum Schluss an der Boje … immmmer schön kreisen und die Alpha-Flagge sortiert halten. Ich sehe jetzt zu, dass ich runter komme. `Bin nicht lange wech, ernsthaft, hab`eh büschen Pupengang, Sicht und d`e Fähren eben.“ Überbringe ich verbal meinen Endlossatz.
        „Ja ja!“ Höre ich lakonisch, als wenn es das Normalste auf der Welt wäre, diesen Tauchgang zu machen.
        „Jetzt!“ Höre ich wie gewohnt von ihr, dann kippe ich rücklings ab.
        Grünes, dunkel grünes und übel riechendes Wasser – die reinste Gülle! Und unter mir soll so ein schöner Dampfer liegen. Nun, da bin ich mal gespannt!
        Langsam gleitet die Abtauchleine durch das geformte „O“ meiner Finger. Die Sicht ist gelinde gesagt einfach zum Kotzen, zwei Meter vielleicht. Nur, kenne ich das aus diesem Urlaub bereits und gewöhne mich allmählich daran. An den Gestank allerdings nicht. Nach 20 Metern ist das Licht aus und eine Sprungschicht verdunkelt alles schlagartig. Der grüne Schimmer bleibt!
        Ich sinke nun noch langsamer; habe ich doch zum einen keine feste Muring und weiß somit nicht, wo ich real ankommen werde und zum anderen sollen hier verdammt viele Netze sein. Es darf rein gar nichts schief laufen; ich muss nachher schnell von der Deco weg. Der Körper ist voll mit Trinkwasser und da mein Arm sowieso schmerzt wie die Sau, hatte ich heute früh noch eine 600er „Iboproleth“ genommen. Und wenn ich pinkeln muss, dann schiffe ich eben in den Trocki. Das ist mir auch wurscht – habe ich mir heute Morgen gedacht. Bloß nicht mit Trinkwasser sparen!
        Grusel – grusel, denn noch ist rein gar nichts zu sehen. Ich habe nun wirklich das Gefühl, ins Nirwana abzutauchen – geradewegs in die Hölle für unanständige Wracktaucher. Doch; was habe ich mir vorzuwerfen? Gar nichts, rein gar nichts! Irgendetwas wird dich gleich aufspießen – das hatten wir noch nicht. Ein Netz wird es nicht sein, das war schon an der Reihe. Aber ein spitz abgebrochener Mast … vielleicht. Direkt durch den Bauch! Und dann hänge ich da und sterbe qualvoll! Oder ich falle in den engen Schornstein und bin hoffnungslos eingeklemmt und kann über meine Sünden recht lange nachdenken, denn Luft habe ich hinreichend mit; Doppel 12er mit je 225 bar kalt…
        Meine Gedanken verlaufen sich ins Uferlose!
        Es wird plötzlich schwarz … vor Augen! Der grüne Schimmer ist irgendwie weg! Es ist nur noch „dunkel-schwarz“ ringsum. Dann - wie im Fantasy-Film - beginnt alles hell zu werden. Das Wrack liegt plötzlich klar unter mir. Ich kann einzelne Strukturen sehen. Ich sinke weiter. Es wird noch heller; alles erscheint im hellgrünen Schimmer. Meine Leine endet an einer Seite, nahe dem Schornstein. Dieser ist in Teilen sogar noch vorhanden. Das liebe Bleilot ist durch eine Öffnung gesaust bis in das Schiffsinnere. Ich verharre noch einen Augenblick an der Leine und verschaffe mir einen Überblick. Genial und phantastisch stellt sich der Anblick dieses herrlichen Schiffes dar!
        Ich kann es mir nicht logisch erklären; alles ist hell und die Sicht beträgt gute 6 Meter!
        Ich blase an und berge das Bleilot aus der Öffnung, führe es direkt nach außenbords an die senkrecht abfallende Schiffswand und lasse die Leine langsam durch meine Hand rauschen, bis das Blei am Meeresgrund angekommen ist. Eine Art stabiler Haken oder besser: irgend so ein Teil eignet sich an der Kante zum Befestigen der Leine. Zwei halbe Schläge sorgen dafür, dass die Leine nicht abtreiben kann. Ich lasse mich ein Stück an der Außenhaut absinken. Kein Bewuchs. Ich sehe und fühle deutliche die Niete und die überlappenden Schiffsplatten. Ich bin im Begriff zu glauben, einen Passagierdampfer vor mir zu haben. Die seitliche Position an der ich jetzt bin mit den ausgeschnittenen und übereinander liegenden Arkaden lassen erst einmal diesen Schluss zu.
        Eine Öffnung in der Trennwand hinter den Arkaden macht mich neugierig und ich tauche hinein. Sogleich befinde ich mich im Maschinenraum; die Sicht ist hier beinahe glasklar! Ich wähle eine Richtung in der ich am Ende einen hellen Schimmer sehe. Die Lampe ist zeitweise auf 50 Watt gedimmt und manchmal sogar aus und so kann ich eben diesen hellen Schein ausmachen. Ein Ausgang, das ist klar. Und so entschließe ich mich, durch den Maschinenraum zu tauchen – vorbei an kleinen und großen Handrädern, an verkrusteten Ventilen und anderen schönen Dingen. Bis auf die Flurplatten lasse ich mich jedoch nicht absinken. Ich erfreue mich wider erwartend einfach nur an dieser Penetration und denke nicht einmal an mein Messer, Zange oder Schraubendreher…
        Am Ende des Maschinenraums ist es tatsächlich eine Durchrostung, welche groß genug ist, dass ich mit Wing und D12 sauber durchpasse. Ich befinde mich nun im dritten Laderaum und das heißt tendenziell Richtung achtern tauchend. Das habe ich im inneren des Maschinenraums bemerkt – wegen der Anordnung der Maschine.
        Im Laderaum 3, liegen Unmengen an Munition. Doch sehe ich am Boden noch im Bereich des Schotts „grünen Span“ und selbstverständlich verschwindet das gute Teil sofort im hervor gezauberten Sammelnetz.
        Weiter geht es nach Achtern, über/durch Laderaum 4, bis in den stark durchrosteten Bereich der Poop. Ich dringe ein und stelle fest, dass die runden Öffnungen von ihren einstmals sicher schönen Bullaugen längst befreit sind.
        Zurück auf demselben Weg, doch penetriere ich nicht noch einmal dem Maschinenraum; ich steige höher und tauche über die Decks hinweg. Die Sicht ist ausreichend gut, sodass ich feststellen kann: der Dampfer ist nahezu intakt; als wolle er bereits unter Dampf stehend gleich ablegen. Ich komme wieder an dem schlanken Schornsteinrest vorbei und sehe förmlich Rauch aufsteigen. So festgestellt – an Backbord – sehe ich meine weiße Leine leuchten und fühle mich sehr sicher! Alles verläuft nach Plan und so vernehme ich bereits schemenhaft die Brückenaufbauten. Ich checke meine Luftvorräte und die Zeit. In diesem Augenblick läuft gerade meine geplante Grundzeit und bereits die Reservezeit ab. Ich trete in die Flossen – ich will und muss noch zur Brücke! Doch vernehme ich plötzlich Klopfzeichen. Ich kann keine Systematik erkennen, aber … es sind metallische Klopfzeichen! Verdammt! Die Schnellfähren. Es ist ein großer, schneller Dampfer und der läuft sicher gerade auf mich zu! Ich will zur Brücke – nein du musst rauf! Ich will aber noch zur Brücke – nein du musst rauf verdammt!
        Wer spricht da zu mir? Ich schaue auf meine Tiefe und diese beläuft sich momentan etwa auf 47 Meter, die Maximaltiefe auf 50 Meter. Wer verdammt spricht da zu mir? Ich habe keinen in der Fratze, ich bin glasklar. Zur Sicherheit stelle ich mir Rechenaufgaben und löse diese schnell und unproblematisch. Ein letztes mal vernehme ich: Du musst rauf! Dann wende ich, tauche zum Knoten in der Leine, löse diese vom Wrack, blase etwas an und hebe das Bleilot ein Stück hoch. Nun schwimme ich horizontal im 90° Winkel vom Wrack viele Meter weg, nehme die Kompasspeilung um bei der Bergung aus der richtigen Richtung kommend – die Leine frei zu halten, dann fiere ich sie weg und steige höher in Verbindung mit Luftauslassen aus dem Wing. Es klappt alles wie ein Länderspiel. Auf 21 Meter stoppe ich zum erstem mal und komme zur Ruhe. Hier ist alles wie vorhin beim Abtauchen – „reine“ Gülle pur!
        ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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        • diverhans
          Ridderkreuzträger &
          Ritter


          • 03.11.2005
          • 443
          • BW

          #5
          Doch was wird mich ab der 12 Meter Deco erwarten?


          *** Fortsetzung folgt ***



          Rechtlicher Hinweis:

          Dieser Roman - auch in Teilen - ist urheberrechtlich geschützt! Die
          Tauchgänge haben in der Realität so nie stattgefunden. Keine Haftung aus
          Nachahmung! Es wurden keine Gegenstände aus dem Meer/Wracks geborgen. Die Personen, die Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig.

          Tauchen ist grundsätzlich lebensgefährlich!


          (c) Rene Heese 2007
          ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

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