Gegen den Strom, Teil 1, Roman

Einklappen
X
 
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #1

    Gegen den Strom, Teil 1, Roman

    Gegen den Strom


    Roman, Teil 1


    „Und wir(!) nehmen den Status für uns in Anspruch: keine Deco-Tauchgänge, nicht tiefer Tauchen als 40 Meter, keine Solo – Tauchgänge, 80 Minuten Maximaltauchzeit. Schön, wenn du uns etwas frische Wurst und frisches Schwarzbrot aus Deutschland versprichst; wir würden uns sehr darüber freuen, doch ändert es nichts an unseren Regeln. Das mit dem Doppelpaket geht klar.“ Sagt sie.

    Wer ist eigentlich „sie“? Das sollte dringend benannt werden. „Sie“ ist die Chefin vom Gelee-Fisch-Tauchzentrum in Lahachmich Bai – nach eben ihrer eigenen Angabe und heißt mit Vornamen Novonne und nennt sich laut website kurz „No“. Somit hatte ich per
    Email-Statement und - Anfrage doch gleich die Richtige in der Leitung und bin auf der ganzen Linie abgeblitzt.
    Nun gut, bei exakt zwei Tauchbasen vor Ort ist die Auswahl bescheiden. Sollte ich in der darauf folgenden Email frech oder besser: fachlich - werden, wird vermutlich umgehend ein Anruf getätigt und somit hat es sich mit der Alternative erledigt. Das Problem an der Sache ist zum einen, dass ich bereits das Hotel und den Flug verbindlich gebucht habe und zwei Wochen Liegestuhl am frühen Morgen besetzen nicht wirklich in Frage kommt. Das andere Problem ist; ich kann – nach meinem bescheidenen Verständnis – nichts mit dem Spruch: „keine Deco-Tauchgänge“ anfangen. Sollte das etwa heißen, es werden doch nur Tauchgänge bis maximal zehn Meter gestattet? Aber sie schrieb doch etwas von 40 Metern. (?) Hatten nicht ein paar konstruktiv denkende Menschen festgestellt, dass Tauchgänge tiefer zehn Meter grundsätzlich als dekompressionspflichtig anzusehen sind? Die ersten Widersprüche gepaart mit erster Skepsis sind im Entstehen…

    Beim Metzger werden der portionierte frische Schweineschinken, eine harte Wurst und drei Paar Wiener vakuumiert verpackt. Ich reiche 15 Euronen über den Tisch; den Bäcker werde ich wegen der Frischegarantie erst morgen am Sonntagnachmittag aufsuchen. Meine liebe Mutti kontrolliert meinen Einkauf, bin ich doch an diesem Wochenende in Warnemünde um wenigstens Weihnachten vorzufeiern. Der Flieger geht am Montag von Rostock-Laage ganz in der Früh.
    Aber das ist natürlich nicht der wahre Grund meines Aufenthaltes in meiner ehemaligen Heimat. Denn weil ich mich für den Ostblock entschieden habe als Start- und Zielflughafen, sparen wir je 40 Euro. Das ist fein, denn der Dieselkraftstoff ist so günstig wie nie und die Sommerreifen eh abgefahren!

    „Boh-ey, Haar genau 100 kg!“ sage ich zu meiner Freundin lautstark, als alles Gepäck auf der Flughafenwaage steht.
    „Wir lieben Tauchgepäck!“ raune ich der Dame am Schalter nahtlos - getreu einer ähnlich gearteten Fernsehwerbung über Lebensmittel - zu. Die Dame ist schier beeindruckt, doch verzichte ich darauf ihr eine Scheibe der (mitgeführten) Wurst zu schenken, damit wir eventuell 10 Gramm unter dem zulässigen Gewicht liegen. Das unterscheidet die Situation gravierend von schnöder, unrealistischer Fernsehwerbung. Das und so ist das Leben … eben!

    Die Uhr wird in Marsa Alam nun um 2 Stunden – nicht nur um eine – vorgestellt, denn per Bus überschreiten wir dann eine weitere Zeitzone und dringen somit in die NonDecoZone vor. Böse wer Schlechtes denkt!
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!
  • diverhans
    Ridderkreuzträger &
    Ritter


    • 03.11.2005
    • 443
    • BW

    #2
    Wie immer ist die Klimaanlage im Bus auf Sibirien gestellt. Schnell warm anziehen, sonst kommen Schnupfen und eine tauchfreie Urlaubszeit.
    Der Highway ist recht ordentlich ausgebaut und im guten Zustand. Das verleitet dazu, zwei Stunden zu schlummern. Doch wir sitzen ganz vorne rechts im Bus und können so die herrlich freie Aussicht genießen. Und linker Hand, parallel zur Straße, verläuft die Wasserkante und diese muss ich naturgemäß im Auge behalten. Sicher erspähe ich eine Mastspitze, einen aus dem Wasser ragenden Bug, Wellen umspülte Aufbauten oder gar einen vollständig erhaltenen gestrandeten Frachter aus vergangenen Zeiten. Denn wir müssen noch etwa 200 km entlang der Küstenstrasse, bevor wir endlich in unserer Hotelanlage ankommen.

    Guungs!
    Ein Schlagloch.
    „Scheiße, ich bin eingepennt! Verdammt! Habe ich lange geschlafen?“
    „Nein, hast du nicht, `bist nur kurz eingenickt. Ich habe aufgepasst. Keine Frachter.“ Beruhigt mich liebevoll meine Freundin mit ebenfalls dem Uhu gleichen Augen.
    „Du hast doch nicht wirklich aufgepasst – verdammt!“ Widerspreche ich ihr, im Umdrehen inbegriffen – in der Hoffnung, das Verpasste durch die hinteren Seitenscheiben des Busses doch noch zu erblicken. Doch dicke, alte, bratzköpfige Menschen versperren die Sicht.
    „Wenn hier an dieser weitläufigen Küste keine Frachter am Strand liegen, bin ich nicht mehr der diverhans. Hier mutt wat sinn! Gugel Örss hat einiges – wenn auch hinter Berenitza – freigegeben. Warum sollte ausgerechnet hia nüscht sinn! Hmm? Früha sind die Frachter dicht unner Land …“
    „Man … ja … ich weiß! Dicht unter Land gefahren … der Wind, die Welle … Maschine ausgefallen … Ankerkette gebrochen … weit und breit keine Schlepper … Strandung! Ich kann`s singen!“ Unterbricht mich jäh meine liebe Freundin. Aber gut, dann hat sie`s nicht nur … sondern sogar beriffen. Wracksuche beginnt eben mit der Liebe zum Detail.

    Die Fahrt dauert und dauert, und ich passe nun auf wie Lux!
    Die Sonne ist eben erst verschwunden und schon geht es mit dem Tageslicht rapide abwärts – keine nennenswerte Dämmerungszeit.
    Kurz vor dem Zapfenstreich boxe ich meine Freundin in die Seite: „Hey! Man! Sieh doch, der Schatten da und die helle Reflexion!“
    „Waasss-dennn! Du nervst!“ Ist die Antwort, gewürzt mit einer hauchdünnen Schicht Desinteresse.
    „Dat is` jantz klar `n Dampfer! Guck doch!“
    „Nein, das ist ein Haus am Wasser. Auch hier in dieser Gegend soll das gelegentlich vorkommen.“
    „Nein! Herr-Gott … dat is`n Dampfer … wirst`e jleich seh`n! Warte nur bis wir dichter sind. Hoffentlich haben wir dann noch etwas Restlicht.“ Entgegne ich mehr als aufgeregt.
    Der Busfahrer gibt sich von Anbeginn an redlich Mühe es mir Recht zu machen. Wir fahren permanent 110 km/h, auch in Kurven und trotz nur mit Standlicht bewaffneten entgegenkommenden Trucks.
    Und tatsächlich entpuppt sich die leuchtende Wand als das Frontschott (Vorderseite Aufbauten) eines größeren Frachters. Der Schatten ist der lang gestreckte Rumpf. Liegt der nun an einer Seebrücke parallel zum Ufer oder auf dem Riffdach vor dem Strand? Das ist schnell geklärt, denn es ist außer Wüste weit und breit nichts.
    Doch etwa 4 km weiter ist mein Verdacht einer Strandung zu 100 % bestätigt. Eine kleine Ortschaft folgt mit einem kleinen Hafen für genau einen seegehenden Frachter. Und meine Theorie sieht wie folgt aus:
    Zu weit weg für eine Seebrücke.
    ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

    Kommentar

    • diverhans
      Ridderkreuzträger &
      Ritter


      • 03.11.2005
      • 443
      • BW

      #3
      Die Frachter müssen draußen vor Anker gehen bis der eine Platz frei ist. Sturm kommt auf oder bereits seit Tagen anstehend, Maschine seit Tagen aus, Ankerkette bricht, Tages-Kraftstofftank nicht vorgewärmt – ein umgehendes Starten der Hauptmaschine somit nicht möglich (Brennstoff kalt - gleich Sirup), weil unter anderem der kleine Tank für reinen (mehrfach teueren) Dieselkraftstoff leer ist, kein Schlepper weit und breit, zweites Ankermanöver schlägt fehl – auch diese Kette bricht, weil die Deppen in ihrer Aufregung den Stopper reinprügeln statt die Zugkraft linear zu steigern, Strandung! Aus die Maus! Und nun liegt er traurig da; zwar scheinbar noch recht intakt aber sicher schon von den Beduinen bis aufs Blut geplündert.
      Ich schaue auf die Uhr und nehme die Zeit bis zur Ankunft im Hotel, und das nun bezüglich der gefahrenen Geschwindigkeit ergibt dann hinreichend genau die Entfernung Frachter – Hotel. Ich muss da hin und ich brauche die ungefähre „Position“ zwecks späterer Reiseplanung. Und wenn ich ihn im Dunklen gesehen habe, werde ich ihn im Tageslicht ganz sicher wieder finden!
      Mein Gedankengang wird sogleich meiner Freundin verbal vorgetragen. Sie sagt nichts. Stattdessen nähert sich unbemerkt von hinten ein kleines Mädchen, setzt sich auf die freie Sitzreihe hinter uns und erschreckt mich beinahe zu Tode mit einer Vogel ähnlichen Handpuppe aus Plüsch…

      Gegen 19 Uhr Ortszeit schwenkt der Bus in Richtung Strand – zur Hotelanlage ein. Gott sei Dank, wir sind da; Check-In, Zimmer, Abendbrot, wir treffen zufällig „No“.
      Miss „No“ wird von mir schräg von der Seite angesprochen. Diplomatisch klug erwidert sie auf meine Frage hin, dass sie uns doch irgendwoher kenne und ob wir nicht doch schon einmal hier gewesen wären. Nein –sage ich – ich wäre der diverhans, den sie lediglich über Email-Kontakt nun ganz sicher kenne.
      ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

      Kommentar

      • diverhans
        Ridderkreuzträger &
        Ritter


        • 03.11.2005
        • 443
        • BW

        #4
        „Ä-Hähähähä!“ entgegnet sie recht nett und dieses Ä-Hähähähä wird mir noch den verbleibenden Rest meines Urlaubes in den Ohren wiederholt liegen.
        Es wird noch kurz dies und das ausgetauscht, sich dann doch noch zu dritt separat an einen Tisch in der Nähe einer Hotel-Bar gesetzt, bis ich – zumindest für den heutigen Abend – hinreichend genug vom Ä-Hähähähä habe. Ich schließe die Konversation mit dem Hinweis, dass sie sich sicher auf dem Weg zum Abendmahl befinde und ich bereits bis Unterkante Oberlippe vollgefressen sei. Ein kleiner, stiller-leiser Pups bestätigt das, wenn auch unhörbar für Miss „No“.

        Abends im Bettchen wirft meine Freundin in den Raum: „Man … doch nicht gleich so kiebich … am ersten Abend! Wir haben noch nicht einmal eingecheckt … bei denen!“
        „Wieso? Hat man etwa den Pups gehört?“
        „Ach! Das also auch noch!“

        Mit einem leichten Grinsen auf den Lippen lasse ich die Bemerkung im Raum stehen, schließe meine Augen und träume von den anstehenden Abenteuern. Ich bin mehr als gespannt, was das hier so bringen wird…


        Fortsetzung folgt …


        (c) Rene Heese 2008

        Rechtlicher Hinweis:

        Die Begebenheiten sind frei erfunden. Die geschilderten Tauchgänge sind lebensgefährlich und nicht zur Nachahmung empfohlen! Die Tauchgänge haben in der Realität niemals so stattgefunden. Es wurden keine Gegenstände aus Wracks geborgen. Bevor sie Tauchen gehen,
        machen sie einen geeigneten Tauchkurs bei einer anerkannten Tauchsportorganisation. Tauchen sie niemals alleine, sondern nur mit kompetentem(n) Tauchpartner(n) und einer geeigneten, technisch einwandfreien Tauchausrüstung! Wracktauchen ist eine Spezialdisziplin des Tauchens. Tauchen sie nicht in Wracks hinein, wenn sie dafür nicht ausgebildet sind
        und / oder über einen ausreichenden Erfahrungsschatz verfügen! Tauchen sie nicht tiefer als von führenden und anerkannten Tauchsportorganisationen für sicher erklärt ist. Tragen sie zum Umweltschutz und zur Erhaltung einer intakten Unterwasserwelt bei, indem sie Unterwasser nichts berühren oder gar töten. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
        ..man kann nicht alle Wracks dieser Welt betauchen, aber .. man kann`s versuchen!

        Kommentar

        Lädt...